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St. Paul & the Broken Bones

Bobby Rich

St. Paul & The Broken Bones und ihr moderner Gospel

St. Paul & The Broken Bones laufen mit ihrem vierten Album zur Höchstform auf. Die achtköpfige Band rund um Paul Janeway hat mit „The Alien Coast“ eine richtige Magical Mystery Tour für das 21.Jahrhundert gemacht. Der Sound ist explosiv und schwindelerregend. Tief verwurzelt im altem Soul und Gospel des US-Südens, steht „The Alien Coast“ aber auch mit beiden Beinen fest im Hier und Jetzt.

Von Eva Umbauer

Eigentlich wollte Paul Janeway ja Pastor werden. Mit vier Jahren hat er begonnen, im Kirchenchor zu singen. Ein Glück für uns, dass er schließlich statt in der Kirche die Messe abzuhalten, als St. Paul & The Broken Bones seinen Gospel in Rock-Venues zelebriert. Der schweißtreibende R&B-Revival-Sound der Band - der letztlich so viel mehr ist - klappt auch bestens bei Sommerfestivals, vom coolen Coachella in Kalifornien bis zum britischen Glastonbury-Festival.

Cover von St. Paul & the Broken Bones Album „The Alien Coast“

ATO Records

„The Alien Coast“ von St. Paul & The Broken Bones ist bei ATO Records erschienen.

Aber auch auf Platte sind St. Paul & The Broken Bones aus Birmingham, Alabama eine absolute Offenbarung, mehr denn je, wie das neue Album „The Alien Coast“ beweist.

Als „A convergence of soul and psychedelia, stoner metal and funk“ beschreibt Paul Janeway sein Bandprojekt St. Paul & The Broken Bones. Aber eigentlich gibt es gar keine Worte für den schwindelerregenden Sound dieses höflichen und besonnenen Künstlers aus dem sogenannten „tiefen Süden“ der USA, der auf der Bühne so richtig in sein Element kommt, obwohl er auch bereits beim Entstehen der Songs viele viele Gedanken in die Texte und den Sound der Band steckt. Sich dabei Hilfe zu holen, fällt Paul Janeway nicht schwer, so hat bei den neuen Tracks ein gewisser Randall Turner mitgewirkt. Randall Turner ist ein Hip-Hop-Musiker aus Birmingham, Alabama, der mit Samples und Beats ausgeholfen hat.

„The Alien Coast“ beginnt mit feierlichen Orgel-Tönen, dazu die ganz besondere, ja, einzigartige Stimme von Paul Janeway, wie im Gebet an - einen möglicherweise uninteressierten - Gott. Viele Menschen in Alabama sind sehr gläubige Christ*innen. Die Musik der Kirchen - der Gospel, der alte Soul wie er damals in den frühen 1960er Jahren in Alabama entstand, erst in den FAME-Studios, dann in den Muscle Shoals Studios, der Wiege des charakteristischen Muscle Shoals Sounds, der Elemente aus Gospelmusik, Blues, Soul, Rock und Country verbindet.

Den US-Bundesstaat Alabama kennt man auch von der Civil Rights Bewegung her, als in den 1950er/60er Jahren die afro-amerikanische Bevölkerung der USA für ihre Bürgerrechte kämpfte. In der Stadt Montgomery, Alabama etwa protestierte die Afroamerikanerin Rosa Parks gegen die Rassentrennung, in dem sie ihren Platz in einem Bus nicht für eine weiße Person aufgab und damit beitrug, Bewegung in die Sache zu bringen.

Alabama ist ein von Tourist*innen nicht so oft besuchter US-Staat, ein ärmerer Staat, konservativ und immer wieder auch von Naturkatastrophen heimgesucht. Birmingham, Alabama sei jedoch eine recht liberale Stadt, wie Paul Janeway von St. Paul & The Broken Bones im FM4-Interview erzählt. Er fühlt sich dort wohl, respektiert aber auch die Menschen draußen in den Kleinstädten, wo etwa, wie Paul erzählt, während der Pandemie die meisten keine Masken tragen wollten und auch einfach auf Abstand verzichtet hätten.

