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Filmstill aus "West Side Story" von Steven Spielberg

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Gee, Officer Spielberg: Die West Side in neuem Glanz

If it ain’t broken, don’t fix it: Steven Spielberg verpasst der vielgeliebten, aber etwas angestaubten West Side Story ein einfühlsames Remake, das den Spirit des Originals bewahrt und es sanft ins Jahr 2021 transportiert. Zutaten: eine Handvoll wohldosierter Änderungen, die den Plot tatsächlich verfeinern, ein paar der größten Namen in Hollywood sowie eine nötige Portion politischen Bewusstseins.

Von Jenny Blochberger

Ein Pfeifen hallt durch die heruntergekommene New Yorker West Side; die Kamera fährt an Schuttbergen und Baufahrzeugen vorbei und bleibt an einem Schild hängen: hier entsteht demnächst das Lincoln Center for the Performing Arts. Die erste Szene bestimmt somit die Tonalität der 2021er Neuverfilmung der „West Side Story“: so vertraut, dass man sie sofort wiedererkennt, aber mit Einsprengseln neuer Ideen.

Die Geschichte ist schnell erzählt: angelehnt an Shakespeares „Romeo und Julia“ bekriegen sich im New York der 50er Jahre zwei Jugendbanden, die puertoricanischen Sharks, die neu hingezogen sind, und die alteingesessenen, von europäischen Einwanderer*innen abstammenden Jets. Maria, die Schwester des Sharks-Anführers, und der Ex-Jet Tony verlieben sich ineinander; das Ganze endet tragisch.

Filmstill aus "West Side Story" von Steven Spielberg

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It’s not I’m anti-social, I’m only anti-work

Man kann sich bei einer Wiedersichtung unschwer vorstellen, wie frisch und aufregend das Broadway-Musical aus 1957 und die Verfilmung von 1961 damals gewirkt haben müssen; 60 Jahre später kommt die West Side Story aber doch etwas angestaubt daher. Vermutlich ist Regie-Kapazunder Steven Spielberg genau der Richtige, um diesen Popkultur-Monolithen, an dem Fans am liebsten kein einziges Haar verändert sähen, ins Jetzt zu heben. Spielberg belässt die Handlung in den 50ern; auch viele Dialogpassagen werden beinahe unverändert übernommen, andere, neu dazugeschriebene, kommen im authentischen Fifties-Slang daher („You and the Sharks make like rats and skedaddle“).

Die Fünfziger waren auch in den USA geprägt vom Geist des (Wirtschafts-)Aufschwungs: Raus mit dem Alten, rein mit dem Neuen. In New York wurden ganze Straßenzüge abgerissen und neu und glänzend wieder aufgebaut. Das im Film erwähnte Committee on Slum Clearance sorgte dafür, dass die Slums verschwanden – und mit ihnen auch deren Bewohner*innen, die sich das Leben im schönen neuen Viertel nicht leisten konnten. Dieser gemeinsame Feind wird zwar sowohl von den alteingesessenen Jets als auch den neu hingezogenen Sharks durchaus erkannt, das spielt aber weiter keine Rolle; ohnmächtig, gegen die Staatsgewalt irgendetwas auszurichten, bekriegen sich die beiden marginalisierten Gruppen lieber gegenseitig. Auch der Film interessiert sich nur nebenbei für die gesellschaftlichen Umstände der Bandenkriege; lieber verweilt er auf den Charaktervisagen der halbstarken Unruhestifter und den Engelsgesichtern des zentralen Liebespaares.

Filmstill aus "West Side Story" von Steven Spielberg

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We ain’t no delinquents, we’re misunderstood

Jets-Anführer Riff (Mike Faist) ist ein sehniger, zäher Straßenjunge, der zwischen Lässigkeit und Intensität changiert; ein ganz anderer Typ als der clowneske Russ Tamblyn, der die Rolle in der 1961er Version als verschmitzten Lausbuben anlegte. Gegenspieler Bernardo ist ein charmanter Macho mit Humor und Ehrgeiz; während Vorgänger George Chakiris fast wie ein eleganter Dressman daherkam, wirkt David Alvarez wesentlich bodenständiger und sitzt auch mal im Ruderleiberl am Küchentisch. Ariana DeBose ist eine lebenslustige, schlagfertige Anita, die ihre Familie streng zurechtweist, wenn zuhause Spanisch gesprochen wird – „English, please!“ Man muss sich ja an die neue Heimat anpassen. Das zentrale Liebespaar ist schockverliebt, süß und naiv – und leider immer noch fad. Und das, obwohl Tony eine Backstory als Ex-Häftling verpasst bekommen hat, die seine Figur interessanter und seine Entscheidungen nachvollziehbarer macht, und Maria als Putzfrau statt als Schneiderin arbeitet.

