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The Weeknd

Brian Ziff

The Weeknd tanzt sich auf „Dawn FM“ durchs Fegefeuer

Der Antiheld von „After Hours“ katapultiert uns mit spacigen Synthesizer und stampfenden Beats zurück auf den Dancefloor der 80er Jahre – und sucht dabei die Erlösung.

Von Melissa Erhardt

Hedonismus, Ekstase, Reue: Damit spielt The Weeknd seit über 10 Jahren. Auf seinen Projekten verirrt sich der kanadische Popstar seit eh und je in klaustrophobische, dunkle Gassen: Denken wir nur an das markdurchdringende Geschrei über die ohnehin schon Gänsehaut-evozierenden Synths in „The Hills“ oder seinen schwindelerregenden (und to be honest etwas verstörenden) Lauf durch ein Spiegelkabinett in der Super Bowl Halftime Show. Nur selten dürfen wir als Hörer*innen das Licht sehen – schließlich macht das Rohe, das Dunkle, das Undurchdringbare ja irgendwie auch die Essenz seines Erfolges aus. Auf seinem neuesten Projekt „Dawn FM“ sollte sich das ändern. Zumindest verspricht das eine von Jim Carrey gesprochene Radiostimme in seinem Promovideo zum neuen Album:

You are now listening to 103.5 Dawn FM. You‘ve been in the dark way too long, it‘s time to walk into the light and accept your faith with open arms.

Dawn FM als Fegefeuer

Dass wir diese Lichtblick-Metapher im religiösesten Sinn überhaupt verstehen können, wird im Laufe des Albums immer deutlicher: Dawn FM, das ist The Weeknd auf seinem qualvollen Weg durch das Fegefeuer, das finale Abschließen mit seinem sündhaften Leben, bevor er Erlösung erfährt. Deswegen auch der grauhaarige, gealterte The Weeknd auf dem Albumcover.

Song zum Sonntag

Christoph Sepin hat letzte Woche in seiner Song-zum-Sonntag-Kolumne bereits „Here We Go ... Again“ von The Weeknd feat. Tyler, The Creator besprochen

Dass Abel Tesfaye, so The Weeknd mit bürgerlichem Namen, auf seinen Projekten gerne mit solchen filmisch aufgebauten Welten spielt, das wissen wir spätestens seit seinem 2020 releasten und gefeierten Album „After Hours“. Der Antiheld von After Hours sucht auf „Dawn FM“ jetzt also die Erlösung – und Dawn FM ist die Radiostation, die uns auf dem Weg durch diese „painless transition“ begleitet, Jim Carrey unser Host. Immer wieder erinnert er uns und The Weeknd daran, dass wir bald geheilt sein werden, von unserem Trauma, unserem Schmerz, der Schuld und der Scham. Wir müssen nur noch ein bisschen durchhalten.

Der Dancefloor der 80er ruft

Musikalisch verabschiedet sich The Weeknd schon seit „Starboy“, wahrscheinlich sogar seit „Beauty Behind The Masses“, schrittweise von seinem dunklen R’n’B-Entwurf der Anfangsjahre. Auf „Dawn FM“ schafft er den soundtechnischen Absprung nun endgültig: Auf der Platte katapultiert er uns zurück auf den Dancefloor der 80er Jahre, irgendwo zwischen Quincy Jones und Giorgio Moroder. Die Diskokugel schimmert im Scheinwerferlicht, wenn The Weeknd auf „Gasoline“ oder „How do I Make You Love Me?“ in Synthesizer-Exzessen schwelgt und Erinnerungen an Donna Summer oder Kraftwerk wachruft. Diesen 80er-Film ziehen die Produzenten Max Martin, Oscar Holter und Oneohtrix Point Never durch das gesamte Album. Das schafft sogar nostalgische Momente bei uns Gen Z’ers, die die 80er eigentlich nur von Tanzeskapaden der eigenen Eltern oder corny 80er Motto-Partys kennen.

Der erste Track „Gasoline“ ist übrigens schon der erste Hint darauf, dass sich The Weeknd noch nicht von seinen Sünden befreit hat, sondern derselbe wie immer ist:

It’s 5 AM, I am high again and you can see that I am in pain. / It’s 5 AM, I’m nihilist I know there’s nothing after this.

