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Damon Albarn

Linda Brownlee

ROBERT ROTIFER

Yes, it IS your problem, Damon...

Damon Albarn hat also behauptet, Taylor Swift schreibe ihre Songs nicht selbst. Welch Blödsinn. Trotzdem wert, sich anzusehen, was alles dahinter steckt.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Einmal angenommen, ich hätte keinen Zugang zu sozialen Medien. Dann hätte ich zum ersten Mal davon erfahren, als ich vorgestern, Dienstag, um halb sieben die ITV Evening News sah.

Kein Mensch schaut mehr die ITV News, eigentlich, das ist so 20. Jahrhundert. Aber nachdem die BBC aus Regierungsperspektive heikle Dinge heutzutage immer erst berichtet, wenn sie anderswo schon abgefrühstückt sind, holt man sich seinen schadenfrohen Partygate-Kick am besten bei ITV ab.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Dazu kam diesmal aber auch ein Beitrag über einen „social media storm“ zwischen Taylor Swift und Damon Albarn, gleich nach dem zweiten Werbeblock. Zuerst die kurze Info, der Sänger von Blur habe Taylor Swift unterstellt, sie schreibe nicht ihre eigenen Songs. Als Bebilderung dazu das 28 Jahre alte Video von „Parklife“, dann ein paar Bilder von Taylor Swift beim Songschreiben im Studio und Entgegennehmen diverser Trophäen unter Aufzählung ihrer Orden und Verdienste. Dann Screenshots von ihrem Tweet, in dem sie sich gegen Damon Albarns Unterstellungen verwehrt („Und ich war einmal so ein Fan von dir“), zwischendurch ein Statement von einem Typ von einer Band namens The Vamps (sollte ich die kennen?): „Als ich den Tweet gesehen hab, war ich schockiert!“ Welchen Tweet jetzt? Den von Taylor, den von der Los Angeles Times? Und den im von Taylor retweeteten Tweet verlinkten Artikel der LA Times hat er dann eh auch gelesen? Eh wurscht eigentlich - „Parklife!“

Dann ein Screenshot von Damon Albarns Entschuldigungs-Tweet, in dem er erklärt, eine Konversation über Songwriting sei zu Clickbait reduziert worden, gefolgt vom Resümee der Reporterin: „Ein weiterer Vorfall in einer Musikindustrie, der vielfach Misogynie vorgeworfen wird.“ Fertig.

Der Anblick des uralten Blur-Videos zu Beginn des Beitrags hatte in meinem uralten Hirn Erinnerungen an prä-Internet-Zeiten wachgerufen.
Seinerzeit, als man sich mit ungefähr der gleichen moralisch empörten Energie über die Oberflächlichkeit des damals konkurrenzlosen Massenmediums Fernsehen beschwerte wie heute über soziale Medien. Damals wie heute nicht unberechtigt, aber schon auch vermengt mit großen Mengen streng riechender, heißer Luft.

Was mich wiederum direkt zu einem Satz aus dem Interview am Ursprung des ganzen Aufruhrs führt: „Ich bin kein Freund davon, wie man Verehrung für den Geruch der eigenen Fürze finden kann.“
Verzeihung, die Übersetzung humpelt, weil auch das Original schon syntaktisch und grammatikalisch hatscht: „I’m not into how beloved you become of the smell of your own farts.“

Wir wissen jedenfalls, was er meint, und Albarn hat damit natürlich recht. Auch mit seinem daraus folgenden Frontalangriff auf die seit Ewigkeiten dieselben alten Hits spielenden Rolling Stones, der 1994 aufgeregte TV-Beiträge nach sich gezogen hätte, 2021 aber null Schlagzeilen generiert. Genauso wie seine Bezeichnung des amtierenden UK-Premierministers als „Serienlügner“. Okay, das ist jetzt auch nicht mehr so kontrovers - im Gegensatz eben zur viel (aber nie vollständig) zitierten Passage über Taylor Swift.

Bevor wir uns auf jene umstrittenen Stellen stürzen, würde ich ja jede*n dazu einladen, dem Hyper-Link im vorvorigen Absatz zu folgen und das Interview mit Mikael Wood von der Los Angeles Times einmal vollständig im Original zu lesen.

