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Menschen, die verschiedene Lasten tragen und schleppen

Ines Doujak

im sumpf

„Warum reflektieren wir so wenig, wer von wem stiehlt?“

Eine eindrucksvolle Ausstellung ist noch bis 23. Jänner in der Kunsthalle Wien zu sehen. Unter dem Titel „Geistervölker“ ist sie bevölkert von Skulpturen der österreichischen Künstlerin Ines Doujak, die menschliche Plünderer Seite an Seite mit überdimensionierten Ratten und auf Stoffen verewigten Abbildungen getöteter Fliegen zeigen.

Die Ausstellung „Geistervölker“ blickt den Verheerungen des Kapitalozäns, wie das Zeitalter des Kapitalismus neuerdings genannt wird, ins Auge und versucht, die großen Trennungen der Moderne zu kritisieren und auch ein Stück weit zu überwinden. Die großen Trennungen, das meint den Bruch zwischen Natur und Kultur, zwischen Mensch und Tier, zwischen Mann und Frau, zwischen Lebewesen und Lebensform.

Thomas Edlinger hat sich mit der Künstlerin Ines Doujak in den Ausstellungsräumen der Kunsthalle Wien zu einem Interview getroffen.

Radio FM4: Die Ausstellung trägt den etwas rätselhaften Titel „Geistervölker“. Was sind Geistervölker?

Ines Doujak: Geistervölker ist ein Begriff, den ich der Anthropologie entnommen habe. Manchmal wird von Zivilisationen nur ein Knochen gefunden, und man kann aus diesem Knochen überhaupt keine Rückschlüsse ziehen. Wer war das? Wie haben die Leute gelebt? Ich habe mir diesen Begriff ausgeborgt, auch weil ich denke, dass, wenn das alles so weitergeht, uns ein ähnliches Schicksal droht.

Radio FM4: Das ist eine relativ pessimistische Ansage, aber vielleicht recherchegesättigt?

Ines Doujak, geboren 1959 in Klagenfurt, lebt und arbeitet in Wien.

Ines Doujak: Ich beschäftige mich ja schon sehr lange mit Kapitalismus, mit Neoliberalismus, mit Welthandel und den ganzen Begleiterscheinungen, eine davon sind immer schon Pandemien. Die jetzige Pandemie trifft uns insofern überraschend, weil wir bis jetzt in Zentraleuropa davon verschont geblieben sind. Also alle anderen Länder haben einen Umgang damit und wissen, was das bedeutet. Wir hatten sozusagen die letzten 100 Jahre wenig damit zu tun und sind umso erschrockener. Aber natürlich ist diese Pandemie ein Effekt von kapitalistischer Ausbeutung und ich bin insofern pessimistisch, weil sich die Ursachen dieser Pandemien ja nicht verändert haben, die haben sich beschleunigt.

Radio FM4: Wir sind alle Hobbyexpert*innen der Pandemieforschung geworden in den letzten eineinhalb Jahren. Dann haben wir von diversen Überträgern gehört, von der seltsamen Zwischenform des Virus, von dem man nicht weiß, ist es ein Lebewesen oder ist es kein Lebewesen - eher keins. All das sind Formen, die eigentlich so festgenagelte Unterscheidungen zwischen Mensch, Tier, Lebewesen und Lebensformen unterlaufen. Viele der Arbeiten, die man in der Ausstellung sehen kann, verfolgen vielleicht ähnliche, auch ästhetische Zielsetzungen, dass sie bestimmte Unterscheidungen zu unterlaufen versuchen. Kann man das so fassen?

Ines Doujak: Ja, man kann es so fassen. Seit sechs Jahren beschäftige ich mich schon mit Collagen, wo ich versuche, diese Trennung zwischen uns und den Anderen oder dem Anderen zu überschreiten oder durchlässiger zu machen. Ich glaube, dieses Konzept, dass der Mensch oder, besser gesagt, der Mann die Krone der Schöpfung ist, ist total obsolet. Das hat uns auch, glaube ich, dahin geführt, zu diesen ungeheuren Auswüchsen, die wir momentan erleben.

Radio FM4: Hier haben wir es zum Beispiel mit einer vierteiligen Wandarbeit zu tun, die die Rückseite oder Unterseite von Ladevorgängen zeigt, die wir in erster Linie von unseren Handys oder von unseren Computern aus kennen, wo das Schlaglicht auf die physische Last des Ladens geworfen wird. Also Laden im Sinne von Tragen und im Sinne von, könnte man sagen, moderner Sklaverei oder sehr ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen. Könnten Sie das ein bisschen beschreiben, was da so Ihre Übersetzungsarbeit ist bei solchen gedanklichen Überlegungen?

