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Drei Birnen

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mit akzent

Das letzte Jahr war für mich das Jahr der Dreier

Ich habe dreimal gewählt, da die Wahlen in Bulgarien wiederholt keine stabile Mehrheit im Parlament bilden konnten. Ich habe mich dreimal impfen lassen. Und drei Freunde sprechen nicht mehr mit mir, da ich für sie ein armseliger Konformist und Impffreund bin, der sich dem institutionellen Druck gebeugt und stechen hat lassen.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Letztens trennte sich mein alter Freund Miki von mir. Mit ihm gemeinsam haben wir als Schüler in Sofia Watschen von den Skinheads bekommen, da wir gerne Punkrock hörten. „Du bist kein Punker mehr!“, sagte Miki zu mir. Es ist wahr, dass ich im Gegensatz zu ihm eher langweilig aussehe. Ich war verwundert über seinen Vorwurf, ich hätte mich stechen lassen. Vor ein paar Jahren hat er noch versucht, mich davon zu überzeugen, dass es nichts Schöneres gebe, als sich einen kackenden Adler auf den Nacken tätowieren zu lassen. Nachdem sich der Adler auf seinem Nacken eingenistet hatte und Miki mehr als tausend Mal gestochen worden war, brauchte er damals einen Monat, um wieder zu sich zu kommen. Das Gift der Tinte machte ihm zu schaffen. Er behandelte sich mit rohem Fisch und billigem Wodka. Er überlebte trotzdem. Jetzt hat er Angst, dass ein Stich ihn zum Konformisten und Sklaven des Kapitalismus macht.

Nach dem Adler wurde Mikis Körper noch bunter als das Kunsthistorische Museum. Er hat eine Echse, die die Mona Lisa frisst, Jesus, der vor einem Kreuz weint, auf dem Elvis gekreuzigt wird, und speziell in japanischen Schriftzeichen: „Ich bin ein Arschloch mit Teriyaki Sauce.“ Trotz dieser Bildergalerie hat er Angst vor einem Stich.

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Miki lebt jetzt in Berlin und ist ein gesuchter Schweißer. Würde er sich an die Regeln des Kapitalismus nicht halten, dann würden seine Türme aus Stahl nicht stehen. Ich versuchte da nachzufragen, aber er schnitt mich ab. Er schickte mir „Anarchy in the UK“, sagte, dass er auf mich spuckt und löschte meinen Kontakt. Nach allen roten Linien in der Gesellschaft haben wir jetzt auch noch das. Wir trennen uns nach Herkunft, Geschlecht, Religion, politischen Ansichten, sozialem Status und danach, welche Fußballmannschaft wir unterstützen. Jetzt streiten wir auch noch über Impfungen.

Schauen wir optimistisch auf das neue Jahr.

Ich werde auf Miki treffen, irgendwo zwischen Wien und Berlin, möglicherweise in einer Sandkiste in Prag. Unsere Kinder, seine Tochter ist genauso alt wie meine, werden dort spielen, zum Soundtrack von „Anarchy in the UK“. Der Adler auf seinem Nacken wird uns mit seinen blauen Augen beobachten.

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