FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Fische am Markt

Pexels

buch

Wie man einen Diktator satt bekommt

Der polnische Journalist und Hobbykoch Witold Szablowski ist um die Welt gereist, um die noch lebenden Leibköchinnen und Küchenchefs von berühmten Diktatoren zu finden und sich ihre Lebensgeschichten erzählen zu lassen.

Von Boris Jordan

Wer nach einer skurrilen Lektüre sucht, wird beim Berliner Katapult-Verlag fündig. Neben dem Katapult-Magazin, das für Landkarten und Infografiken berühmt ist, hat der Verlag viele Bücher mit Landkarten herausgegeben, in denen mit geographischen Mitteln unerhörte Statistiken und erbauliches Wissen vermittelt wird: vom Klimawandel über Flaggen und nationale Sexpraktiken zu seltsamen Grenzen.

In „Wie man einen Diktator satt bekommt“, dem neuesten Streich aus dem Hause Katapult, erfahren wir nicht nur die Essgewohnheiten von Idi Amin, Saddam Hussein oder Pol Pot, es wird eine sehr persönliche und ungewöhnliche Sichtweise auf Schreckensherrschaft und Machtklüngel aus der Sicht derer erzählt, die - oft unter Lebensgefahr - ganz nahe an der Macht gearbeitet haben. Ohne Kochrezepte, aber mit vielen Anekdoten.

Köch*innen erzählen

Man mag es für geschmacklos halten: Soll man sich wirklich Geschichten anhören, in denen erzählt wird, wie Pol Pot seinen Papayasalat gerne aß, während eine Hungersnot über sein Land fegte, und nachdem er Hunderttausende ermorden hat lassen, weil sie Brillenträgerinnen oder Französischlehrer waren? Ob Idi Amin eher Früchtekuchen oder Käsekuchen wählte, nachdem er eine seiner Frauen nach deren Tod noch vierteilen lassen hatte? Oder wie Herr K. um sein Leben kochte, weil niemand sich getraut hatte, Enver Hoxha beizubringen, dass es in Albanien nichts zu essen gab?

Witold Szablowski ist sich dieser Gratwanderung bewusst. Er hält sich bei den Gesprächen mit moralischen Kommentaren zurück, um die Köche und Köchinnen möglichst frei erzählen zu lassen: über Fidel Castros Besserwisserei in allen Lebensfragen, Saddam Husseins leicht sadistischen Humor und Idi Amins unkontrollierte Wut, aber auch die verliebte Köchin über die sanfte Stimme und die warmen Augen Pol Pots und den kubanischen Vorkoster über die fast kindliche Liebe Fidel Castros zu Ubre Blanca, der leistungsstärksten Milchkuh der Welt.

Die Geschichten dieser Köch*innen sind auch die Geschichten ihrer Arbeitgeber und die Geschichte der Revolutionen und Umstürze der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts. Der geduldige Zuhörer Szablowski bekommt all diese Geschichten, und sie sind vielfältig.

Buchcover: Ein Diktator sitzt am Tisch mit Messer und Klaschnikov

Katapult

„Wie man einen Diktator satt bekommt“ von Witold Szablowski ist bei Katapult in der Übersetzung von Paulina Schulz-Gruner erschienen.

Im Ganzen gebackene Ziege

Da ist Otonde Odera, der 80-jährig in einer windigen Hütte in Kenia lebt. Seine Mutter hatte ihn allein in der Wildnis entbunden und es war sicher gewesen, dass die Mutter und das Neugeborene von Hyänen zerfleischt würden - diese schlichen die ganze Zeit um Mutter und Baby herum, verschonten beide. Otonde Odera wurde vom Medizinmann ein langes Leben prophezeit. Als einziger in dem Buch wurde Odera der Küchenchef von gleich zwei Diktatoren, von einem sogar zweimal (Milton Obote, nach dessen Absetzung Idi Amin, nach dessen Sturz wieder Milton Obote). Er kochte für Milton Obote europäisch, britisch, Fleisch, Puddings und mince pies. Dann kam Idi Amin, Odera mussste sich beschneiden lasse und der Diktator suchte höchstpersönlich eine zweite Frau für ihn aus, er bekam eine Gehaltserhöhung und einen Mercedes. Seine Spezialität war eine ganze, gefüllte und dann gebackene Ziege. Wie die meisten Diktatorenköche lebte er in täglicher Angst vor den Launen des Diktators und landete schließlich mittellos im Exil.

Süßes für den paranoiden Diabetiker

Oder Herr K., der weder seinen Namen noch sein Foto im Buch wiederfinden möchte. Auch die Umstände ihrer Begegnung sollten vom Szablowski verfälscht werden. Herr K. war der Koch von Enver Hoxha, dem paranoiden Diktator von Albanien, der an Diabetes litt und täglich nicht mehr als 1.500 Kalorien zu sich nehmen durfte. Da das für einen großgewachsenen Mann nicht gerade viel ist, war der Diktator stets hungrig und übellaunig. Dagegen entwickelte K. zusammen mit Hoxhas Krankenschwester spezielle zuckerarme Süßspeisen, improvisierte einen Maronisalat mit gekochten Haselnüssen, weil im sozialistischen Albanien trotz Hoxhas Wunsch keine Esskastanien aufzutreiben waren. Mit Hilfe der Schwester des Diktators rekonstruierte er alte Familienrezepte, kochte Shapkat, Köfte, Gahi, Trahane und bangte um sein Leben und das Enver Hoxhas, von dem seines abhing.

Bis auf die beiden kubanischen Köche und die verliebte Köchin des kambodschanischen Diktators lebten all diese Bediensteten in ständiger Versagensangst unter Lebensbedrohung: Wenn dem Chef das Essen nicht schmeckte oder seine Verdauung angegriffen war, konnten sie ermordet oder in den Selbstmord getrieben werden und das Regime konnte auch an ihren Familien grausame Rache nehmen.

Regionale Hausmannskost

Die meisten Köche waren angehalten, lokale Hausmannskost über kulinarische Finesse zu stellen, die Diktatoren schätzten einfache Gerichte aus ihren Heimatregionen. Generöse Gelage seien nur zu Repräsentationszwecken (oder denen der Angeberei) geordert worden. Es wird auch hier wieder einmal das Klischee bedient, skrupellose Machtmenschen seien im Privatleben persönlich genügsam und bescheiden. So ist bei uns bekannt, dass Adolf Hitler am liebsten Eiernockerln und sonst nur Schonkost zu sich nahm, Tito warmes Schweinefett, Stalin georgische Hühnersuppe, und dass Benito Mussolini gerne Kuttelsuppe und rohen Knoblauch gegessen haben soll, was in den meisten Fällen als Kehrseite von aufgeblasenem Männerego, Machtdurst und rücksichtsloser, launischer Verfügbarkeit über Leben und Tod gewertet werden kann.

In einem überflüssigen Anfall von Originalität sind die Diktatorenkapitel wie eine Speisekarte gestaltet. Auf Rezepte wird verzichtet, die Köche deuten sie nur an. Aber wer möchte schon die Lieblingssuppe Saddam Husseins nachkochen, zumal sie übersetzt „Fischsuppe nach Art der Diebe“ heißt.

mehr Boris Jordan:

Aktuell: