Sascha, der Hund und der Fleischhauer
Eine Kolumne von Todor Ovtcharov
Im letzten Sommer waren wir campen in Bulgarien. Im benachbarten Wohnwagen urlaubten Menschen, die eine Fleisch- und Wurstfabrik besaßen. Sie hatten auf ihrem Wohnwagen ein Riesenporträt von Putin aufgehängt und hörten jeden Tag von morgens bis abends das Lied der russischen Sängerin Alla Pugatschowa „Million Alyh Roz“ aus dem Jahr 1983. Wir haben „Million Alyh Ros“ mindestens eine Million mal am Tag gehört. Wir sind damit aufgewacht. Immer wenn das Lied ertönte, wussten wir, dass es Zeit ist, die Augen aufzumachen. Ich habe versucht, mich zu wehren und habe eine Coverversion des Liedes auf Japanisch gefunden. Ich habe mir gedacht, wenn diese Leute ihr Lieblingslied in einer anderen Sprache hören, würden sie merken, dass auch andere Menschen hier campen. Aber das hat sie nur dazu gebracht, das Lied noch lauter zu spielen. Wir haben uns daran gewöhnt und summten mit.

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Auch der Hund der Nachbarn hat sich an das Lied gewöhnt. Dieser Hund war klein, er hatte dünne Beinchen und einen flauschigen Schwanz. Immer wenn er das Lied hörte, ging er zum Griller und fing an, mit dem Schwanz zu wedeln. Wie gesagt war der Wohnwagenbesitzer ein Fleischhauer und er grillte die ganze Zeit diverse Fleischstücke. Um lauter als Alla Pugatschowa zu sein, schrie er den Hund an: „Saschaaaa friss Köfte, du Dreckstier!“ Danach warf er ein Köfte in die Luft und egal wie knifflig es war: Der Hund fing das Köfte mit einem Biss und beobachtete den Griller weiter wie hypnotisiert. Jeden Tag fraß Sascha sein Eigengewicht in Köfte. Meine Tochter hingegen beobachtete den Hund und versuchte, ihn nachzumachen.
Wie ihr wisst, verschwinden die bedingten Reize der Konditionierung, wenn die soziale Bedingungen, die sie auslösen, weg sind. Wie lange sie aber andauern, weiß die Wissenschaft nicht.
Neulich gingen wir in Wien spazieren. Ein Straßenmusiker spielte „Million Alyh Roz“ auf der Mariahilferstraße. Die Passanten gingen wortlos an ihm vorbei, wahrscheinlich sprach sie der Hit von Pugatschowa nicht wirklich an. Meine Tochter aber stellte sich vor ihm und schrie ihm ins Gesicht: „Saschaaa friss Köfte, du Dreckstier!“ Der Musiker war verblüfft, so eine Reaktion auf seine Kunst hatte er wohl nicht erwartet. Wir gaben ihm ein paar Euro, um uns zu retten. Wir versuchten danach der Kleinen zu erklären, dass dieses Lied nicht direkt mit Köfte verbunden ist. Sie nickte. Einen Tag später sah sie auf der Straße ein kleines Hündchen mit dünnen Beinen und flauschigem Schwanz und schrie los „Saschaa, friss Köfte du Dreckstier!“ Sie schaute mich unschuldig an. „Lied nicht da, aber Sascha da!“, sagte sie.
Deshalb liebe Hörerinnen und Hörer, passt genau auf, was ihr redet und welche Musik eure Hunde hören. Sonst kommen sie morgen mit einem Porträt von Putin nach Hause.
Publiziert am 19.01.2022