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Kristen Stewart als Diana im gelben Kostüm, schaut traurig. Eine Szene aus "Spencer".

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The Nightmares at Christmas

Pablo Larraín zeigt wieder wenige Tage im Leben einer Frau, die früh zur Ikone wurde: Dem Film „Spencer“ gelingt ein anderer Einblick als etwa „The Crown“. Kristen Stewart legt den Kopf schief und brilliert als Lady Diana.

Von Maria Motter

Für alle, die sich schon jetzt auf die nächste Staffel von „The Crown“ freuen, gibt es zur Überbrückung das Kino: „Spencer“ startet am 13. Jänner in Kinos in Österreich. Im Sandringham House, einem der zwei privaten Wohnsitze der britischen königlichen Familie, näht das Personal die schweren Vorhänge in einem Zimmer zu: Die Princess of Wales – berührend und großartig gespielt von Kristen Stewart – gewährt Paparazzi zu viel Einblick.

Kristen Stewart als Lady Di in „Spencer“ wird die Fäden mit einer Zange durchzwicken, die sie vom Küchenchef hat. Der chilenische Regisseur Pablo Larraín erzählt über die Weihnachtstage 1991 das Elend dieser Princess of Wales, der gebürtigen Diana Frances Spencer. Noch bevor das Titelinsert mit ihrem Mädchennamen erscheint, wird das Küchenregiment vorgestellt. Auf Kamerahöhe mit einem toten Fasan auf der Allee zum Landsitz fährt ein Militärkonvoi auf uns zu. Ein Insert gibt die Lesart vor: "This is a fable based on a true tragedy.“

Kristen Stewart als Lady Di in "Spencer".

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Die Vergangenheit und die Zukunft seien bei den Royals ein- und dasselbe, eine Zukunft gäbe es nicht, sagt Kristen Stewart als Lady Diana in „Spencer“.

„Spencer“ funktioniert wie ein Vergrößerungsglas

Der Regisseur greift hier auf das Erfolgskonzept von „Jackie“ zurück: Pablo Larraín porträtierte bereits eine andere Frau, deren Leben, Liebe und Tragik auch Millionen bewegte und erschütterte, und die – wie Diana – Vorbild und Stilikone für Generationen war, über eine Momentaufnahme mit der knapp gewählten erzählten Zeit weniger Tage. Natalie Portman spielte 2017 souverän Jackie Kennedy.

Die zeitliche Verdichtung wirkt auch in „Spencer“ wie ein Vergrößerungsglas. Das macht den Film so besonders, weil dadurch das System, mit dem Lady Di konfrontiert war, in seiner Kälte deutlich wird. Kristen Stewart trägt weltbekannte Kleider und erklärt in ihrer Rolle als Princess of Wales, dass sie sich fühle wie ein Insekt unter einem Mikroskop. Ihre Augen sind oft glasig, von der Bulimie, von Ärger und Trauer über die Untreue des Mannes. Um ein paar Momente Ruhe zu haben, sagt sie der Zofe, sie wolle jetzt masturbieren. Der Film illustriert vieles, das ihren Alltag bestimmte.

Dadurch bekommt man einen anderen Einblick als in bisherigen Filmen und der Serie „The Crown“, die auf den gesamten Spannungsbogen angelegt sind. „Spencer“ zeigt einen kleinen Moment, der mit dem Befreiungsschlag endet – ob der tatsächlich so stattfand, interessiert einen nach dem Film, aber schnell hat man das Familienfoto der Royals zu Weihnachten 1991 ergoogelt. Wie Lady Diana sich verhält, erscheint anderen als reine Sabotage ihres seit Jahrhunderten bewährten Hauses.

