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Akademietheater Garderobe und Mavie Hörbiger

Elisabeth Scharang

Begegnung in der Garderobe: Schauspielerin Mavie Hörbiger im FM4 Doppelzimmer

Sie stand als erste Frau als Teufel in „Jedermann“ auf der Bühne, liebt das Extreme, die Musik von Kurt Cobain und Soap&Skin, sie setzt sich für mehr Diversität im deutschsprachigen Film ein und hat eine persönliche Beziehung zu Udo Jürgens’ Hit „Merci, Cherie“. Die Schauspielerin Mavie Hörbiger ist am 26. Dezember ab 13 Uhr zu Gast im FM4 Doppelzimmer.

Von Elisabeth Scharang

„Ich war ein schwieriges Kind; und schon war ich am Theater. Ich mag die Ruhe dort, aber auch die Aufgeregtheit. Dass alles ein bisschen staubig riecht, und nach Samt.“

Mavie Hörbiger steht in der Damengarderobe des Wiener Akademietheaters und erklärt mir die Regeln: Wenn eine dienstältere Schauspielkollegin am selben Abend Vorstellung hat wie sie, dann räumt Mavie als die jüngere das Feld und überlässt die Garderobe der anderen. So war das immer.

Akademietheater Garderobe und Mavie Hörbiger

Elisabeth Scharang

Glamourös ist übrigens nichts an dieser Garderobe. Wären nicht die zwei großen Spiegel, ginge es auch als Mitarbeiterinnengarderobe für Postangestellte oder bei IKEA durch. Ich baue auf dem kleinen Tischchen schnell meine Mikros für unser Gespräch auf und springe in medias res. Denn Zeit ist kostbar. Mavie Hörbiger hat den ganzen Vormittag geprobt, am Nachmittag wartet ihr Sohn darauf, dass sie ihn vom Fußballplatz abholt und am Abend ist Vorstellung. Wie sich ein Beruf, der soviel Nachtarbeit verlangt, wie der von Theaterschauspieler*innen, mit der Familie vereinbaren lässt? Das geht schon, sagt sie, man muss halt gut organisiert sein. Was die Nacht angeht, da ist sie vorbelastet. Mavies Vater, der Sohn von Paul Hörbiger, hat seine kurze Schauspielkarriere an den Nagel gehängt und stattdessen in München und Wien Diskotheken und Clubs eröffnet und Songs geschrieben. Mavie kennt und liebt das Nachtleben also von klein auf. Nur dass sie im Gegensatz zu ihrem Vater ihre Leidenschaft fürs Theater nie an dem großen Familienerbe gemessen hat.

Akademietheater Garderobe und Mavie Hörbiger

Elisabeth Scharang

„Mein Vater konnte sich einfach nie aus dem Schatten seines eigenen, sehr genialen Vaters Paul Hörbiger befreien und hat deshalb lieber ein paar Clubs und Diskotheken eröffnet.“

Begonnen hat die Geschichte der Hörbiger-Dynastie mit den Brüdern Paul und Attila Hörbiger und der zweiten Ehefrau des letzteren, Paula Wessely. 1941 spielte sie gemeinsam mit ihrem Mann im Nazi-Propagandafilm „Heimkehr“ eine von Polen unterdrückte Deutsche. Darin sagte sie diesen fatalen Satz in die Kamera, der sie nicht mehr loslassen sollte und der wie ein Schatten auch über ihren Töchtern liegt: "Sie wissen ja, wir kaufen nicht bei Juden.“

Erst 1971 meldete sich Paula Wessely in einem öffentlichen Schreiben zu Wort: „Ich wünschte, ich hätte in diesem Film nicht mitgewirkt.“ Interviews oder TV-Auftritte lehnte sie weiter ab. Ende der Siebzigerjahre legte sie bei André Heller in einem Interview eine Lebensbeichte ab: „Ich habe keine Ausreden, ich weiß genau, was ich getan habe. Ich habe nach dem Krieg so sehr dafür gebüßt, wie ein Mensch dafür büßen kann. Das Nachdenken hat mich an den Rand des Wahnsinns gebracht.“

