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Aufregung an der Uni: Coronaverharmlosung im Hörsaal

Schon seit Oktober sorgt eine Ringvorlesung in Wien für Aufsehen. Unter dem Titel „Corona – eine transdisziplinäre Herausforderung“ sollen Eckpunkte der Coronapandemie zusammen mit der Klimakrise diskutiert werden. Doch der umstrittenen Lehrveranstaltung wird eine einseitige Betrachtungsweise abseits der akademischen Sorgfalt vorgeworfen.

Von René Froschmayer

Eine Ringvorlesung ist eine Art Lehrveranstaltung, in der Vortragende aus verschiedenen Disziplinen und Hochschulen zu Wort kommen. Dadurch soll der Austausch zwischen den Studierenden und Lehrenden gestärkt werden. In jeder Einheit referieren Vortragende aus unterschiedlichen Bereichen. Diese Lehrveranstaltung ist keiner spezifischen Studienrichtung zugeordnet – alle Studierenden können daran teilnehmen. Das Ziel ist eine interdisziplinäre Betrachtung eines Themas.

So sollte es auch bei der aktuell laufenden Ringvorlesung „Corona – eine transdisziplinäre Herausforderung“ der Fall sein. Die Lehrveranstaltung wird gemeinsam von der Universität Wien, der Technischen Universität Wien und der Universität für Bodenkultur abgehalten. In 13 wöchentlichen Einheiten sollen Eckpunkte der Corona- zusammen mit der Klimakrise behandelt werden. Doch wie sich zeigt, sind einige der Vorträge eher dubios.

Verfehlte Erwartungen an die Ringvorlesung

„Ich bin in die Lehrveranstaltung ziemlich blauäugig reingegangen. Dass es in so eine Richtung geht, habe ich nicht erwartet“, erzählt uns Juliane (ihr Name wurde auf Wunsch von uns verändert), eine Germanistikstudentin, die bei der ersten Einheit der Ringvorlesung online dabei war.

„Der Titel der Lehrveranstaltung, die Transdisziplinarität und die Kooperation der Unis haben mich neugierig gemacht. Schon bei der Einleitung der Organisatorin und spätestens bei dem Vortrag von Herrn Sönnichsen, habe ich ein ungutes Gefühl bekommen. Das war mich dann doch zu ominös.“

Umstrittener Arzt als Maßnahmengegner

Den ersten Vortrag der Ringvorlesung hält der umstrittene Allgemeinmediziner Andreas Sönnichsen. Der Mediziner beharrt in der Vorlesung darauf, dass Corona für Menschen unter 45 Jahren praktisch nicht existent sei. Pandemiemaßnahmen lehnt er ab – und empfindet sie als unnötig. Die Nichtbeachtung von Coronavorgaben und die Ermutigung von Studierenden, es ihm gleich zu tun, sollte zwei Monate später zu seiner Kündigung an der Medizinischen Universität Wien führen.

Andreas Sönnichsen engagierte sich für die deutsche Basisdemokratische Partei. Dieser politischen Bewegung wird eine Nähe zur rechts-außen AfD und der Querdenken-Bewegung nachgesagt. Der Mediziner initiierte außerdem jenes inzwischen bekannte Schreiben, in dem er den Rücktritt des Präsidenten der österreichischen Ärztekammer fordert. Der von rund 200 Ärzt*innen unterschriebene Brief ist von Falschinformationen durchzogen wie ein flachsiges Schnitzel.

Psychologe und Maskengegner

Wenige Wochen später referiert bei der Ringvorlesung dann Christian Schubert. Der Mediziner ist am Universitätsklinikum für medizinische Psychologie in Innsbruck beschäftigt und leitet dort das Labor für Psychoneuroimmunologie.

„Wir sind keine Maschinen, in die man einfach eine Spritze reinsticht“, empört sich Christian Schubert in seinem Vortrag über die Covid-19-Impfung. Auch Schubert ist - wie Sönnichsen - Mitglied der „Initiative für evidenzbasierte Corona-Information“. Wenig überraschend: Er ist ebenfalls kein Befürworter von Pandemiemaßnahmen.

Schubert ärgert sich. Er kann es nicht fassen, dass andersdenkenden Menschen Unwissenschaftlichkeit unterstellt wird. Den Spieß dreht der Arzt und Psychologe um: Die Pro-Impf-Seite sieht er als die eigentlichen Wissenschaftsleugner*innen. Christian Schubert glaubt an das „freie Atmen“, nicht an die Technik. Deswegen lehnt er Schutzmasken ab. Wenn, dann trage er sie ausschließlich unter der Nase. Das sei weniger gesundheitsschädlich, meint er.