Es ist nämlich gar nicht schlecht, enthält unter anderem eine Absage an die alle Presswerk-Kapazitäten blockierende Reissue-Industrie. Und zwar als Antwort auf die Frage, ob es denn irgendwelche Pläne für das 25-jährige Jubiläum des 1997er-Albums „blur“ gäbe (wo der US-Durchbruchs-Hit „Song 2“ drauf war, wir erinnern uns). „Ich will nichts damit zu tun haben“, winkt Albarn ab, „Zeug wiederzuveröffentlichen, das seinen Moment schon gehabt hat, verstopft nur den Raum, aus dem etwas Neues wachsen könnte.“

Wood hätte an dieser Stelle auf das erst letzten November erschienene fette 20-Jahre-Reissue des ersten Gorillaz-Albums hinweisen können. Stattdessen stellt er die harmlose Frage, ob Albarn „Song 2“ als einen „Albatross“ empfände oder als ein „Geschenk, das immer weiter schenkt“. Kein Albatross, antwortet Albarn, weil er das Lied nie spiele. „Song 2“ sei vielmehr ein „perfektes Beispiel für etwas, wo es mehr um Attitüde und Produktion geht als um eigentliches, herausragendes Songschreiben.“

Und damit schließt er selbst den Kreis vom kommerziell erfolgreichsten Blur-Song zur später kontroversen Passage am Anfang des Interviews. Es lohnt sich, diesen Car Crash in Zeitlupe anzusehen:

Wood lässt sich von Albarn erklären, warum er in LA bei seinem einzigen amerikanischen Gig zur Promotion seines aktuellen Soloalbums (fast) nur solo auf dem Klavier spielen werde.

Albarn meint, das sei gar nicht leicht, weil man sich am Klavier hinter nichts verstecken kann. „Es ist ein Tag der Abrechnung, und einer, den nicht viel moderne Musik überstehen würde, wenn wir ehrlich sind.“

Stopp einmal kurz... Das ist nämlich der Punkt, wo Albarn sich - wie man im 20. Jahrhundert in Wien gesagt hätte - einbaut.

Wo er einigermaßen arrogant seine eigene künstlerische Überlegenheit suggeriert, denn er wird seine Songs ja am Klavier spielen, ergo sind sie offenbar gut genug für den Tag der Abrechnung.

Das entspricht dem „klassischen“ Songwriter-Fetisch in der Popkultur, rückverfolgbar bis zu MTVs Neunzigerjahre-Erfindung „Unplugged“ oder auch bis zur „Bob Dylan goes electric“-Debatte der Sixties zwischen kultur-konservativen Purist*innen und Pop-Progressiven.

Wood hakt (bereits Blut leckend) ein: „Denken Sie, dass viele moderne Musiker*innen sich auf Sound und Attitüde verlassen?“

„Nennen Sie mir jemand, der das nicht tut“, antwortet Albarn.

Das ist nun die Stelle, an der Wood (nicht Albarn!) den Namen Taylor Swift ins Spiel bringt. Doch anstatt zuzugeben, dass er herzlich wenig über Taylor Swift weiß, stellt Albarn sich bloß, indem er ein populäres, aber sehr albernes (sorry) Gerücht reproduziert: „She doesn’t write her own songs.“

Und ja, dieses Gerücht hat eine stark misogyne Schlagseite, weil es an einen gender-spezifischen Stereotyp anschließt. Schließlich war es in der Pop-Welt, in der alte Säcke wie Albarn, 53, und ich aufwuchsen, Frauen nur in schwer erkämpften Ausnahmefällen (Joni Mitchell, Kate Bush, Carole King, Bobbie Gentry, Dolly Parton...) erlaubt, ihre eigenen Songs zu schreiben und nach ihren eigenen Vorstellungen zu singen.

Wood korrigiert Albarn, Swift schreibe ihre Songs selbst, manche davon in Zusammenarbeit mit anderen.

Darauf wieder hakt Albarn ein. „Co-writing“, sagt er, „zählt nicht“, das sei etwas ganz Anderes: „Ich mache hier niemand runter, ich sage nur, dass es einen großen Unterschied dazwischen gibt, ein Songwriter zu sein oder ein Songwriter, der mit jemand anders zusammen schreibt. Das heißt nicht, dass das Ergebnis nicht wirklich großartig sein könnte.“ (Diesen relativierenden letzten Satz ließ zum Beispiel der Guardian in seiner Zusammenfassung aus, fand dafür aber reichlich Platz, ein ebenfalls via Interviews geführtes Geplänkel zwischen Albarn und Adele nach dem gescheiterten Versuch ihrer künstlerischen Zusammenarbeit wieder aufzuwärmen – die unausgesprochene Implikation, Albarn sei ein Frauenfeind, ist dieselbe wie im Fazit der ITV-Story).