Aber Tony wird nun mal von Ansel Elgort gespielt, der zwar singen und tanzen kann und tatsächlich ein klassisches Old-Hollywood-Gesicht hat, aber halt trotzdem Ansel Elgort bleibt: ein mittelguter Schauspieler mit lauwarmer Ausstrahlung. Von Neuentdeckung Rachel Zegler schwärmt Regisseur Spielberg, sie hätte die Latte von Anfang an für alle extrem hoch gelegt. Zu Beginn der Dreharbeiten war Zegler noch in der Schule und hat die herausfordernde Gesangspartie der Maria trotzdem hervorragend gemeistert. Schade nur, dass Spielberg die allzu zuckersüße Liebesgeschichte auf dem gleichen hohen Kitschlevel belassen hat – man würde sich ein wenig mehr Reibung zwischen dem doch sehr unterschiedlichen Liebespaar wünschen.

Life is all right in America - if you’re all-white in America

Ein Zuckerl für Fans ist der Auftritt von Rita Moreno, die 1961 für ihre mitreißende Darstellung der Anita einen Oscar gewonnen hat. Hier ist die mittlerweile 90jährige als gute Seele von einer Drugstore-Besitzerin zu sehen und zeichnet darüber hinaus als Produzentin verantwortlich.

Auch in Sachen politischem Bewusstsein ist die West Side Story im Jahr 2021 angekommen. In der Erstverfilmung wurden die Puertoricaner*innen nicht nur großteils von weißen Darsteller*innen gespielt – auch die wenigen latinx Schauspieler*innen wurden teilweise dunkler geschminkt, um ihre Herkunft zu betonen. Die Neuverfilmung legt Wert darauf, die Figuren der Puertoricaner*innen mit latinx Darsteller*innen zu besetzen und auch nicht jedes spanische Wort zu übersetzen. Einen trans Charakter gibt es auch: die Figur Anybodys, die gerne Mitglied der Jets wäre, aber von ihnen nicht akzeptiert wird, wird von der nonbinary Person Iris Menas gespielt.

Die große Kunst dieser Neuinterpretation der West Side Story liegt darin, die Geschichte stimmungsmäßig in den 50er Jahren zu belassen und dabei Änderungen einzubauen, die sie modernisieren und sich trotzdem organisch in den Plot und die Zeit einschmiegen. Maria ist zwar jung und neu in der Stadt, aber hat sich schon jahrelang daheim um ihren Vater gekümmert; sie kennt harte Arbeit und lässt sich auch von ihrem Bruder nicht alles gefallen. Ein Gespräch zwischen Tony und Maria darüber, welche Menschen es im Leben am schwersten haben, wird beinahe zum Disput über Privilege, ohne dass dieses Wort fällt. Und wenn Anita in Valentinas Drugstore nur um Haaresbreite einer Vergewaltigung entkommt, wird das auch in aller Deutlichkeit ausgesprochen.

Filmstill aus "West Side Story" von Steven Spielberg

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It’s alarming how charming I feel

Man merkt dem Film in jeder Szene an, dass ein leidenschaftlicher Fan am Werk war – und darüber hinaus einer, der sein Handwerk versteht. Damit ja nichts schiefgeht, hat sich Regisseur Steven Spielberg noch Kapazunder wie den preisgekrönten Autor Tony Kushner, Stamm-Kameramann Janusz Kaminski oder den Star-Dirigenten Gustavo Dudamel dazugeholt. An der Originalchoreographie wurde nur behutsam geschraubt: Auch 2021 pirouettieren die harten Jungs mit Ballettmoves durch ihr Viertel und die Puertoricanerinnen wirbeln in bunten Röcken durch die Gegend.

Fans brauchen auf jeden Fall keine Angst zu haben: Auch die 2021er Version der „West Side Story“ macht großen Spaß und drückt groß auf die Tränendrüse, wie es sich gehört.

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