Über das Ehepaar Wessely/Hörbiger war nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein Berufsverbot verhängt worden. Dann schwieg auch das Nachkriegsösterreich. Bis die Autorin Elfriede Jelinek in ihrem satirischen Stück „Burgtheater“ den bruchlosen Übergang vom Nazireich ins Nachkriegsösterreich von Paul und Attila Hörbiger sowie Paula Wessely nachzeichnete und die fehlende Aufarbeitung der österreichischen Nazizeit offen thematisierte.

Akademietheater Garderobe und Mavie Hörbiger

Elisabeth Scharang

Mavies Großvater Paul Hörbiger nutzte seinen politischen Status und seine Unantastbarkeit bei den Nazis und unterstützte eine kleine Widerstandsgruppe finanziell. Als man das entdeckte, wurde er zum Tode verurteilt. Das Kriegsende kam seiner Hinrichtung zuvor. Er war allerdings nicht, wie er das in seiner Biografie beschrieb, eine Galionsfigur des Widerstands. Seine Nachfahren konnten jedoch - anders als die der Wiener Linie des Clans mit Christiane Hörbiger, Elisabeth Orth und Maresa Hörbiger - unbelasteter groß werden. Mavie scheut keine Fragen, wenn es um die Vergangenheit ihrer Familie geht; bei öffentlichen Reden oder Preisverleihungen wird sie nicht müde, über Haltung und Verantwortung zu sprechen.

„Wenn man sagt, was man möchte und was nicht, dann gilt man schnell als mühsame Zicke.“

Die aktuellen Themen, die sie beschäftigen, liegen allerdings woanders. Da geht es um die fehlende Diversität auf deutschsprachigen Bühnen und in deutschsprachigen Filmen. Und es geht um die Diskriminierung von Frauen. Erst vor kurzem wurden im Burgtheater die Löhne von Schauspielerinnen denen der männlichen Kollegen angeglichen. Aber Mavie geht es nicht nur ums Geld. Es geht um Rollenbesetzungen, um veraltete Klischees, um die Art, wie Schauspielerinnen ab 40 auf der Bühne und im Film gezeigt werden.

FM4 Podcast Interview Podcast (Interviewpodcast)

Radio FM4

FM4 Doppelzimmer mit Mavie Hörbiger: Zu hören am 26.12.2021 um 13 Uhr auf Radio FM4. Das ungekürzte Interview ist ohne Musik als extended Version als Podcast nachzuhören.

Wenn Ageism beklagt wird, also das Unsichtbarmachen von Alter und älteren Menschen, dann denke ich im Normalfall nicht an attraktive Frauen Anfang vierzig. Aber wenn es um Schauspielerinnen geht, ist die Altersgrenze traditionell sehr niedrig. Mavie Hörbiger hat in diesem Jahr öffentlich kritisiert, worüber sich viele Kolleginnen völlig zurecht aufregen, allerdings zumeist hinter verschlossener Garderobentür: ab 40 wird Frauen vor der Kamera und auf der Bühne die Sexualität abgesprochen. Statt als Liebhaberin werden sie als Mutter besetzt. Und das findet Mavie Hörbiger zum Kotzen.

Sie steht mit ihrer Haltung und Empörung nicht alleine da. Und es ist in den letzten Jahren Bewegung in die starren Vorstellungen von Frauenbildern gekommen. Nicht zuletzt über Superstars wie Kate Winslet, die in der Serie „Mare of Easttown“ nahezu ohne Makeup eine Kommissarin spielt. Das hatte sie sogar in ihrem Vertrag stehen. Und viele Kolleginnen folgen ihr, wollen nicht mehr stundenlang Falten wegschminken und Haare tönen, bevor sie vor die Kamera treten.

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Elisabeth Scharang

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