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Filmstill aus Matrix: Resurrections

Warner Bros Pictures GmbH

Matrix Resurrections: Class of 99

Ein Computernerd wird von komischen Visionen heimgesucht, die ihm den Eindruck vermitteln, dass die Welt, in der er lebt, nicht ganz real ist. Eine Frau in Leder und ein Mann mit Sonnenbrille ohne Bügel zeigen dem Nerd, dass die Welt eine von bösen Computerprogrammen gesteuerte Simulation ist. Und dann bumm bumm. Das ist der Plot des Films „Matrix“ aus dem Jahr 1999. Das ist aber auch der Plot des Films „Matrix: Resurrections“ aus dem Jahr 2021.

Von Roland Gratzer

Neo, der Hacker im Ledermantel, ist in „Matrix: Resurrections“ wieder Thomas Anderson, der sozial schlecht aufgestellte Nerd. Dieses Mal ist er allerdings alt und reich und vor allem psychisch nicht gut beinander. Trinity, die motorradfahrende Hackerin im Ledermantel, heißt jetzt Tiffany, ist dreifache Mutter und leidenschaftliche Mechanikerin. Die beiden kennen sich vom Sehen und spüren eine eigenartige Energie, die sie verbindet. Tom ist zu Geld gekommen, weil er ein visionäres Computerspiel entwickelt hat, das den überraschenden Titel „Matrix“ trägt. Nach zwei erfolgreichen Fortsetzungen soll er jetzt einen vierten Teil machen. Den Rest des Tages verbringt der psychisch schwer lädierte Tom bei seinem Therapeuten oder in der Badewanne mit Plastikente am Kopf. Nachdem er mal wieder die Wahrheit über die Matrix erfährt, kämpft er mal wieder gegen sie an. Dafür braucht er aber Trinity, bzw. Tiffany, denn die zwei sind essentielle Bestandteile der neuen Matrix, weil… ach egal.

Traumpaar Reeves & Moss

Das Zusammenspiel Reeves-Moss ist der mit Abstand stärkste Aspekt des vierten Teils des Matrix-Franchises. Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss sind das magischste Leinwandpaar seit Lady Gaga und Bradley Cooper. Die Gesten, Blicke und peinlichen Pausen wirken so beiläufig und echt, dass die leider nur dreiminütige Szene beim ersten gemeinsamen Kaffeetrinken im Idealfall einfach zweieinhalb Stunden hätte dauern sollen. Der Film wäre ein instant Weihnachtsklassiker geworden - und wohl auch um einiges billiger.

Filmstill aus Matrix: Resurrections

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Ideenlosigkeit als Witz

Was für ein Film ist es aber nun geworden? „Matrix 4“ ist ein Film, der sich selbst nicht mehr ernst nimmt - und das ist ein Problem. Der erste Teil läutete das neue Jahrtausend mit einer ästhetisch revolutionären Dystopie ein. Alle in der WG hatten damals den grünen Matrix-Code als Bildschirmschoner (und die meisten davon haben sich dadurch einen garstigen Computervirus eingefangen). Neo war der erste Nerd, der offen dazu stand und breitenwirksame Coolness erreichte. Rote vs. blaue Pille war eines der ersten Memes, die wirklich alle verstanden.

Aber Teil 4 will über die offensichtliche Ideenlosigkeit hinwegtäuschen, indem die Nebenfiguren sich über eben diese lustig machen. Und noch dazu wird das in der schlimmsten Form der kollektiven Ideenlosigkeit dargestellt: Die Szene ist eine Brainstorming-Montage. Hier steigt Matrix in genau dieselbe Gatsch-Lacke wie „Star Wars 7“ (shame on you, J.J. Abrams!). Fanservice bedeutet nicht, einfach alles wieder gleich zu machen mit a bissi ironischem Zwinkern dabei. Und Insider-Gags, die wirklich alle verstehen, sind keine Insider-Gags.

Das Drehbuch vermittelt das Gefühl, dass niemand diesen Film machen wollte - wenn da nicht das Geld gewesen wäre. Vermitteln heißt in dem Fall übrigens, dass die Charaktere genau das so sagen. „Das ist ur meta“, sagen da vielleicht manche, aber so sagt jetzt auch Mark Zuckerberg zu Facebook. Regisseurin Lana Wachowski wird sich all das wohl als kritischen Kommentar zur Sequel-Ausschlachtungs-Manie des aktuellen Blockbuster-Kinos gedacht haben. Aber etwas kritisieren, indem genau das gleiche gemacht wird, ist und bleibt eine Code-Kette, die sich in den Schwanz beißt.

Vergebene Chancen

Immer wieder mal gibt es Schlägereien und Schießereien mit viel zu vielen Menschen in viel zu kleinen Räumen und eine kurz angerissene Erklärung, was zwischen dem Ende von Teil 3 („He, mach ma Mensch-Maschine-Koalition“) und dem Anfang von Teil 4 („Is this the real Life, is this just Fantasy“) passiert ist. Kleiner Spoiler: Die Stadt Zion gibt es nicht mehr, und das ist durchaus ein Gewinn. Dazwischen vergibt der Film viele Chancen, dem selbst mitgeprägten Popkultur-Diskurs zwischen Mensch und Programm neue Überlegungen mit auf den Weg zu geben. 1999 hat die Matrix viele Menschen dazu gebracht, sich mit Philosophie zu beschäftigen. 2021 wird die Matrix kaum jemanden zu irgendwas bringen.

Filmstill aus Matrix Resurrections

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Sträflich ungenutzte Nebencharaktere

Viele Charaktere aus der Ur-Trilogie bekommen Easter-Egg-Auftritte, die sehr schrill bemalt sind, da es für alle von ihnen eine kleine Original-Footage-Rückblende gibt. Dazu kommt eine ganze Riege an Nebendarsteller*innen, die durch die Bank abliefern, aber gegen das hochheilige Paar Neo/Trinity natürlich keine Chance haben. Jessica Henwick als junge Widerstandskämpferin Bugs wird wohl bald eine eigene Spinoff-Serie bekommen, Yahya Abdul Mateen II hätte besser einen eigenen Charakter bekommen und nicht nur als Comic-Relief-Variante von Morpheus durch die Spiegel-Portale tänzeln sollen. Neil Patrick Harris spielt sich wie gewohnt selbst und Hugo Weaving hatte am Ende das Glück, dass Terminkollisionen seine Rückkehr in die Matrix verhindert haben.

Matrix 4 öffnet teilweise natürlich die Tür zu weiteren Fortsetzungen, Serien und Computerspielen. Ein monströser Geldstaubsauger, der wenig zurückgibt. Vielleicht ist ja das die große Philosophie hinter dem vierten Teil: Die Matrix wurde selbst zur Matrix. Aber am Ende ist es nur ein zweieinhalb Stunden dauerndes Klassentreffen, bei dem auch das Lehrpersonal eingeladen ist. Für den Informatik-Unterricht in den letzten Schulstunden vor Weihnachten wird der Film aber im Gegensatz zu seinem 1999er-Vorgänger aber sicherlich nicht reichen.

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