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Martina Brunner

Radio FM4 | Xaver Stockinger

rewind 2021

„Für die Clubs war das Jahr durchwachsen“

Sie sind die Ersten, die zusperren müssen und die Letzten, die wieder aufmachen dürfen. Clubs leiden während der Pandemie besonders. Martina Brunner, bis vor Kurzem Teil des Pilotprojekts Vienna Club Commission in einem Gespräch über das durchwachsene letzte Jahr, das Standing von Clubs in der Politik und die Frage aller Fragen: Wann können wir wieder auf den Dancefloor?

Von Xaver Stockinger

Nicht nur das Feiern im Club, auch unser persönliches Gespräch in den FM4 Studios hätte Corona beinahe verunmöglicht. Martina Brunner steht am Tag des Interviews vor den Toren des ORF und kann ihr Ergebnis ihres PCR-Tests nicht abrufen. Die Securities beim Haupteingang sind streng und erinnern an harte Türsteher vor den Clubs in früheren Tagen. Schließlich klappt es doch, und Martina Brunner ist drin – ein Hauch von Clubbing am Küniglberg.

Fast zwei Jahre lang war Martina Brunner einer von drei Köpfen des Pilotprojekts Vienna Club Commission. Die VCC - nach dem Vorbild des Night-Czars in London oder der Nachtbürgermeister in New York und Amsterdam – sollte zwischen Clubbetreiber*innen, Anrainer*innen und der Politik vermitteln sowie alle Seiten beratend unterstützen. Die Hauptaufgabe der Club Commission hat sich seit dem Ausbruch der Pandemie jedoch wenig überraschend voll auf die Krisenhilfe für Clubs fokussiert. Von Forderungen nach Finanzierungshilfen an die Politik bis zu FAQs zu den Öffnungsschritten reichte das Engagement. Martina Brunner kennt sich dementsprechend gut aus mit den Problemen der Clubs in jüngster Zeit.

2021: Durchwachsen mit Lichtblicken

Der Blick auf 2021 lässt keine wirkliche Freudenstimmung aufkommen. „Durchwachsen“, beschreibt Martina Brunner das vergangene Jahr aus Sicht von Clubbetreiber*innen und Veranstalter*innen. Neben dem ständigen Pochen auf Finanzierungshilfen stellte die permanente Planungsunsicherheit die größte Herausforderung dar. Gefeiert wurde trotzdem, die Partys wurden ins Freie oder in die eigenen vier Wände verlagert. Die Sorge vor einer langfristigen Verschiebung der Feierkultur weg von den Clubs teilt Martina Brunner aber nicht: „Letztendlich ist ein Cluberlebnis ein Cluberlebnis. Zu Hause Fernsehen wird den Kinobesuch auch nicht ersetzen.“

Ein Lichtblick tat sich im vergangenen Sommer auf: Die niedrigen Zahlen erlaubten nach rund eineinhalb Jahren wieder eine vorsichtige Öffnung. Die Tanzflächen wurden poliert, die Boxenwände hochgezogen, und die Leute strömten wieder in die Tanzbunker des Landes. „Es war nicht nur für die Clubs wichtig zu zeigen, ‚wir sind noch da‘, auch das Publikum konnte endlich wieder zurück in diese wichtigen sozialen und kulturellen Räume“, so Martina Brunner.

In Wien haben im Sommer sogar neue Clubs eröffnet. In den Räumen der ehemaligen ATV-Studios im zweiten Wiener Gemeindebezirk feierte der bis ins letzte Detail durchgestylte Club „Praterstraße“ seine wegen Corona schon zum dritten Mal wiederholte Eröffnung. Vielleicht nicht ganz so schick, dafür nicht weniger leidenschaftlich ging’s ab Juli im Club „Ponyhof“ am Gumpendorfer Gürtel in Wien zu. Wie mutig, wie wahnsinnig muss man sein, um in solchen Zeiten einen Club zu eröffnen? „Vielleicht macht dieser getriebene Wahnsinn die Clubbetreiber*innen aus. Es war sicher nicht der idealste Zeitpunkt, um ins Clubgeschehen einzutauchen und selbstständig zu werden. Aber ich glaube, wenn man das überstanden hat, dann kann einen so schnell nichts mehr überraschen oder erschüttern“, erklärt Martina Brunner.

