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Mati Randow

Radio FM4 | Michael Fiedler

„Der Leistungsdruck ist viel höher geworden“

Wir haben mit dem Schulsprecher Mati Randow über seine Kritik am Corona-Management an den Schulen gesprochen.

Seit fast zwei Jahren stellt die Pandemie die Schulen vor enorme Herausforderungen. Was mit den Schulen passieren soll, zählt zu den heikelsten Angelegenheiten für das Krisenmanagement. Laut einer OECD-Studie waren die Schulen in Österreich häufiger geschlossen als im internationalen Vergleich. Und auch wenn sie offen waren, war der Schulbetrieb geprägt von Maßnahmen, Tests und Infektionen unter Schülerinnen und Schülern. Während der Politik Fehler in Sachen Schule und Corona vorgeworfen wurden, haben Schülervertreter*innen mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommen.

Mati Randow, Schulsprecher des Wiener Gymnasiums Rahlgasse, hat zu Beginn des Semesters mit einem offenen Brief an den damaligen Bildungsminister Heinz Faßmann aufhorchen lassen. Er forderte mehr Mitsprache für Schüler*innen, eine Kürzung des Lehrstoffs und Impfpflicht für Lehrpersonal in Kindergärten und Volksschulen. Eine Antwort auf den offenen Brief hat er nicht bekommen, dafür ist nur wenige Wochen später Bildungsminister Heinz Faßmann gemeinsam mit Bundeskanzler Sebastian Kurz zurückgetreten.

Mati Randow im Interview mit Ali Cem Deniz über die aktuelle Situation, den neuen Bildungsminister und das kommende Jahr gesprochen.

Radio FM4: Mati, du hast 2020 die Schulöffnungen heftig kritisiert und du hast eine Matura ohne Prüfung gefordert. War 2021 für dich ein besseres Jahr als 2020? Hat die Politik dazugelernt?

Mati Randow: Ich weiß nicht, ob das jetzt besser oder schlechter war. Einen besseren Umgang hat die Politik, glaub ich, nicht gefunden. Ich habe eher das Gefühl, dass gerade am Anfang der Pandemie noch relativ verantwortungsbewusst agiert wurde und sich das eher ins Negative gewandelt hat. Also ich fand auch 2020 noch in gewisser Weise in Ordnung, weil da hat man eben die Situation ganz neu gehabt. Man kann am Anfang einer riesigen Krise auch Fehler machen, aber wenn man sie dann immer und immer wieder wiederholt, dann ist es halt irgendwann weniger lustig.

Radio FM4: Hast du im Moment etwas, was du einen geregelten Schulalltag nennen würdest?

Mati Randow: Man würde meinen, ja, weil wir im Präsenzunterricht sind und nicht im Distance Learning. In Wirklichkeit ist es aber nicht so. Der Präsenzunterricht, den wir momentan haben, ist ja nicht geregelt. Man muss dreimal die Woche testen. Man hat eigentlich durchgehend die Angst, dass jemand in der Klasse vielleicht positiv ist, dass man vielleicht in Quarantäne muss. Diese Situation ist sehr angespannt und die ganzen negativen Seiten des Bildungssystems haben sich in der Krise noch verschlechtert. Der Leistungsdruck ist viel höher geworden. Das merkt man natürlich auch und es wird jetzt seit Monaten gesagt: „Wir müssen Stoff nachholen.“

Radio FM4: Du hast zu Beginn dieses Semesters einen offenen Brief verfasst, der viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Zwei der Adressaten, Bildungsminister Heinz Faßmann und Bundeskanzler Sebastian Kurz, sind nicht mehr im Amt. Denkst du, dass ihre Nachfolger euren Forderungskatalog umsetzen werden?

Mati Randow: Bisher ist noch nichts davon umgesetzt worden. Der neue Bildungsminister hat zumindest angekündigt, dass er den Dialog suchen möchte. Es wird sich noch zeigen, ob dieser Dialog wirklich stattfindet. Es ist das Gebot der Stunde, jetzt nach fast zwei Jahren Pandemie, endlich eine Bildungspolitik zu machen, die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellt. Ich habe oft das Gefühl, dass Bildungspolitik maximal für Eltern gemacht wird, vielleicht noch für Lehrerinnen und Lehrer, aber Schülerinnen und Schüler, die halt auch oft nicht im Wahlalter sind, sind dann weniger interessant für die Parteien. Das ist vielleicht jetzt aus wahlkampftechnischen Gründen verständlich, aber es ist natürlich nicht verantwortungsbewusst.

Radio FM4: Im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern ist die Situation in Österreich, was die Infektionszahlen betrifft, momentan entspannter. Dafür könnte im Jänner eine neue Welle auf uns zukommen, sagen Expertinnen und Experten mit Blick auf die Omikron-Variante. Im Jänner geht es dann auch nach den Ferien in der Schule weiter. Wie, denkst du, wird sich das entwickeln?