Menschen, die verschiedene Lasten tragen und schleppen

Ines Doujak

Lastenträger*innen (Detail), 2014

Ines Doujak: Ich habe mich viel mit globaler Schifffahrt und Häfen beschäftigt. Man sieht, dass es komplett vollautomatisch gesteuerte Versandsysteme gibt. Auf der anderen Seite, auf meinen Reisen, habe ich immer wieder gesehen, was Leute physisch auf ihrem Rücken durch die Gegend schleppen. Wir leben ja in diesen ungeheuerlichen Gleichzeitigkeiten, wo es viel billiger ist, jemanden einen Kühlschrank einen Berg hinaufschleppen zu lassen, als ein Fahrzeug einzusetzen.

Das ist auch das, was in den letzten Jahren so zynisch als Überflussbevölkerung oder als human waste, als menschlicher Abfall, bezeichnet worden ist. Das sind genau die Leute, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind. Ich habe versucht, eine Darstellungsform dafür zu finden und es wurden Maulwurfstunnels gemalt. Ich habe darin Haufen mit goldenen Eiern appliziert und dazwischen sieht man diese Menschen, die ich hauptsächlich im globalen Süden, also in Sao Paulo, in La Paz, in Seoul fotografiert habe. Die habe ich collagenartig in diesen Gängen aufgereiht, mit ihren Lasten, die sie tragen und ertragen.

Radio FM4: Das könnte vom inhaltlichen Ansatz auch an österreichische Dokumentarfilme erinnern, „Megacities“ und ähnliche Filme, die sich ähnlichen Themen gestellt haben. Die Schifffahrt, die vorher angesprochen wurde, ist ja vielleicht ein Synonym eines globalisierten 24/7-Welthandels, der niemals aufhört und der auch so etwas wie die materielle Rückseite der zu Unrecht als immateriell verstandenen Datenströme abbildet. Es werden nach wie vor hauptsächlich Dinge bewegt, von A nach B nach C.

Am anderen Ende der Ausstellung gibt es eine sehr ruhige Videoinstallation, bei der man eine Krähe sieht, die auf einen Fluss schaut. Auf dem Fluss sieht man aber keine Schiffe, sondern Eisschollen. Dazu gibt es einen Text, der ebenfalls von Worten gesättigt ist, die zur Beschreibung dieser Handelsformen immer wieder verwendet werden, wie just in time. Es gibt auch eine Just-in-time-Produktion, also das, womit wir jetzt ein Problem haben, weil es nicht mehr funktioniert, weil sich in den Containerhäfen Rückstau sammelt. Das sieht man aber alles nicht. Warum?

Ines Doujak: Es gab dieses eine Bild von dem Schiff, das sich im Suezkanal quergestellt hat, mit den ganzen Konsequenzen, diesem ungeheuren Rückstau an Containerschiffen, diesen Tieren - das wusste ich auch nicht, dass dermaßen viel Lebendtier durch die Welt verschifft wird -, die fast verhungert wären, die quasi aus Rumänien nach Saudi-Arabien geliefert werden, auch wenn man das nicht vergleichen sollte, unter ähnlichen Bedingungen wie ehemals bei den Sklaventransporten. Das heißt, der Gewinn ist so ungeheuerlich, dass es sich auszahlt, wenn ein Drittel der Fracht stirbt oder draufgeht. So ein Bild ist eigentlich kaum zu toppen. Ich glaube, dass das aber so einprägsam war, dass das in unserer kollektiven Erinnerung vorhanden ist. Ich habe natürlich nicht das Budget, um von Getty solche Bilder zu kaufen, die sind ja alle monopolisiert. Deswegen habe ich diese sehr schöne Sequenz, das ist tatsächlich die Donau im Winter, genommen, um irgendwie diesen kontinuierlichen Fluss, diese kontinuierliche Wiederholung zu beschreiben.

Im Rahmen der Ausstellung gibt es auch fünf Podcasts zum Thema Krankheit und Pandemie zu hören.

Radio FM4: Vor uns ist ein recht spektakuläres Bild, eine mutiert wirkende Ratte, die auch etwas Saurierhaftes hat, die aber gleichzeitig auf Rädern steht.

Ines Doujak: Das ist tatsächlich eine vergrößerte Replika einer mumifizierten Ratte. Die ist durch das Museumsquartier bis zur Mariahilfer Straße gefahren, mit zwei Boxen am Rücken, über die Musik gespielt wurde. Es wurde versucht, Leute zu aktivieren und in die Kunsthalle zu bringen. Das erste Monat gab es einmal in der Woche ein gemeinsames Podcast-Hören, was ich sehr wichtig gefunden habe, weil wir uns jetzt wirklich überlegen müssen, wie wir überhaupt wieder zusammenkommen können, und ich das auch so ein bisschen traurig finde: Die Podcasts sind zwar in Ausstellung zu hören, aber dann sitzt jeder da mit seinen Kopfhörern und kann mit niemandem kommunizieren. Insofern war das irgendwie sehr schön, diese Form zu finden.