Was dagegen untergeht, ist, dass Albarn – wie aus der „Song 2“-Passage am Ende des Interviews ersichtlich – auch mit Verweis auf seine eigene Arbeit spricht.

Schließlich wurden nicht nur die endlos vielen Zusammenarbeiten, die er seit zwanzig Jahren mit Gorillaz produziert, sondern auch die Songwriting-Credits bei Blur immer kollaborativ als „Albarn/Coxon/James/Rowntree“ angegeben, auch wenn Albarn Melodie, Akkorde und Text selbst geschrieben hatte. Nicht nur als Anerkennung für die musikalischen Beiträge des Rests der Band, sondern vor allem zwecks gerechterer Aufteilung von Tantiemen, die nach bestehendem Verwertungsrecht nur an Songwriter*innen gehen.

Albarn weiß also sehr genau, wie zeitgenössische Songwriting-Credits zustande kommen, in denen elfköpfige Komitees als Autor*innen erfolgreicher Pop-Hits angegeben werden. Nicht zufällig begann diese Entwicklung in einer Ära des Musikgeschäfts, in der a) Session-Musiker*innen schon lange nicht mehr von Session Fees alleine leben können und b) der gängige Arbeitsprozess die Grenzen zwischen dem „Schreiben“ von Songs und deren Produktion weitgehend aufgelöst hat.

Darüber hätte man sicher gut mit ihm reden können, siehe eine Passage aus meinem letzten Interview mit Albarn, veröffentlicht auf dieser Website. Im offensichtlichen Gegensatz zum LA Times-Interview hatte ich dabei meine Meinung vertreten, dass traditionell als „Hackwork“ abgewertete Auftrags-Songschreiberei in Wahrheit einige der ausdrucksstärksten, emotional berührendsten Songs hervorgebracht hätte.

„Das ist ja das Ding,“ sagte Albarn darauf, „Genau.“ Gutes Songwriting, hatte er davor erklärt, sei nicht selbstsüchtig. Und es sei nicht etwas mit einer fixen Anschrift. Sprich: Es kann alles bedeuten und überall herkommen.

So gesehen ist diese ganze Debatte also auch ein Lehrbeispiel dafür, wie wir als Interviewer*innen Statements provozieren. Wenn man so will, als „co-write“ mit der/dem interviewten Künstler*in.

Albarn war eigentlich immer sehr gut in dieser Form der Team-Arbeit. Er ließ sich dabei auch zu viel Blödsinn hinreißen, der immer für Schlagzeilen sorgte, welche seiner Karriere damals, vor einem Vierteljahrhundert, letztlich fast immer nur nützten. Denn ironischerweise war Britpop ja eigentlich - nach der großen Umarmung des Pop in den 1980ern als Gegenbewegung des Pendels nach dem Punk - die zweite große Welle des britischen Pop-Optimismus (später: „Poptimismus“).

Es war die Manifestation der bewussten Entscheidung in der britischen Indie-Szene sozialisierter Musiker*innen wie Blur, sich aus ihrer elitären Nische in die Welt des Mainstream einzuschleusen.

Vorgestern wurde übrigens – noch eine erschütternde Ironie – auch der frühe Tod von Andy Ross, Blurs langjährigem Plattenfirmen-Boss, engem Vertrauten und Ko-Architekt genau dieser Transformation vermeldet.

Wie Blur anhand ihrer zeitweiligen Vernichtung durch die scheinbar authentischeren Rivalen von Oasis sehr schnell am eigenen Leib erfuhren, hat diese Strategie durchaus ihre gefährlichen Seiten. Wenn man so wie Blur damals (und Taylor Swift heute) oberhalb des Radars der Mainstream-Medien operiert, wird man auch zur Zielscheibe derer, die sich über despektierliche Kommentare an einem hoch arbeiten.

In diesem Fall aber ist Albarn als etablierter, alter weißer Sack in der völlig falschen Position dafür, selbst wenn Taylor Swift in der derzeitigen Pop-Hierarchie hoch über ihm thronen mag. Da nützt es auch nichts, wenn er gegensteuernd Billie Eilish als positives Gegenbeispiel ins Treffen führt. Im Gegenteil, das wirkt bloß gönnerhaft. Alles in allem – trotz aller oben genannter mildernder Faktoren – ein katastrophales Versagen von Albarns einst so unfehlbarem Pop-Instinkt.

Das verstand zum Beispiel auch der neue, linke Präsident von Chile, der gleich die Gelegenheit nützte, mit einer Solidaritätserklärung an Taylor Swift via Twitter ein paar Coolnesspunkte einzufahren. Von einem Politiker im Pop-Spiel geschlagen zu werden, is not a good look.

