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Schüler und Schülerinnen mit Masken

APA/AFP/Ina FASSBENDER

Covid-19 und die österreichische Schule: Alte Probleme deutlich verschärft

Die Pandemie hat in vielen gesellschaftlichen Bereichen die bereits bestehenden Probleme verschärft und deutlich sichtbar gemacht – so auch in der österreichischen Schule. Offen ist, wie damit in Zukunft umgegangen wird.

Von Livia Praun

Distance Learning, Hybrid-Lehre, „regulärer” Präsenzunterricht mit nur einzelnen geschlossenen Klassen: Die Pandemie hat an den österreichischen Schulen für viel Trubel gesorgt. Marie war 16 Jahre alt, als die Pandemie ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. Sie hat damals eine AHS in Wien besucht und vergangenes Jahr nach zwei turbulenten Corona-Schuljahren maturiert. Für sie war diese Zeit nicht einfach, obwohl sie, wie sie selber sagt, sehr privilegiert ist.

Die Pandemie hat nämlich deutlich gemacht, dass der soziale Background für den Schul- und Lernerfolg ausschlaggebend ist. Marie hat am Online-Unterricht im eigenen Zimmer und am eigenen Laptop mit genügend Ruhe und Platz teilnehmen können. Sie hat Eltern, die gut deutsch sprechen können und gut in der Schule waren und deshalb ihr bei Problemen auch helfen können. Viele andere Kinder und Jugendliche im österreichischen Schulsystem haben diese Unterstützung nicht.

Zu wenig Unterstützung für Benachteiligte

Das Problem der ungleichen Chancen ist aber nicht erst mit der Pandemie aufgetreten, erklärt der Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann: „Das österreichische Schulsystem tut viel zu wenig, um die mit wenigen Ressourcen oder besonderen Bedürfnissen zu unterstützen.“ Er lehrt und forscht an der Universität Wien. Die Schüler*innen in Österreich sind stark auf außerschulische Unterstützung angewiesen. Mittlerweile nehmen fast 40% der Schüler*innen bezahlte Nachhilfe in Anspruch, und weit mehr als die Hälfte braucht regelmäßige Unterstützung von Dritten. So hängt der Lernerfolg der Schüler*innen stark von ihrem Umfeld und ihren Ressourcen ab, erklärt Hopmann.

Der Grund dafür liegt für Hopmann darin, „dass man nicht in der Schule lernt, was man für die Schule braucht.“ Die Leistungserwartungen an die Schüler*innen seien schon Jahre vor der Pandemie deutlich hochgeschraubt worden. Deshalb sei der Lehrplan so vollgestopft, dass die Unterrichtszeit nicht ausreicht, und die Kinder und Jugendlichen zunehmend zu Hause Aufgaben erledigen und lernen müssen. Marie hat das als Schülerin und auch als Nachhilfelehrerin gesehen: „Die Schule hört ja nicht auf, wenn man nach Hause kommt: Auch zu Hause hat man viel für die Schule zu tun, ob Hausaufgaben, Projekte oder ausstehende Abgaben.“

Online-Unterricht verstärkt soziale Ungleichheiten

Im Distance Learning haben die Schüler*innen besonders viele Arbeitsaufgaben bekommen, erzählt Marie - Arbeitspakete statt Unterricht. Das vermehrte eigenständige Erarbeiten von Inhalten hat aber mit dem Ende des Fernunterrichts nicht aufgehört, erzählt Marie. Es brauche aber eine Abkehr von genau diesem Trend, betont Hopmann, es sei wichtig, dass die Kinder hauptsächlich in der Schule und gemeinsam lernen:

Die Schule funktioniert hauptsächlich gut, weil ich mitbekomme, wie die anderen lernen.

Das falle beim Distance Learning weitestgehend weg und damit werde gerade den Schüler*innen, die von vornherein wenige Lernressourcen haben, auch noch „der wichtigste Mitlerner“ entzogen, so Hopmann weiter.

