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Shiatsubehandlung im Krankenhaus in Eisensadt

Andreas Gstettner-Brugger

Shiatsu als Unterstützung für Pflegepersonal

Mit dem Projekt „Die Hände reichen“ unterstützen Shiatsupraktiker*innen das hoch belastete Personal von Intensivstationen. Eine halbe Stunde kann schon helfen, ein bisschen Druck von den Schultern der Pfleger*innen zu nehmen. So zum Beispiel im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Eisenstadt.

von Andreas Gstettner-Brugger

Ich treffe Shiatsu-Praktikerin Corina Horvath am Eingang des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Eisenstadt. Seit gut vier Wochen unterstützt sie hier das Pflegepersonal der Intensivstation mit Shiatsu. In den drei Stunden, die sie zur Verfügung stellt, kommen sechs Pflger*innen, um sich etwas Gutes zu tun. In dem kleinen Raum, der an einen Turnsaal erinnert, werden am Boden Matten ausgebreitet, auf denen sich die Pfleger*innen bequem bekleidet niederlegen können.

Shiatsu-Praktikerin Corina Horvath vor dem Krankenhaus in Eisenstadt

Andreas Gstettner-Brugger

Corina Hrovath macht gerade die Ausbildung für Shiatsu am Wiener Hara Institut. Bei ihrer Arbeit mit dem Pflegepersonal der Intensivstation kann sie viel Erfahrung sammeln.

Heute bekommt Christoph zum zweiten Mal eine Behandlung. Er ist 28 Jahre, arbeitet seit der Covid-Krise auf der Intensivstation und neben der beschwerlichen Arbeit in der Schutzbekleidung hat die Pandemie auch auf psychischer Ebene große Herausforderungen für ihn gebracht.

Christoph: „Die Leidensgeschichten der vielen Erkrankten belasten schon. Auch, dass viele sterben, wir nicht wissen, wie die nächsten Tage sein werden und dass noch kein Ende der Krise in Sicht ist.“

Nach einem kurzen Gespräch, bei dem Corina Horvath erhebt, welche Beschwerden es gibt, beginnt sie ihre Behandlung. Sie lehnt sich mit Daumen und Händen mit langsamem und tiefem Druck an, hält bestimmte Bereiche des Körpers und rotiert und dehnt die Arme. Es ist still im Raum, nur das bedächtige Wechseln der Positionen auf der Matte und das leise Ticken einer Wanduhr ist zu hören. Hinter einer Trennwand behandelt Corinas Kollegin eine weitere Pflegerin.

Die letzten zwei Jahre haben beim Pflegepersonal ihre Spuren hinterlassen, wie Corina Horvath schon erfahren und erspürt hat: „Die meisten haben Rückenbeschwerden, auch im Nacken- und Schulterbereich. Viele spüren das ständige Heben der Patient*innen in den Händen und Armen. Man merkt, dass das Stresslevel ziemlich hoch ist und dadurch das Personal auch körperlich sehr angespannt ist. Wenn die Pfleger*innen sich dann auf die Matte legen merke ich, dass sie schnell ruhiger werden, mehr zu sich kommen und wir schauen, dass wir mit den Handgriffen, die wir machen, ihnen mehr Energie für den Alltag verschaffen können“

Shiatsubehandlung im Krankenhaus in Eisensadt

Andreas Gstettner-Brugger

Körpertherapie als Ressource nützen

Die in Japan entwickelte Körpertherapie Shiatsu (wörtlich übersetzt „Fingerdruck“) soll nicht nur auf körperlicher Ebene helfen, Verspannungen aufzulösen und verklebtes Gewebe wieder geschmeidig zu machen, sondern es wirkt vor allem auch auf der psychischen Ebene. Shiatsu beeinflusst den Parasympathikus, oft auch als „Ruhenerv“ bezeichnet. Er ist Teil des vegetativen Nervensystems, der Puls- und Atemfrequenz senken und so zu Entspannung und Regeneration beitragen kann.

Vor allem in extremen Situationen, die über längere Zeit anhalten, kann der Zugang über den Körper helfen, wieder mehr zur Ruhe zu kommen. Die achtsame Arbeit im Shiatsu soll hier einen Raum bieten, bei dem alles sein darf, nichts verändert werden muss und jede*r Klient*in so wahrgenommen und wertgeschätzt wird, wie sie/er in dem Moment gerade ist. Das erzeugt eine Atmosphäre der Sicherheit und Behaglichkeit, bei der das Loslassen und somit tiefe Entspannung möglich werden.

Shiatsu-Praktiker und Lehrer Mike Mandl

Hara Shiatsu

Mike Mandl, Shiatsu-Praktiker, Lehrer und Leiter der International Academy für Hara-Shiatsu

Die Idee zu dem Projekt „Die Hände reichen“ kam von Mike Mandl, Shiatsu-Praktiker und Leiter der Hara Shiatsu Schule in Wien: „Ich habe in meiner Praxis viele Klient*innen, die aus dem medizinischen Bereich kommen und da habe ich über die letzten zwei Jahren gemerkt, wie belastet sie sind. Das hat mich sehr berührt und ich habe mir gedacht, was können wir da tun? Warum bieten wir Shiatsu-Praktier*innen uns nicht aktiv als Ressource an. Starten wir ein ehrenamtliches Projekt und bieten unsere Behandlungen kostenlos jenen Menschen an, die tagtäglich auf den Covid- und Intensivstationen viel leisten.“

Shiatsu-Praktiker*innen waren in den letzten zwei Jahren aufgrund der Lockdowns im Gegensatz zu Physiotherapeuten und Heilmasseuren immer wieder mit Berufsverboten konfrontiert. Das liegt daran, dass Shiatsu in die Berufssparte „Masseure“ fällt und somit keinen „medizinischen Gesundheistberuf“ im engeren Sinne in Österreich darstellt. Das Projekt „Die Hände reichen“ ist somit eine Möglichkeit für die Shiatsu-Praktiker*innen, sich mit ihrer Arbeit als Ressource anbieten zu können.