Da kommt auch ein Geist der Vergangenheit ins Spiel, denn „Spencer“ widmet sich mit Leidenschaft (und spät auch kurz Kitsch) der Inszenierung des Dramas. Ohnehin gäbe es bei den Royals nur die Gegenwart und die Vergangenheit, das sei ein- und dasselbe, erklärt die Diana im Film ihren Buben. Zukunft gäbe es aber keine. Ein Buch über Anne Boleyn, der Ehefrau von Heinrich VIII., die dieser 1536 auf der Hinrichtungsstätte im Londoner Tower enthaupten ließ, liegt in Dianas Wohnzimmer. Wer sei denn welche bei den Ehefrauen von Heinrich VIII., stellt sich ein Kontrollorgan gegenüber Diana naiv, die das Buch liest und sich als moderne Anne Boleyn sieht: Die Geliebte ihres Mannes nennt sie „Jane Seymour“ - so hieß die dritte Frau Heinrichs VIII.

Koproduziert wurde „Spencer“ von der fantastischen Komplizen Film Produktion von Maren Ade („Alle Anderen“! „Toni Erdmann“!) und ihren Freund*innen und Geschäftspartner*innen Janine Jackowski und Jonas Dornbach. Sandringham House ist aus verschiedenen Anwesen in Deutschland zusammengesetzt.

Die Queen und ihre private Tischgesellschaft, Szene aus dem Spielfilm "Spencer".

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Die Queen ist in „Spencer“ unerreichbar, selbst wenn sie im selben Raum ist. In einer Szene, als sie mit Diana ins direkte Gespräch kommt, wird sie im Dialog auf ein Podest der Überlegenheit gehoben.

Dianas Befreiungsschlag

„Spencer“ zeigt einen Wendepunkt an Weihnachten in teils großartigen Bildern. Eine fette Halskettenperle in der dicken Suppe, eine in Stöckelschuhen zu einer Vogelscheuche über das Feld eilende Diana, eine Royal Rebellion bei der Fasanenjagd. Selbst in den Weiten des Palasts stellt sich die klaustrophobische Stimmung ein. Kristen Stewart gelingt es großartig, die Gefühle einer betrogenen, kontrollierten Frau darzustellen. Vom Opfer begibt sich Lady Di in die aktive Rolle. Bis zu diesem Zeitpunkt versucht sie, sich einzufügen, hineinzupassen und es zu schaffen, mit den Royals und ihrem Protokoll mitzulaufen. Das hat nicht funktioniert.

Im realen Leben war der Höhepunkt das BBC-Interview, in dem Lady Di anfängt, die Aufmerksamkeit und die Medien für sich zu nutzen und sich zu emanzipieren. Dramatische Streicherstücke betonen das Drama in „Spencer“; es mangelt nicht an Metaphern, manch eine makaber, weil man als Zuschauer*in vom realen Unfalltod Dianas weiß.

Aber auch, wenn ein Besucher der Viennale 2021 eine Szene laut mit „Ridiculous!“ kommentierte: Der Film ist einnehmend, unterhaltsam und ruht, was die Darstellung von Problemen betrifft, realistisch am Boden und an der WC-Brille, schöpft Mut von der vertrauten Zofe (wieder einmal eine Freude: Sally Hawkins) sowie dem Küchenchef und umarmt die Kinder, die hier wie in zu vielen zerrütteten Beziehungen viel daran setzen, tapfer zu wirken.

Kristen Stewart sitzt allein auf einer Bank im Gang eines Palasts. Eine Szene aus "Spencer".

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Kristen Stewart wird zur Princess of Wales

Lady Di ist früh eine Figur geworden, der man bestimmte Sachen zuschreibt. Natürlich glaubt man zu wissen, dass sie depressiv war und dass sie versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Im BBC-Fernsehinterview hat sie 1995 selbst Vieles enthüllt und auf den Punkt gebracht.

Kristen Stewart in „Spencer“ schiebt das Kinn vor, sie neigt den Kopf schräg. Sie vermag zu rühren mit ihrem Schauspiel, das über die Imitation hinausgeht. Wir sehen sie zuerst unterwegs in einem kleinen Auto und wie sie in einer Tankstelle fragt, wo sie hier eigentlich sei. Sie ist „lost“, und das in unmittelbarer Nähe des Orts ihrer Kindheit. Am Ende wird sie wieder am Lenkrad sitzen, und ich wette, dass diese Schlusssequenz mit „All I need is a miracle“ von Mike & The Mechanics alle im Kino mitnimmt.

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