Raum in der Kunsthalle mit Werken von Ines Doujak

Markus Wörgötter

Radio FM4: Zu Beginn der Ausstellung, vor der eigentlichen Eintrittssituation, gibt es auch eine Ansammlung von Skulpturen, die unter dem Begriff der „Plünderer“ laufen. Ich kann mich noch dunkel erinnern an die Plünderungen in London, als viele Sneakers und so weiter geplündert wurden und man sich gefragt hat: Was sind das für junge Leute, die so fetischhaft auf die ikonischen Konsumgüter dieser Welt so scharf sind?

Ines Doujak: Das war 2011, der Ausgangspunkt für diese ganze Serie. In der Ausstellung sind nur ein paar zu sehen, es gibt einen ganzen Flashmob von Plünderern. Damals hat der englische Innenminister gesagt, diese Leute sind ja feral, also das sind keine Menschen mehr, sozusagen dem Menschlichen nicht mehr zuzuordnen. Ich bin natürlich erschrocken, weil wir wissen aus der Geschichte, was passiert, wenn Menschen ihr Status abgesprochen wird. Andererseits habe ich mich gefragt, warum die Gesellschaft so wenig darüber reflektiert, wer von wem stiehlt.

Ich habe damals sehr viel mit Mode gearbeitet und auch eigene Produktlinien entworfen und habe dann als Testimonial statt Kate Moss jeweils einen Plünderer porträtiert, der dann auch für diese Kollektion gestanden ist. Jetzt in der Ausstellung sind sie etwas willkürlich verstreut. Einer ist gleich neben uns, neben einer Bodenfliese, die vielleicht diese ganzen Themen in der Ausstellung sehr breit repräsentiert. Das ist eine Nervenzelle. Wenn ich über globale Ökonomien spreche, ist das eine Arbeit, die heißt „Economies of Desperation“.

Radio FM4: Verzweiflungsökonomien ...

Ines Doujak: Da werden die ganzen illegalen Geschäftspraktiken beschrieben: der moderne Sklavenhandel, der Landraub, der Waffenhandel, der Drogenhandel und auch die Überschneidungen zu dem, was Wirtschaft ist, so wie wir sie verstehen.

Raum in der Kunsthalle mit Werken von Ines Doujak

Markus Wörgötter

Radio FM4: Eine andere Videoarbeit handelt von dem instinktverlorenen Verhältnis von Hauskatzen zu Mäusen. Verknappt gesagt: Eine Katze ist mit einer Maus in einem Raum konfrontiert und jagt sie nicht. Eine der spekulativen Antworten zum Schluss dieses Videos, warum denn das so sein könnte, ist, dass die Pandemie auch diese Situation verändert hat. Gibt es hier so eine Art Lähmung von bisherigen Gewohnheiten?

Ines Doujak: Ich würde das gar nicht als Sinnbild für die Ausstellung nehmen. In der Ausstellung gibt es sehr viele Tiere und die meisten sind auch in irgendeiner Form mit Pandemien verknüpft. Fliegen, Ratten, Fledermäuse, dahinten steht eine Hyäne und so weiter. Mich interessieren die Tiere insofern, weil mich auch immer interessiert, wie etwas benannt wird oder kategorisiert wird und was für Konsequenzen sich jeweils daraus ergeben. Der Film mit meiner Katze, die eine teuflische Mörderin ist, ist eher zufällig entstanden, weil ich tatsächlich gedacht habe, dass sie diese Maus ekstatisch töten wird. Weil aber diese Maus sozusagen keinerlei mäusische Verhaltensformen gezeigt hat, wurde sie von meiner Katze tatsächlich nicht als Maus erkannt.

Radio FM4: Kann man aus Ihrer Sicht so etwas wie den Menschen definieren?

Ines Doujak: Das ist eine wirklich schwierige Frage. Ich glaube, man sollte vielleicht über andere Sachen nachdenken. Nicht so sehr, was den Menschen definiert, sondern wie wir zu einer Art Gerechtigkeit kommen könnten. Es gibt ja immer wieder Versuche, die temporär funktionieren. Man muss nur zum Beispiel die neue bolivianische Verfassung hernehmen. Die ist eine der fortgeschrittensten, die wir haben auf der Welt, und beruht tatsächlich auf Gerechtigkeit und Gleichheit. Ich meine, wenn man die Hoffnung verliert, dann muss man sich in der Ecke setzen und weinen. So versuchen wir zu tun, was wir können, und machen irgendwie weiter.

Das Interview mit Ines Doujak war am 12. Dezember 2021 in FM4 Im Sumpf zu hören. Die aktuelle Sendung gibt es für 7 Tage in der Radiothek.

Die Ausstellung Ines Doujak. Geistervölker ist noch bis 23. Jänner 2022 in der Kunsthalle Wien zu sehen.

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