Wegen der Pandemie und der Umstellung auf Homeschooling konnte ein großer Teil des Stoffes nicht durchgenommen werden. Das führte dazu, dass der Druck, nachzuholen, zu lernen und zu leisten, jetzt noch größer ist. Marie sieht, dass Schule für viele mittlerweile nur noch Stress bedeutet:

Für viele ist die Schule einfach nur ein Hassort, von dem sie so schnell wie möglich wegkommen wollen.

Dabei sollte die Schule genau jetzt ein Ort sein, an dem die Kinder und Jugendlichen sich sicher und akzeptiert fühlen können, erläutert Hopmann. Die Pandemie sei nämlich eine „epochale Krise, die sich tief in die Biografie der Kinder und Jugendlichen tief einschreiben wird“. Einige Studien zeigen, dass bei Jugendlichen psychische Krankheiten und besorgniserregende Symptome wie Ess-, Angst- und Schlafstörungen seit Beginn der Pandemie enorm zugenommen haben. Trotzdem habe sich bis jetzt an den Prioritäten in der Schule nichts geändert: „Unter Fassmann hat die Schule mit der Fantasie reagiert, das einzige Problem (der Pandemie) seien diese Bildungslücken! Anstatt ein pädagogisches Projekt zu entwickeln: Wie helfe ich Kindern in einer epochalen Krise, wo vielleicht die Oma an Covid gestorben ist, und Papa den Job verloren hat?“

Abspecken der Lehrpläne

Teil dieses Konzepts könnte etwa sein, die „absurden“ Erwartungen, was die Lerninhalte betrifft, herunterzuschrauben, erklärt Hopmann. Dadurch könnten die Lehrer*innen auch wieder Zeit haben, wirklich zu unterrichten, und nicht nur „alles schnell abzuhaken“, wie Marie es nennt. Auch sie sieht ein Problem darin, dass die Lehrpläne unrealistisch sind: „Das sagen die Lehrer oft auch selber, dass sie jetzt Themen nicht erklären können oder gar überspringen müssen, um am Lehrplan dran zu bleiben.“ Marie findet es wichtig, dass die Fülle an Hausaufgaben reduziert wird: „Was es wirklich braucht: Schule mehr in der Schule lassen, und nicht zu sehr nach Hause bringen. So, dass alle irgendwie die gleichen Chancen haben.“

Um auf die einzelnen Schüler*innen besser eingehen zu können, sei es vor allem auch wichtig, dass man von der Idee ablässt, „dass dasselbe für alle gut ist“, erklärt Hopmann. Je nach Fach, je nach Zusammensetzung, je nach Situation könnte man manchmal 40 Kinder gut unterrichten, und manchmal sei schon eine Gruppe von 10 Kindern zu groß. Der Unterricht müsse flexibel organisiert werden, erklärt Hopmann. Unterschiedliche Lehreranzahl, unterschiedliche Gruppengrößen, unterschiedliche Unterrichtsmengen – das ist es, was es für ihn braucht, um die Schüler*innen besser zu unterstützen, die momentan links liegen bleiben.

Gemeinsames Lernen am wichtigsten

Aus der Pandemie könne man vor allem lernen, dass der Unterricht in Präsenz dringend notwendig ist, erklärt Hopmann. Einerseits, weil es den Kindern und Jugendlichen damit wesentlich besser gehe, und andererseits, weil das gemeinsame Lernen, der gemeinsame Austausch extrem wichtig für die Schüler*innen seien. Der Fokus sollte daher in Zukunft unbedingt auf der gemeinschaftlichen Arbeit und Leistung liegen statt auf individueller Leistungsbewertung. „Schule ist nie der Ort gewesen, der besonders geeignet ist für Spitzenleistung. Die grundsätzliche Idee des Schulfachs war es ursprünglich zu lernen, sich mit anderen über Sachverhalte, über die Welt zu verständigen.“

Obwohl gerne gesagt wird, dass die Pandemie „frischen Wind“ ins Schulsystem bringe, seien bislang kaum nachhaltige, positive Veränderungen passiert. Und dass das in naher Zukunft passiert, hält Hopmann für sehr unwahrscheinlich, denn weder die Regierungsparteien noch die Oppositionsparteien hätten großes Interesse daran, etwas an der jetzigen Situation zu ändern.

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