Im Chat der Onlineplattform können Fragen an die Vortragenden gestellt werden. Eine Person ist unsicher und möchte von Christian Schubert wissen, ob die Covid-19-Impfung unfruchtbar oder impotent mache. Ausschließen kann (und/oder will) der Arzt es nicht.

Faktenchecker als Propagandamaschinen

Mit Michael Meyen ist auch ein Kommunikationswissenschaftler (LMU München) Teil der Ringvorlesung. Dort unterstellt er Leitmedien, nicht die Wahrheit abzubilden. Deshalb legt er den Studierenden Alternativmedien ans Herz. Eines dieser Alternativmedien ist dann die Plattform KenFm des deutschen Verschwörungspredigers Ken Jebsen.

Laut Medienberichten soll Meyen in einer seiner Vorlesungen die Plattform als Quelle angeführt haben. Distanzieren will sich der Kommunikationswissenschaftler von Jebsen und dessen Weltanschauung in der Ringvorlesung nicht. Faktenchecker zu Coronathemen bezeichnet der deutsche Kommunikationswissenschafter als Propagandamaschinen.

Technologischer Machbarkeitswahn trifft Impfkritik

Andrea Komlosy, Historikerin an der Universität Wien, organisiert die Ringvorlesung. Sie kommt auch selbst in der Lehrveranstaltung öfter zu Wort und hält drei Vorträge. Komlosy sieht ein riesiges Profitinteresse hinter der Impfung. Ohne medizinische Kompetenzen verkündet sie die Unsicherheit des Covid-19-Impfstoffes. Es handle sich laut Komlosy nur um einen eingebildeten Schutz, das Infektionsgeschehen spräche sowieso gegen eine Impfung. Aber auch Covid-Tests steht die Historikerin kritisch gegenüber. Diese hält sie für ein Beispiel eines technologischen Machbarkeitswahns. Den Grünen Pass sieht sie als ein Mittel der staatlichen Überwachung.

Ein von uns angefragtes Interview über die Auswahl ihrer Vortragenden lehnte Andrea Komlosy ab. Darin sehe sie kein Thema, das für eine breitere Öffentlichkeit von Interesse wäre. In Anbetracht der Hintergründe ihrer Vortragenden stellt sich diese Frage einigen jedoch schon.

Von Pferdeentwurmungsmittel, Tretminen und Diktaturwerkzeugen

Abgesehen von den genannten Vortragenden selbst sorgen auch die begleitenden Vorbereitungsmaterialien für Aufregung. Bestehend aus Texten und (YouTube-)Videos weisen sie verschwörungstheoretische Tendenzen/Inhalte und Falschinformationen auf.

So kommen in diesen Begleitmaterialien Personen zu Wort, die in der Vergangenheit schon die Existenz von Aids leugneten und die Terroranschläge vom 11. September 2001 offen als „Inside-Job“ bezeichneten. Das auch von FPÖ-Chef Herbert Kickl wiederholt empfohlene Pferdeentwurmungsmittel Ivermectin wird in diesen Videos gelobt, die mRNA-Impfung wird mit Tretminen verglichen. Lockdowns versteht einer der Verschwörungstheoretiker als ein chinesisches Diktaturwerkzeug. Die Pandemie sei geplant, meint ein anderer.

ÖH: „Keine ECTS für Coronaverharmlosung!“

„Das Problem an der Ringvorlesung ist, dass die Betrachtung des Themas einseitig ist. Es werden teilweise Verschwörungstheorien und Unwahrheiten verbreitet. Aufgeklärt wird darüber nicht“, erklärt ÖH-BOKU-Vorsitzende Stefanie Nikl. Gemeinsam mit der ÖH Uni Wien, den jüdischen österreichischen Hochschüler*innen, der Studienvertretung IG POWI und der Fakultätsvertretung für Sozialwissenschaften der Uni Wien wurde ein offener Brief an die Rektorate der Hochschulen verfasst. „Die angebotene Ringvorlesung bietet eine Plattform für menschenverachtende Haltungen und muss daher abgesetzt werden! Es darf keine ECTS für Coronaverharmlosung geben“, heißt es darin.

Die Universitäten distanzieren sich auf Nachfrage von jeglicher Covid-19-Verharmlosung und appellieren zur Impfung. Die Hochschulen betonen aber auch die Wichtigkeit der akademischen Freiheit. Die BOKU kündigt an, Stellungnahmen der handelnden Personen einzuholen und diese zu prüfen.

In knapp drei Wochen soll die Abschlussprüfung der Ringvorlesung stattfinden „Der Prüfungsstoff besteht aus den Vorträgen sowie den Vortragsunterlagen“, ist der Beschreibung der Lehrveranstaltung zu entnehmen.

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