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Catharina Linck / Anastasius Rosenstengel

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„In Männerkleidern“ ist eine subversive Geschichte über Gender im 18. Jahrhundert

Vor 300 Jahren wurde Catharina Linck zum Tod verurteilt. „Unzucht mit einem Weybe“ lautet die Anklage; Linck geht in die Geschichte ein als letzte Frau in Europa, die deshalb ermordet wurde. Anhand der originalen Gerichtsakte analysiert Autorin Angela Steidele das Leben und Sterben einer Person, die im 18. Jahrhundert jegliche Genderkonzepte herausgefordert hat.

von Michaela Pichler

Trans, lesbisch oder queer? Diese Frage stellt sich Autorin Angela Steidele immer wieder, als sie tief in alten Gerichtsakten recherchiert. Die Fakten zum vorliegenden Fall beginnen mit ärmlichen Verhältnissen in einer binären und extrem religiösen Gesellschaft: Catharina Margaretha Linck wird Ende des 17. Jahrhunderts im heutigen Thüringen als uneheliches Kind geboren und als Mädchen getauft. Aufgewachsen in einem christlichen Waisenhaus lernt sie zwar lesen, schreiben und rechnen, was für damalige Verhältnisse eher eine Ausnahme darstellt. Ein streng religiöse Leben wird Catharina aber nicht führen, es zieht sie woanders hin. Mit 15 Jahren macht sie sich auf den Weg nach Calbe im heutigen Sachsen-Anhalt.

Hier, am neuen Ort, wo man sie allgemein nicht kannte, wo sie aber Unterstützung fand, vollzog Catherina Linck die große, entscheidende Veränderung in ihrem Leben: Sie zog Männerkleider an.

Das Leben in Hosen

Von nun an beginnt ein neues Leben - nicht mehr als Catharina Linck, sondern als Anastasius Rosenstengel. Die Gründe für diese damals lebensgefährliche Entscheidung liegen tief im Patriarchat verwurzelt.

„Fast alle der heute bekannten Frauen, die als Männer lebten, stammten wie Catharina Linck aus der Unterschicht und versuchten, durch ihren Kleidertausch der Armut zu entkommen und sich die Hierarchie zwischen den Geschlechtern zunutze zu machen. […] Als Mann konnte eine Frau aus der Unterschicht nur gewinnen: Im 18. Jahrhundert standen ihr mit einem Mal Berufsmöglichkeiten, Verdienstquellen, Freiheiten und Rechte offen, von denen sie vorher nur träumen konnte.“

Angela Steidele - "In Männerkleidern"

Suhrkamp

Die Biografie „In Männerkleidern. Das verwegene Leben der Catharina Margaretha Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, hingerichtet 1721“ von Angela Steidele wurde erstmals 2004 im Böhlau Verlag veröffentlicht. Zum 300. Todestag von Catharina Linck / Anastasius Rosenstengel wurde die Monographie aktualisiert und im Insel Verlag neu verlegt.

Neben dem sozialen Aufstieg bedeutet das neue Leben für Anastasius Rosenstengel vor allem sexuelle Freiheit. Als Single und Soldat nimmt er die Dienstleistungen von Sexarbeiterinnen in Anspruch, später heiratet er sogar. 15 Jahre lang geht dieses Leben gut – bis Anastasius’ Identität die Aufmerksamkeit der damaligen Inquisition weckt.

Was in den heutigen Augen klar als Lebensrealität einer trans Person verstanden werden würde, ist in der damaligen Zeit noch kein Thema. In einem eigenen Kapitel widmet sich die Autorin Angela Steidele der Frage, ob heutige Gender-Konzepte auf den Linck-Rosenstengel-Fall überhaupt übertragbar sind. Sie kommt dabei zu dem Entschluss, dass die Fragestellung, ob diese Person trans, lesbisch oder queer war, viel mehr über unsere Zeit aussagt als über den historischen Fall.

Der Preis der Freiheit

Für den Sex mit einer Frau wurde Catharina Linck von der Inquisition zum Tod verurteilt. Im Prozess tritt sie als Frau auf, die sogar behauptet, der Teufel hätte sie zu ihren Lebensentscheidungen verführt. Im 18. Jahrhundert zählte Homosexualität zur Sodomie: Unter diesem Begriff wurde nicht nur Sex mit Tieren verstanden, sondern jegliche sexuelle Tat, die nicht dem „christlichen“ Verständnis von Fortpflanzung gedient hat. Also auch Oralsex, Selbstbefriedigung oder Sex mit einem toten Gegenstand, wie ein Dildo zum Beispiel. In der Anklageschrift heißt es „[...] sie habe ein von Leder gemachtes ausgestopftes männliches Glied, woran ein Beutel von Schweineblasen gemacht‘ und daran ‚zwey ausgestopfte von Leder gemachte Testiculi gehänget.“

Mit der Penis-Attrappe, die beim Sex auch als Dildo funktioniert hat, konnte Anastasius sogar im Stehen pinkeln. Damit hat er auch seine Soldatenjahre unentdeckt verbracht. Im Gerichtsverfahren kostet es ihm allerdings das Leben. Am 8. November 1721 wird Anastasius/Catharina öffentlich mit einem Schwert am Fischmarkt in Halberstadt hingerichtet.

Subversiver Geschichtsstunde

Anhand der originalen Gerichtsakte aus dem Jahr 1720 hat die Autorin Angela Steidele akribisch eine Biografie erarbeitet. Wer sich von den religionswissenschaftlichen Infos und dem historischen Zugang nicht abschrecken lässt, wird mit einer subversiven Geschichte belohnt. Das Buch wirft ein Licht auf den Mut und die Überzeugung, mit der Catharina Linck beziehungsweise Anastasius Rosenstengel ein selbstbestimmtes Leben geführt hat.

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