Shiatsubehandlung im Krankenhaus in Eisensadt

Andreas Gstettner-Brugger

In Kooperation mit dem Österreichischen Dachverband für Shiatsu fanden im Dezember 2021 die ersten Behandlung im Herz-Jesu-Krankenhaus Wien statt. Die Behandlungen werden in Teams von 4 bis 6 Praktiker*innen einmal in der Woche einen Halbtag angeboten und vom Personal und den Leiter*innen der Intensivstationen gerne angenommen.

Intensivstationsleiter Johann Mörz von den Barmherzigen Brüdern Eisenstadt

Andreas Gstettner-Brugger

Leiter der Intensivstation der Barmherzigen Brüder in Eisenstadt Johann Mörz.

Der Leiter der Intensivstation der Barmherzigen Brüder in Eisenstadt, Johann Mörz und sein Pflegeteam sind dankbar für diese Initiative, denn die letzten beiden Jahre waren für die gesamte Station sehr belastend. Kurzfristige Dienstplanänderungen, hohe Flexibilität, unzählige Überstunden und in den Herbst- und Wintermonaten immer wieder die Sorge, nicht genügend Personal zu haben. Da würde gerade eine körperorientierte Unterstützung derzeit sehr gut tun, bei der man den Kopf für eine gewisse Zeit endlich einmal ausschalten kann, so Johann Mörz: „Bei uns sind immer zwei Praktiker*innen im Haus, die dann sechs bis acht Pfleger*innen behandeln. Es gibt einen richtigen Run auf die Behandlungen, so dass ich es immer gut schlichten muss, dass jede und jeder mal drankommt. Nach diesem einen Monat merke ich schon, dass das Pflegepersonal entspannter ist, sich wohler fühlt und dass auch die Resilienz gestärkt ist.“

Mittlerweile findet das Projekt „Die Hände reichen“ auch in einem Krankenhaus in Ottakring und in Floridsdorf statt, sowie in Linz und bald auch in der Steiermark. Mit einem Krankenhaus in Bern in der Schweiz ist die Initiative sogar über die österreichische Grenze hinausgewachsen.

Shiatsubehandlung im Krankenhaus in Eisensadt

Andreas Gstettner-Brugger

„Sowohl/als auch“ statt „entweder/oder“

Die Pandemie hat nicht nur den Druck auf so sensible Arbeitsbereiche wie die Intensivmedizin erhöht, sondern auch gesellschaftlich eine tiefe Spaltung hervorgerufen. Neben dem schönen Effekt, dass mit dem Projekt „Die Hände reichen“ eine große Solidarität zwischen den unterschiedlichsten Shiatsu-Richtungen, Schulen und ihren Praktiker*innen entstanden ist, ist für Initiator Mike Mandl auch ein anderes, sehr wichtiges Miteinander entstanden. Nämlich das der Schulmedizin und der komplementären Methoden.

Mike Mandkl meint dazu: „Im Rahmen der Pandemie finden auf der Ebene der Schulmedizin und Komplementärdisziplinen eine sehr polarisierende Diskussion statt. Da geht es immer um die Frage des ‚Entweder, oder‘. Für mich ist die Frage eher, was können wir miteinander machen. Wenn wir mit der komplementären Methode Shiatsu in den Spitälern das quasi kritischste Medizinpersonal Österreichs behandeln, und das wird sehr gut angenommen, dann ist das für mich ein sehr schönes Beispiel, dass man miteinander etwas bewirken kann. Dass man sich in der Mitte treffen kann und aus einem entweder/oder ein sowohl als auch wird.“

Shiatsubehandlung im Krankenhaus in Eisensadt

Andreas Gstettner-Brugger

Gerade in Krisensituationen werden solche Initiativen oft von einzelnen Personen gestartet, die den Wunsch haben, auch etwas zur Verbesserung und Veränderung der schwierigen Situation beitragen zu können. Dabei werden auch oft die behördlichen Stolpersteine viel leichter überwunden.

Doch auch für die Zeit nach der Covid-Pandemie wünschen sich die Leiter*innen und das Pflegepersonal der Intensivstationen nachhaltige Veränderungen, wie Johann Mörz es zusammenfasst: „Ich würde mir wünschen, dass unser Personal an solche Situationen angepasst wird. Dass wir für solche fordernden Zeiten auch genug Personal haben, um die Herausforderungen gut bewältigen zu können. Auch wäre es wichtig, dass das Gehalt angepasst wird, dass unsere erhöhte Leistung entsprechend abgegolten wird. Natürlich wäre es auch gut, solche Angebote wie Shiatsu weiterhin zu haben, was für unser Personal sehr entspannend ist und dass es genug Ruheräume gibt, um auch die Pausen entsprechend gestalten zu können.“

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