Den glitzernden Synth-Pop-Sound baut er bis „Take my Breath“ konstant auf, einem Disco-Hit mit dem für ihn typischen Four-on-the-Floor-Beat. Im dazugehörenden Musikvideo findet sich The Weeknd in schwarzem Ledermantel und getönter Brille mitten auf dem Dancefloor wieder, eng umschlungen mit seinem Love-Interest, während die beiden sich gegenseitig buchstäblich den Sauerstoff entziehen. In seiner Extended Version ist die Single trotz Vorab-Release ein kleiner Höhepunkt des Albums: Sie erinnert an frühere Singles wie „Blinding Lights“ oder „I Can Feel it Coming“, spannt den 80er Sound aber noch um einiges weiter und perfektioniert ihn.

Von Disco zu Slow-Jams

Nach „A Tale by Quincy“, einer kurzen Psychoanalyse-Session mit Michael-Jackson-Starproducer Quincy Jones, auf der dieser sein geschädigtes Verhältnis zu seinen Kindern auf die fehlende Mutterfigur in seinem Leben zurückführt und mit einem amüsanten „Looking back is a bitch, isn’t it?“ endet, geht es etwas ruhiger weiter. Wir wechseln langsam von Synth-getriebenem Disco-Pop zu smootheren Slow Jams.

„Out of Time“ basiert etwa auf einem Sample des japanischen City-Pop-Hits der 80er, „Midnight Pretenders“, während lyrisch langsam wieder der reumütige Weeknd zum Vorschein kommt:

There’s so much trauma in my life / I’ve been so cold to the ones who loved me, baby / I look back now and I realize.

Mit dieser Smoothness gehen die Produzenten aber fast ein bisschen zu weit. „Here We Go… Again“ klingt mit seinem glitzernden Sound und der soften Stimme von Tesfaye fast schon ein bisschen zu kitschig – noch dazu, wenn er dabei von seinem Movie-Star-Girl schwärmt. Man sagt übrigens, das sei Angelina Jolie, aber das sind nur Gerüchte. Die notwendige Edgyness bringt hier Tyler the Creator mit, neben Lil Wayne das einzige Feature am Album, der sich auf seinem (leider sehr kurzen) Part lieber auf Verträge als auf seine Gefühle verlässt:

„We don’t need the government involved because we like to touch/ We don’t need no damn religion telling us that we in love / But if we did crush down the road, spendin’ lawyers feed up / Pen and pad gon’ save my ass if these feelings freeze up.“

Die Moral der G‘schicht?

Auch auf „Dawn FM“ schafft es The Weeknd letztendlich aber nicht, sich von seinen Sünden zu befreien. Er versucht zwar immer wieder, aus dem dunklen Loch zu kriechen, scheitert aber jedes Mal daran - auch diesmal, wo er uns doch eigentlich das Gegenteil versprochen hat. Das macht er auf dem letzten Track „Less Than Zero“ nochmal deutlich - verkleidet in einem eingängigen, sehr einfach gestrickten Popsong:

I can’t get it out of my head / No, I can’t shake this feeling that crawls in my bed / I try to hide it, but I know you know me / I try to fight it, but I’d rather be free.

The Weeknd scheint darauf nicht über eine Frau zu singen, sondern über sich selbst, über The Weeknd, der sich immer wieder selbst enttäuscht.

Das ist eben die Sache bei The Weeknd, die seine Musik trotz des Mainstream-Pop-Charakters spannend macht: Es gibt bei ihm nicht nur eine Ebene. Auf „Don’t Break My Heart“ spricht er vielleicht von einer Frau, vielleicht aber auch von einer Droge, von der er nicht loskommt. Auf „Starry Eyes“ spricht er möglicherweise wieder von Angelina Jolie (Fans eskalieren bei diesen Gerüchten wirklich), möglicherweise aber auch von den Ups und Downs des Ruhms, wie er es zuletzt mit Rosalía auf „La Fama“ getan hat. Wir können uns bei ihm eben nie so sicher sein, und das macht auch den Reiz des Ganzen aus, den Spaß, den wir beim Hören haben.

Ob es The Weeknd letztendlich in den Himmel schafft oder nicht, das bleibt offen – und deutet auf eine Fortsetzung hin. Dafür liefert uns unser imaginärer Lieblings-Radio-Host Jim Carrey gegen Ende nochmal weise Worte, wenn er sich in fast schon spiritueller Manier an uns wendet und sagt: „Heaven’s for those who let go of regret (...) You gotta unwind your mind, train your soul to align and dance ’till you find that divine boogaloo". Ein guter Abschluss, würde ich sagen.

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