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Black Country, New Road "Ants from up there"

Rosie Foster

Black Country, New Road und ihr 2. Album „Ants from up there“

Das 2. Album der Hype-Band Black Country, New Road wurde gleichzeitig zum Vermächtnis ihrer derzeitigen Bandbesetzung. Ein Album voll Freundschaft, herzzerreißend schön.

Von Katharina Seidler

Wie die besten Geschichten hat auch das Märchen von Black Country, New Road einen bitteren Beigeschmack. Seit dem Release ihres Debütalbums „For the first time“ vor praktisch genau einem Jahr leuchtete der Stern dieses Kollektivs gleißend hell. Die Vorab-Lorbeeren, die die aus dem Umfeld des Londoner Clubs The Windmill hervorgegangene Band erhalten hatte, löste das Album locker ein, die Kritiken waren hymnisch, die wenigen dazugehörigen Konzerte ebenso. Unter anderem durfte das Donaufestival in Krems im Herbst 2021 eine Liveshow von Black Country, New Road erleben, ein umso rarerer Genuss, als nach diesem Tourauftakt und nur einer Handvoll weiterer Auftritte aufgrund einer Erkrankung eines Mitgliedes der Rest der Termine wieder abgesagt wurde.

Das zweite Album, das am 4. Februar 2022 erschienen ist, war längst im Kasten, einige der neuen Nummern waren bereits vor der Entstehung des Debüts fertig. Nur wenige Tage vor dem Release von „Ants from up there“ verlautbarte die Band dann mit einem Paukenschlag den Ausstieg ihres Sängers Isaac Wood. In einem ausgiebigen Posting schrieb dieser offen über psychische Probleme und den Druck, dem er in seiner Funktion als automatischer Frontmann der Band ausgesetzt war. Seine Bandkolleg*innen halten unumwunden zu ihm, sie wollen in Zukunft die Rolle am Mikrophon besser aufteilen, um den Fokus der Öffentlichkeit abzulenken; das gemeinsam geschriebene Material wird nicht mehr aufgeführt. Das Kollektiv ging diesen sieben jungen Menschen schon immer über alles.

Black Country, New Road "Ants from up there"

Ninja Tune

„Ants from up there“ von Black Country, New Road ist via Ninja Tune erschienen.

Hierauf bezieht sich auch der Titel des neuen Albums, nämlich auf die Erkenntnis, das wir alle nur Ameisen in einem großen System sind, und dass dieses nur funktioniert, wenn wir zusammenhelfen. Dieser Geist der Kameradschaft, die jahrelange, echte Freundschaft zwischen den Mitgliedern von Black Country, New Road durchzieht auch das Album. Handelte „For the first time“ noch im weitesten Sinne von der Zerrissenheit und Überforderung der Generation Z, was sich auch im angespannten, düsteren Sound widerspiegelte, schlägt „Ants from up there“ deutlich versöhnlichere Töne an.

Die zackigen Postpunk-Gitarren des Debüts sind indiepoppigeren Harmonien gewichen; mehr denn je trifft, etwa in „Chaos Space Marine“, auch der Vergleich mit den Herzenshymnen von Arcade Fire auf das Septett zu. Die neue Zugänglichkeit steht bei dieser Band aber keinesfalls im Widerspruch zu 10- oder 13-minütigen Song-Monolithen, die wie eh und je Haken schlagen zwischen krachigen Ausbrüchen und schwelgerischem Kammerpop, ausschweifenden Soli, Klezmer-Passagen und Minimal Music. Der Aufbau ihrer dramatischen Elegien, die sich aufblähen und dann wieder in sich zusammensacken, wurde Black Country, New Road möglicherweise von den Geistern des Prog Rock eingeflüstert.

Auf jeden Fall knallen in den neun neuen Songs Opulenz, Anspannung und schüchterner Minimalismus höchst inspiriert aufeinander. Hören wir etwa „Snow Globes“, in dem Gitarre, Geige, Bass, Saxophon und Klavier unisono eine simple, pastorale Melodie spielen, während sich Drummer Charlie Wayne in einem freejazzigen Solo zur Erlösung trommelt. Zum Ende hin wird es wieder still und klein; dazwischen meint man, kurz die Weltformel rauschen gehört zu haben.

Darüber, dass eine Organtransplantation wie der Ausstieg ihres Sängers und Texters nicht massive Veränderungen im Sound der Band bringen wird, machen sich Black Country, New Road zweifellos selbst keine Illusionen. Zu markant war Woods nervöser Bariton voll Anxiety und bittersüßem Witz, während die Lyrics in knappen Sätzen zwischen kryptisch absurd („I’m coming home, Billie Eilish style“) und herzzerreißend konkret wechselten. „Okay, well I just woke up, and you already don’t care“, singt er brüchig zu Beginn von „Bread Song“ und erzählt damit in zehn Worten eine ganze Geschichte. Später werden die Brotbrösel im Bett zum Symbol für eine missglückte Beziehung: "I never felt the crumbs until you said: „This place is not for any man, nor particles of bread“.

Dennoch wird die Geschichte von Black Country, New Road, dieser immer noch blutjungen Band unter dringendem Genieverdacht, weitergehen. An mehreren Stellen des zweiten Albums, darunter am Ende des nichts weniger als monumentalen, 13-minütigen Abschlusssongs „Basketball Shoes“, vereinen sich sieben Stimmen zum Chor. „We’re all working on ourselves, and we’re praying that the rest don’t mind how much we’ve changed“, heißt es im Text, die Musik bauscht sich zu riesigen Post-Rock-Wänden auf, die immer auch den weltumarmenden Gestus von Arcade-Fire-Messen in sich tragen. Es gilt die Vermutung, dass es praktisch nicht möglich ist, einem Song wie diesem gleichgültig gegenüber zu stehen: Überwältigungsmusik aus offenen Herzen.

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