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Bilder aus dem Stück "City of Diaspora"

Abiona Esther Ojo

BLACK HISTORY MONTH

Willkommen in der Zwischenwelt

Kann die eigene Stadt noch dieselbe bleiben, wenn man sie mit anderen Augen sieht? In der Performance „City of Diaspora“ im brut in Wien ermöglicht Stefanie Sourial, Theatermacher*in of Colour, einen Blick auf eine Stadt, die der Mehrheit ihrer Bewohner*innen verborgen bleibt.

Von Claudia Unterweger

Eine ausrangierte Industriehalle auf dem Abbruchgelände des ehemaligen Nordwestbahnhofs in Wien. Hier, in der temporären Spielstätte des brut, erstrahlt derzeit Abend für Abend die „City of Diaspora“, auf der Bühne in gleißendes Licht getaucht und mit wuchtigen Beats untermalt, im Alltag oft nicht ganz so glamourös und auch nur sichtbar für Menschen aus migrantischen Communitys. Zwischen Aufenthaltsort und Herkunftsland. Zwischen Anpassung und Widerstand.

Der Februar ist in den USA seit 1976 offiziell Black History Month. Mittlerweile wird der #BHM in vielen Teilen der Welt gefeiert. Auch FM4 setzt im Februar einen Schwerpunkt auf Lebenswelten, Kunst und Geschichte von Schwarzen Communitys und People of Colour.

Die Idee zu diesem Stück kam der queeren Wiener Performancekünstler*in Stefanie Sourial durch die eigene Lebenserfahrung, geboren in eine Familie, die von anderswo nach Österreich gekommen und geblieben ist. Eine Biografie, die Sourial mit zahlreichen Freund*innen teilt. In gemeinsamen Gesprächen haben viele den Eindruck geschildert, in einer Zwischenwelt zu leben, die weder sichtbar und noch greifbar ist, und das Gefühl, weder hierhin noch dorthin zu gehören. Sourial hat das als Auftrag für sich begriffen: „Ich will diese Zwischenwelt stark und grell auf der Bühne sichtbar machen und finden, was das Aufregendes mit sich bringt.“

In einer Kulisse aus Science Fiction, Afrofuturismus und magischen Unterwasserwelten eröffnet sich dem Publikum im brut ein Reigen schillernder Episoden. In neon-blinkenden Sneakers und futuristischen Kostümen des Wiener Streetwear-Modelabels Kids Of The Diaspora werden Choreografien getanzt, Rituale und Zeitreisen vollzogen, berührende Geschichten erzählt. Mal verhalten im Ton, dann wieder schrill, mit einer Mimik, die an expressionistische Filme der 1920er Jahre erinnert. Den roten Faden durch das Stück bildet der monumentale Sound. Sourial hat dafür Schnipsel aus Soundtracks zu einem mächtigen Ganzen verwoben. Visual Artist Sunanda Mesquita liefert dazu das utopische Bühnenbild und Videos aus Found-footage-Material.

Bilder aus dem Stück "City of Diaspora"

Abiona Esther Ojo

Der Black History Month auf FM4

Ein BPoC-Schwerpunkt zieht sich den ganzen Februar lang durch das FM4 Programm: u.a. stellen wir afroösterreichische Artists und deren Lebenswelten vor, beleuchten die Ursprünge von Techno, House und Reggaeton, erzählen über Black Hair in der Popkultur, berichten über die Debatte zu kolonialen Objekten in Österreichs Museen und diskutieren über die Grenze zwischen cultural appropriation und appreciation.

Inhaltlich geht es auch um schmerzhafte Fragen, mit denen sich Menschen in der Diaspora laufend auseinandersetzen müssen. Wie es ist, sich an Dinge zu erinnern, die man selbst nicht erlebt hat, Gerüche zu vermissen, die man nur aus Beschreibungen der Eltern kennt, ständig mit der scheinbar unschuldigen Frage konfrontiert zu sein, woher man denn nun wirklich komme.

Ausgehend von autobiografischen Kurzgeschichten hat Stefanie Sourial mit drei weiteren Kunstschaffenden of Colour für die Bühne eine Gegenwelt voller ermächtigender - und humorvoller - Abenteuer entworfen. Sie ist so facettenreich, wie auch das Leben in der Diaspora von den Protagonist*innen unterschiedlich wahrgenommen wird. Für die Einen als greifbare Alltagswelt, die sich ausdrückt im Essen, Trinken, in der Sprache und im Tun; für die Anderen eher ein Diaspora-Gefühl, in das man hinein- und herausschlüpfen kann. Für die Bühne entsteht daraus eine Utopie, eine Sehnsuchtswelt, sagt Performance Artist und LGBTIQ-Aktivist*in Faris Cuchi Gezahegn:

For me, the ‚City of Diaspora‘ is a city full of kindness, softness, and tenderness that lives in people’s smiles and hearts.

Persönliche Erfahrungen und Emotionen in ein Werk für die Öffentlichkeit zu verwandeln, sei gerade für Artists of Colour eine Herausforderung, sagt Multimedia & Performance Artist Hyo Lee. Denn für Menschen mit Rassismuserfahrung bestehe immer die Gefahr, von Angehörigen der dominanten Kultur als aufregende, exotische Abwechslung konsumiert zu werden. Es sei daher wichtig, sich auf der Bühne mit den Mitteln künstlerischer Verfremdung zu schützen.

As a Person of Colour you are always exposed to the danger that someone in the audience will think of you as some kind of sad documentary they watched on TV last night.

Bilder aus dem Stück "City of Diaspora"

Abiona Esther Ojo

„City of Diaspora“ von Stefanie Sourial läuft im brut nordwest noch bis 6. Februar. Infos und Tickets auf brut-wien.at

Die Kraft, die „City of Diaspora“ entwickelt, rührt aus dem Versuch, Gegenwart und Zukunft neu zu entwerfen, als Utopie für die Bühne. Aber auch als ein Beispiel dafür, wie sich queere BIPoC-Kunstschaffende in Wien mittlerweile eigene Räume und Strukturen erschaffen, um selbstbestimmt zusammenarbeiten zu können, so Sunanda Mesquita. Dies sei erst der Anfang der Suche nach neuen gemeinsamen Wegen und Welten.

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