Damon Albarn ist – wie sich so viele auf meiner Timeline per fundierter Andeutung oder auch billigem Untergriff festzustellen getrieben sahen – sehr vieles, aber sicher kein dummer Mensch. Doch auch kluge Musiker*innen sagen in Interview-Situationen oft sehr unkluge Dinge. Und ich gebe offen zu, nicht selten rücken Journalist*innen wie ich selbst diese Dinge oft hilfreich gerade, wenn wir wissen, dass jemand es nicht so gemeint hat oder wenn die potenzielle Kontroverse, die man damit befördern könnte, keinen produktiven Konflikt, sondern nur unnötigen Schaden verursachen würde.

„Your hot take is completely false and SO damaging“, schrieb Taylor Swift dementsprechend in ihrem Tweet an Albarn. Da hatte sie recht, wenngleich der Schaden angesichts der Mobilisierung ihrer 89,9 Millionen Followers ziemlich vorhersehbar auf Albarns Seite liegen sollte (Und darin liegt kein Vorwurf, sie hat ihre Macht und nützt sie zum öffentlichen Widerspruch einer rufschädigenden Fehlaussage Albarns).

Aber als Journalist sehe ich hier eben auch die journalistische Entscheidung, die zwischen Albarns Worten und deren – auch bei Interview-Abschriften immer selektiver – Veröffentlichung liegt. Gepaart mit der redaktionellen Entscheidung der LA Times, Albarns Fehlaussage unter Anführungszeichen als Anreißer für die Story zu verwenden (nicht zufällig verlinkte Swift nicht zur Story selbst, sondern zum reißerischen Tweet).

Damon Albarn denkt nun jedenfalls offenbar, dass er seinem Interviewer in die Falle gelaufen sei. Am Abend der Veröffentlichung des Artikels in der LA Times samt darauf folgendem sozial-medialem Fäkalsturm nützte er in der Walt Disney Concert Hall die Macht des Künstlers am Mikrophon.

Er widmete Mikael Wood eine spontan eingeprobte Version von „Song 2“, dem Song, über den er mit dem Reporter geredet habe, „bevor er mich in den Abgrund der sozialen Medien warf.“

Albarn spielte also jenes fragmentarische Lied, das bekanntlich nur aus einem Riff besteht, am Klavier, begleitet nur von einem Streichquartett und einer akustischen Gitarre. Und nach dem Mitschnitt eines Konzertbesuchers zu urteilen, stimmt schon, was Albarn selbst im Interview sagte: Ohne Sound und Attitüde ist da nicht allzu viel vorhanden. Was, wenn überhaupt, nur beweist, wieviel Sound und Attitüde in guter Popmusik ausmachen.

Was allerdings in diesem Mitschnitt als Kernaussage des Songs in diesem Kontext und zu diesem Anlass heraussticht, sind die Zeilen „Pleased to meet you!“ und „It’s not my problem / It’s not my PROBLEM!!!“

Damon Albarn schrieb diese Zeilen in einer Phase seines Lebens, als er Angst haben musste, in London auf die Straße zu gehen, weil das Drama des Blur/Oasis-Kulturkampfs ihn zur lebenden Zielscheibe toxisch maskuliner Gewalt gemacht hatte (nicht zuletzt, nachdem Noel Gallagher 1995 in einem Gespräch mit der The Face-Autorin Miranda Sawyer erklärt hatte, er hoffe, dass Albarn und James „an Aids sterben“ – auch ein Zitat, das ob seiner homophoben Schädlichkeit besser nie gedruckt worden wäre).

Sich nach Island zu verkriechen und „it’s not my problem“ ins Mikro zu brüllen, hatte in diesem Kontext zweifelsohne seine Richtigkeit. Im heutigen aber nicht.

It’s your problem, Damon. Weil alle, die in der Medienwelt der Pop-Rezeption ihr Maul aufreißen, das auch im vollen Bewusstsein der Übertragungsprozesse dieser Medienwelt tun müssen.
Aus der Erfahrung mit der Verzerrung ihrer eigenen Worte wiederum sollten sie dringend Lehren ziehen über die Beurteilung böser Gerüchte über die Konkurrenz. Erst recht, wenn sie in Versuchung kommen, diese bösen Gerüchte öffentlich weiterzugeben.
Und ich bin mir ziemlich sicher: Wenn man Damon Albarn das so als Argument in einem Interview servierte, wäre er auch damit einverstanden.

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