Die Normalität im Sommer stand auf fragilen Beinchen. Mit einer neuen Mutante folgte der nächste griechische Buchstabe. Im November erreichte die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Österreich den bisherigen Höchstwert und das ganze Land versank wieder im Lockdown.

Sich öffentlich als Politiker*in hinzustellen und zu sagen, Clubkultur ist relevant, das war vor zwei Jahren noch nicht denkbar.

Trotz der durchwachsenen Zeiten für die Nachtgastro kam es in Österreich im Jahr 2021 laut Martina Brunner zu keinem wirklichen Clubsterben. „In den Bundesländern mussten vereinzelt Clubs zusperren, in Wien sind die Hilfsleistungen für Clubs aber relativ gut. Die Stadt hat die lokale Clubkultur mit 3 Millionen Euro unterstützt.“ Dies ist nicht zuletzt auch den Bemühungen der Vienna Club Commission geschuldet. Zusammen mit den Clubs wurden Forderungen und Lösungsvorschläge erarbeitet und an die Politik herangetragen.

Neben der sogenannten Hochkultur wie Staatsoper, Burgtheater & Co werde die Clubkultur vielleicht noch nicht als ganz gleichwertig angesehen, die Politik habe jedoch seit der Pandemie die Relevanz von Clubs für die Kulturlandschaft erkannt. So habe etwa die Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer die Clubszene als „wesentlichen Teil der Kulturszene in Österreich“ bezeichnet. Die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler sprach sogar von „sozialen und kulturellen Herzschrittmachern in Metropolen“. Martina Brunner sieht darin eine positive Weiterentwicklung: „Sich öffentlich als Politiker*innen hinzustellen und zu sagen, Clubkultur ist relevant, das war vor zwei Jahren noch nicht denkbar. Hier sind wir ein ordentliches Stück weitergekommen.“ Ebenfalls habe man seit der Pandemie verstärkt erkannt, wie wichtig Clubräume für manche marginalisierte Gruppen sind: „Menschen aus der LGBTQI*-Community brauchen Clubs oft mehr als andere, weil sie darin ein Sicherheitsgefühl erleben können, das sie im Alltag oft nicht bekommen“, erklärt Martina Brunner.

Verstaubte Dancefloors und kaum Perspektive

Aktuell liegt aber wieder Staub auf den Tanzflächen. Öffnungsschritte sind nicht in Sicht, Betreiber*innen und Veranstalter*innen schweben im Ungewissen. „Was Clubs im Moment am Dringendsten brauchen, ist eine klare Perspektive, einen Stichtag, ein Datum, mit dem wieder geplant werden kann.“ Angesichts der Unklarheit über die Ausbreitung von Omikron scheint diese Prognose schier unmöglich. Martina Brunner und ihr Team haben Ende November nach knapp zwei Jahren ihre Arbeit als Vienna Club Commission beendet. Das befristete Pilotprojekt hat die Stadtpolitik aber überzeugt und wird ab 2022 für fünf Jahre mit einem Budget von 1,5 Millionen Euro ausgeschrieben. Der Hauptzweck bleibt derselbe: Hilfeleistung in Coronazeiten, Mediation zwischen unterschiedlichen Interessengruppen und das Etablieren von Clubs als soziale und kulturell wichtige Orte.

Am Ende unseres Gesprächs leuchten bei Martina Brunner noch einmal die Augen auf, als sie mir von einem Projekt erzählt, das das scheidende Pilotteam der Vienna Club Commission noch lanciert hat: 2024 soll die Konferenz „Stadt nach 8“ nach Wien kommen, eine internationale Tagung rund um das Thema Nachtleben. Expert*innen aus aller Welt werden dabei mögliche Entwicklungen für die nächtliche Stadt von morgen diskutieren. „Da schlägt mein Herz immer höher!“, erklärt Martina Brunner mit unverkennbarer Leidenschaft. Wäre dieses Herz eine Boxenwand, ich würde gerne direkt davor stehen.

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