Mati Randow: Von allem, was man bisher gehört hat, habe ich mehr Grund zur Sorge als Grund zur Hoffnung. Ich glaube, was wichtig ist, was nicht sein kann, ist, dass wir im Jänner wieder im ungeschützten Klassenzimmer sitzen. Am Höhepunkt der vierten Welle war es tatsächlich so, dass die Inzidenzen in der Altersgruppe der Schülerinnen und Schüler astronomisch waren und Schule einfach kein sicherer Ort war. Auch die psychosozialen Folgen waren sehr groß und das darf halt nicht wieder passieren. Ich hoffe sehr stark, dass jetzt die letzten Tage noch genutzt werden, um sich besser vorzubereiten. In der Vergangenheit ist es leider oft nicht passiert.

Radio FM4: Schulschließungen will die Politik auf jeden Fall vermeiden. Kommen die für dich in Frage?

Mati Randow: Sie kommen auf jeden Fall in Frage, wenn es keine bessere Alternative gibt. Ich finde es immer schade, dass viele Politikerinnen und Politiker, die immer gegen Schulschließungen öffentlich agieren, die gesamten psychosozialen Folgen und psychischen Belastungen über den Kamm scheren und sagen: Es liegt alles nur an den Schulschließungen. Da gibt es keine Evidenz dazu.

Ich habe mir bisher, glaube ich, alle Studien, die zitiert wurden, durchgelesen und überall stand drinnen, dass Schulschließungen einer der Gründe dafür waren. Ein anderer Grund ist der weiterhin aufrechte Leistungsdruck. Ein weiterer Grund ist, dass die sozialen Kontakte gänzlich wegfallen. Das passiert nicht nur durch Schulschließungen. Wir haben auch im vierten Lockdown Situationen gehabt, wo die Schulen offen waren, aber unsere Freizeitmöglichkeiten komplett beschränkt waren.

Schulschließungen alles andere als schön. Ich bin auch selbst kein großer Fan davon. Ich bin im Distance Learning letztes Jahr sicher auch nicht so gut mitgekommen wie im Präsenzunterricht. Wenn man es aber nicht schafft, dass man sicher in die Schule gehen kann, dann kann es eben keine Alternative sein, dass man unsicher in die Schule geht und dann Kinder und Jugendliche durchseucht werden.

Radio FM4: Du bist nicht nur Aktivist, sondern selbst Schüler und Maturant. Wie bereitest du dich auf deine Matura vor, die 2022 auf dich zukommt?

Mati Randow: Ja, auch das ist eine sehr angespannte Lage. Ich muss jetzt Anfang Jänner, direkt nach den Weihnachtsferien, ganz klar bekannt geben, in welchen Fächern ich zum Beispiel mündlich zur Matura antreten möchte, ohne zu wissen, ob wir die mündliche Matura absolvieren werden. Uns wurde die letzten Monate immer wieder gesagt, dass die Matura regulär stattfinden soll. Jetzt ist der Beisatz dazu gekommen, durch den neuen Bildungsminister, wenn Omikron nicht dazwischenkommt.

Ich verstehe nicht, warum man hier wieder quasi auf den letzten Drücker alles versucht und wartet, bis die Lage eskaliert. Ich finde, das Mindeste ist, dass die mündliche Matura auch wieder nicht stattfindet, weil wir der Jahrgang sind, der eigentlich am meisten betroffen ist von der Pandemie. Ich hoffe, dass ich mich am Ende nur für die schriftliche und nicht für die mündliche Matura vorbereiten muss.

Radio FM4: Glaubst du, hast du in den letzten eineinhalb, fast zwei Jahren Pandemie so etwas wie einen Bildungsrückstand aufgebaut? Oder hast du andere Sachen gelernt, die vielleicht nicht so klar in einem Lehrplan definiert sind?

Mati Randow: Ich glaube, dass viele Politikerinnen und Politiker sich irgendwie oft verhalten haben wie Spätpubertierende, und auf der anderen Seite haben sich viele Jugendliche und junge Menschen sehr erwachsen verhalten. Wir mussten dieses fehlende Verantwortungsbewusstsein von den älteren Menschen oft ausgleichen und das haben wir auch getan. Also das ist ein Learning.

Ein negatives Learning ist natürlich, dass sich gezeigt hat, wie unwichtig die jungen Menschen der Politik momentan eigentlich sind. In der ganzen Debatte über offene oder geschlossene Schulen wird sehr selten mit Schülerinnen und Schülern selbst gesprochen. Da haben wir, glaube ich, viel über gesellschaftliches Zusammenleben gelernt und über Verantwortungsbewusstsein.

Natürlich ist etwas an Rückständen aufgekommen. Uns wird jetzt seit Ewigkeiten und sicher nicht nur in meiner Schule gesagt: „Wir müssen ganz dringend Stoff nachholen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“ Parallel dazu gibt es dann aktuelle Erlässe vom Bildungsministerium, wo drinnen steht, man soll nur bereits Gelerntes vertiefen. Also wie kommt man auf diese Idee? Das ist einfach realitätsfern.

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