Der kritische Blick auf Tirol: „Almen aus Plastik“ von Von Seiten der Gemeinde

Mit „Almen aus Plastik“ beschäftigt sich die Hip Hop-Formation Von Seiten der Gemeinde auf Albumlänge mit ihrer Heimat Tirol. Dialekt-Schnipsel aus dem Regional-Fernsehen und der „Piefke-Saga“ treffen auf Scratches, Beats und Mundart-Rap.

Von DJ Phekt

Obwohl Österreich ein vergleichsweise kleines Land ist, verändern sich die Dialekte beim Durchqueren mit dem Zug oder Auto gefühlt im Stundentakt. Jede Region hat ganz spezifische Mundartausdrücke und Redewendungen, die für Menschen aus anderen Bundesländern teils wie eine Fremdsprache klingen. In Oberösterreich sagt man in manchen Gegenden zum Beispiel „netta“ statt „nur“. Oder nennt den Nachnamen am Telefon vor dem Vornamen.

Die Tiroler Hip Hop-Formation „Von Seiten der Gemeinde“ kann davon ein Lied singen. Oder davon inspiriert gleich ganze Alben machen. Seit Jahren rücken Rapper YoZepp und die beiden DJs und Produzenten Chrisfader und Testa den Dialekt des Tiroler Oberlands raffiniert ins Zentrum ihres künstlerischen Schaffens.

Auf ihrem neuen Werk „Almen aus Plastik“ blicken sie kritisch auf Tirol und behandeln Themen wie Massentourismus, Pandemie-Management oder Apres-Ski-Wahnsinn im Rahmen humorvoller Songs, bei denen manchmal das Lachen im Hals stecken bleibt.

Bischt a Tiroler...

Dann werden dir viele der Themen von „Almen aus Plastik“ sehr bekannt vorkommen: Vermüllte Pisten, Après-Ski-Gelage, überarbeitete Kellnerinnen, die von Betrunkenen angelabert werden. „Almen aus Plastik“ ist ein inhaltlich vielschichtiges Album, das es schafft, Kritik, Humor, Lokalkolorit und musikalisches Können stimmig zu vereinen.

Die Band hat wieder unzählige Stunden damit verbracht, passende, teils absurde Dialekt-Sprachsamples zu finden, die dann über den Plattenteller perfekt als Ergänzung zu YoZepps Texten zugespielt werden. Erstmals wurde nicht nur im Regional-TV gesucht. Die „Piefke-Saga“ kommt ebenso vor wie Mitschnitte aus Radiobeiträgen, einer Messe oder die Stimme von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der bekanntlich auch einen Tirol-Bezug hat.

Musikalisch klingt „Almen aus Plastik“ moderner als die Vorgänger. Wobei man sich nicht täuschen darf. Bei genauem Hinhören erkennt man in einem vermeintlichen Synthesizer-Sound eine gepitchte Kuhglocke (beim Track „Mahatma Granti“) oder blökende Schafe. Auch in der Produktion und bei der Auswahl der Sounds wurde auf den Tirol-Bezug geachtet.

Wolffreie Zone

Mit der Single „Wolffreie Zone“ hat das Trio beeindruckend gezeigt, wie man in einem vermeintlich lokalen Thema wie dem Eindringen eines wilden Wolfs in einer Tiroler Region eine Metapher zur Flüchtlingskrise finden kann.

Das animierte Video zum Song ist wahrscheinlich das aufwändigste Hip Hop-Musikvideo, das hierzulande je gemacht wurde. Entstanden während nicht enden wollender Lockdowns, als Zeitvertreib und Referenz-Projekt befreundeter Video-Künstler von den „Fat Green Monkey Studios“.

Als Gäste sind auf „Almen aus Plastik“ unter anderem Kabarettist, Schauspieler und DJ-Kollege David Scheid zu hören, der auf dem Song „Anna“ in der Rolle eines deutschen Après-Ski-Besuchers rappt. Außerdem ist Rapper Wisdom alias Worst Messiah gefeatured, von dem auch die Idee zum großartigen Titel der Platte stammt. Er ist auf dem Album unter dem Alter Ego Tommy Bettelwurf beim Track „Toad“ erstmals als Tiroler Dialekt-Rapper zu hören. Sehr spannend.

„Almen aus Plastik“ ist via DuzzDownSan erschienen und sowohl digital wie auch als Vinyl-Schallplatte erhältlich. Großes Rap-Kino aus Österreich, bei dem es in den Details viel zu entdecken gibt. Außerdem eine gute Gelegenheit, den Tiroler Dialekt zu dechiffrieren. Demnächst (am 13.1. 2022 um 20.15 Uhr) präsentiert die Band die Platte live bei unseren Freunden von DachsbauTV in Innsbruck.