Ein Album für eine Ära voller Schrecken

Paul Janeway und auch seine Musiker von den Broken Bones haben glücklicherweise die Pandemie bis jetzt gut überstanden, auch wenn das für eine Band, für die Konzerte so wichtig sind, keine einfache Situation war bzw. ist, aber Paul wurde Vater, die Zeit zuhause anstatt auf Tour war also keine verlorene, und einen kleinen finanziellen Polster hatte man auch, dank vielem Touren bisher, oder dass Songs der Band etwa auch in Fernsehserien eingesetzt werden. Das neue Album der Band ist eigentlich überhaupt kein Pandemie-Album, auch wenn es absolut für diese traumatische Zeit passt, für eine Ära voller Schrecken. Es wurde gerade fertiggestellt, als die Pandemie vor rund zwei Jahren ausbrach. Paul Janeway & The Broken Bones machten es zuhause in Birmingham, Alabama, während sie zuvor immer woanders aufnahmen.

Das erste Album von St. Paul & The Broken Bones erschien Anfang 2014, vier Jahre nachdem Paul Janeway und Bassist Jesse Phillips einander getroffen hatten. Es wurde von Ben Tanner von der Band Alabama Shakes produziert und erschien auch beim Plattenlabel von Ben Tanner. Die Grammy-Gewinner*innen Alabama Shakes trugen in jüngerer Zeit dazu bei, dass Musik aus Alabama verstärkt wahrgenommen wird.

This album was birthed through the idea of falling asleep in a hotel and having a sequence of nightmares, the waking up and missing home so badly. - Paul Janeway über „The Alien Coast“

Zu den Inspirationen für das neue Album von St. Paul & The Broken Bones gehören dystopische Sci-Fi-Storys, die Geschichte des Kolonialismus, die griechische Mythologie oder auch Picasso. Der Albumtitel „The Alien Coast“ bezieht sich auf eine Bezeichnung für die Küste am Golf von Mexiko, wo auch Alabama liegt: Die Eroberer bezeichneten diese Küste als „alien coast“. Aber in den Albumtitel „The Alien Coast“ fließt auch ein, dass sich Paul Janeway immer irgendwie als Außenseiter fühlte in seiner sozusagen „hinterwäldlerischen“ Südstaatenheimat, jedenfalls als er jünger war. Der Track „The Alien Coast“ handelt, so Paul Janeway, von „the impact of unwanted colonization as well as the digital algorithms mining our intellectual resources to enslave us.“ Komplexer Stoff, der einen aber einfach packt und mitreißt.

Kunst als Inspiration

Gleich der zweite Song am Album, „Bermejo And The Devil“ ist inspiriert von einem Gemälde, das Paul Janeway in der National Gallery in London gesehen hat, nämlich ein Werk aus dem 15.Jahrhundert vom spanischen Maler Bartholomé Bermejo. Es stellt den heiligen Michael über den Teufel triumphierend dar, also das Gute über das Böse siegend. Ein Ritter in der Rüstung, mit riesigem Schwert, dazu eine Art Anglerfisch mit Schlangen. Beendet wird dieser dunkle Song von einer spanischen Akustikgitarre.

Praktisch ohne Pause geht es aber gleich weiter zu einer Figur aus der griechischen Mythologie, nämlich den Minotaurus, der halb Mensch und halb Stier ist und sich von Menschenfleisch ernährt. „Minotaur“ heißt der Song, der, so Paul Janeway, von „fearing something within you, and the loneliness that comes from that“ handelt. Der große spanische Maler Pablo Picasso bezog sich in den 1930er Jahren in seinen Werken oft auf den Minotaurus. Paul Janeway liebt bildnerische Kunst, sie ist eine große Inspiration für für St. Paul & The Broken Bones.

„I get lost...in the limelight“, singt Paul Janeway im so hübschen Song „Ghost In Smoke“. „Atlas“ hat eine hübsche Akustikgitarre, „The Last Dance“ einen tollen Bass-Groove. Wenn es nach St. Paul & The Broken Bones geht, muss aber einfach die Liebe siegen, es geht nicht anders - die Songs „Popcorn Ceiling“ und „Love Letter From A Red Roof Inn“ handeln davon.

„The Alien Coast“ ist eine große, mutige, packende Platte dieses riesengroßen Talents Paul Janeway und seinen achtköpfigen Mitmusikern, den Broken Bones - eine Magical Mystery Tour, die seinesgleichen sucht.

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