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Animal Collective "Time Skiffs"

Hisham Bharoocha

Breathe, relax, stay strange

Nach dem Zuckerschock folgt die Entspannung. „Time Skiffs“, das 11. Album der New Yorker Popunternehmung Animal Collective ist pastelliger und zugänglicher als Vieles aus dem bisherigen Bandkatalog.

Von Katharina Seidler

Ein dubbiger Beat, eine zurückgelehnte Bassline, Wasserblasen aus dem E-Piano: Eineinhalb Minuten braucht „Prester John“, der erste Vorbote und das gleichzeitige Songhighlight auf dem neuen Album des New Yorker Bandgefüges Animal Collective, um Fahrt aufzunehmen. Die Nummer gibt mit ihrem warmen Groove, der sich ab der Hälfte via Harmoniegesänge zu wolkigen Bäuschen aufschwingt, nicht nur die musikalische Richtung von „Time Skiffs“ vor, sondern enthält mit ihrer zentralen Zeile auch eine Art Mission Statement zum Status Quo der Gruppe Animal Collective im Jahr 2022: „Treating everyday as an image of a moment that’s passed“.

Animal Collective "Time Skiffs"

Domino Recording

„Time Skiffs“ von Animal Collective ist am 4.2.2022 via Domino erschienen.

Über zwanzig Jahre lang machen Avey Tare, Panda Bear, Geologist und Deakin nun schon gemeinsam Musik, nicht immer in dieser Vierer-Kombination und auch mit oftmaligen Abzweigungen über diverse Solopfade, externe sowie interne Kollaborationen, aber der Kollektivgedanke des Animal Collectives kam ihnen nie abhanden. Für Album Nummer Elf nun haben die vier Hauptmitglieder, nach zehn Jahren auch wieder mit Deakin an Gitarre und Klangkasteln, wieder zueinander gefunden. Die Zeit verging und sie tut es immer noch, dies ist somit der Grundgedanke hinter „Time Skiffs“, dargelegt im Albumtitel wie auch in zahlreichen Textzeilen: „Over and over our song in my brain, I go back, we go back and I play it again.“

Natürlich sind Animal Collective, die nicht nur sich selbst ein ums andere Mal neu erfunden, sondern rund um „Merriweather Post Pavilion“ sogar den Begriff Indie Pop in seinen Grundfesten erschüttert haben, weit davon entfernt, sich musikalisch rückwärts zu entwickeln. Auch im eben zitierten „We go back“ kommen Avey Tare und Panda Bear, die ihre Wechselgesänge wieder besonders kunstvoll miteinander verweben, in kürzester Zeit zu der Erkenntnis: „I don’t feel the urge to turn back time, I just begin“. Sie singen es in zartem Vocoderblau.

Animal Collective "Time Skiffs"

Hisham Bharoocha

„Liebesbriefe, Notsignale, Freiluftbeobachtungen und Entspannungshymnen“, nennt das Label die neun neuen Songs, und auch: „Botschaften von vier Menschen, die in Beziehungen, Elternschaft und Sorgen von Erwachsenen hineingewachsen sind.“ Es klopfen Bambusstöcke auf japanische Wasserbrunnen. New Ageige Soundsternchen rieseln durch den Regenstab. Die Gitarre beschwört Strände und Wellen, irgendwann läutet eine Schulglocke: “I cut my pace, no more racing urges: How many days do we have?”. Selbst in ihren existenzialistischsten Momenten, wie hier in „Strung with everything“, klingt diese Band frisch und ausgeschlafen wie kaum jemand sonst.

FM4 präsentiert: Am 19.11.22 spielen Animal Collective live in der Arena Wien.

Nun kommt freilich keine Animal Collective-Rezension ohne Begriffe wie kaleidoskopisch, bunt und leuchtend aus, und doch malen Animal Collective auf ihrem Albumnachfolger zu „Painting With“ von vor fünf Jahren mit weniger Neonfarben als früher. Knallige Hits wie „My Girls“ oder das unterschätzte „FloriDada“ sucht man auf „Time Skiffs“ vergeblich, das in seiner psychedelisch gefärbten Safespacehaftigkeit als eines der zugänglichsten Werke dieser wundersamen Gruppe gelten darf. Den großen Pop-Erfolg wird es nicht erreichen. Und es könnte der Band wohl nicht egaler sein.

“Maybe I actually visited some sort of mythical place, or was it a future connected by sutures”, hieß es 2016 in “FloriDada”, und an diesem Sound der Zukunft weben Animal Collective bis heute. Dass dieser weird, anstrengend und mitunter beinahe unhörbar sein musste, liegt in der Natur der Sache: „This place is a state of mind“. Aber irgendwann ist’s auch mal gut. Das neue Album des Animal Collective schraubt den Energiepegel drei Levels nach unten: Nach dem Zuckerschock bekommen die Geschmacksnerven Entspannung.

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