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"Animal" von Lisa Taddeo

Piper Verlag

„Animal“ von Lisa Taddeo

Trashig, unterhaltsam und eh irgendwie feministisch. Das polarisierende zweite Buch von „Drei-Frauen“-Bestsellerautorin Lisa Taddeo.

Von Barbara Köppel

Das „American Psycho der #MeToo-Generation“. So hat The Times das neue Buch der US-amerikanischen Schriftstellerin Lisa Taddeo genannt. Diese Ansage ist selbst für eine Bestsellerautorin eine ziemliche hohe Latte.

Doch immerhin sorgte Taddeos Debüt mit dem schlichten Titel „Drei Frauen“ 2019 weltweit für Furore. Darin beschreibt sie halb-dokumentarisch, halb-fiktiv die sexuellen Biographien dreier unterschiedlicher Frauen aus den zeitgenössischen USA. Ein Buch, das weibliches Begehren ganz unromantisiert in den Mittelpunkt stellt. Mit einem großen Manko, wie viele Kritiker*innen aus dem deutschsprachigen Raum urteilen: Die porträtierten Figuren sind durch die Bank weiß und heterosexuell, in ihrem Verhalten eher reaktionär als Role Models. Doch in der Art, wie darin Fragen um sexuelle Selbstbestimmung abgehandelt werden, bleibt „Drei Frauen“ für viele trotzdem das Buch der Stunde.

Als Schriftstellerin so zu polarisieren ist niemals ein Nachteil, und ebendas tut Lisa Taddeo mit „Animal“ aufs Neue. Statt einer lang recherchierten dokumentarischen Arbeit, ist es diesmal ein Roman geworden.

"Animal" von Lisa Taddeo

Diane von Schoen / Piper Verlag

Lisa Taddeo, Jahrgang 1980, sorgte mit ihrem ersten Buch „Three Women“ weltweit für Furore. Es stieg mit Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerlisten der New York Times und Sunday Times ein, und auch in Deutschland führte es die SPIEGEL-Bestsellerliste an. Lisa Taddeo schreibt zudem popkulturelle Features für The New York Times, Esquire, New York, Elle und Observer und arbeitet an mehreren Drehbüchern, darunter eine Serienadaption von „Three Women“.

„Ich musste weg aus New York, wo sich ein Mann vor meinen Augen erschoss.“

Gleich im ersten Satz erschießt sich der ehemalige Liebhaber der Protagonistin Joan. Nur wenige Seiten später erfahren wir, dass diese selbst zur Mörderin werden wird. Das ist natürlich der beste Cliffhanger überhaupt: Wen wird sie umbringen, und warum? Und was hat das dunkle Geheimnis aus ihrer Kindheit damit zu tun, das die Ich-Erzählerin auch schon ganz früh im Buch andeutet.

Schnell wird auch klar: Der Mann mit der Kugel im Kopf hat ihr wenig bedeutet und der, den sie liebt, will nichts von ihr wissen. Also flieht Joan von New York nach L.A., um eine gewisse Alice zu finden, die einzige Person, die ihr helfen kann, ihre Vergangenheit zu überwinden.

Eine Frauenbiographie anhand sexueller Traumata

Auch in „Animal“ wird die Lebensgeschichte einer Frau anhand ihrer sexuellen Erfahrungen erzählt. Im Falle von Joan sind das fast ausnahmslos Erniedrigungen, fremd- und selbstzugefügte psychische Verletzungen, die ihr mitunter ein trügerisches Gefühl von Macht geben:

„Von Sex mit Männern, die man nicht attraktiv findet, kann ich dir ein Lied singen. Es dreht sich dann alles nur um die eigene Performance, den eigenen Körper, wie er von außen wirkt und sich auf diesem - zum bloßen Zuschauer degradierten - Typen bewegt. Solange das lief, war ich mir der Folgen gar nicht bewusst. Es fiel mir erst Jahre später auf, als dreimal täglich Duschen immer noch nicht reichte.“

Der große Coup wie „Drei Frauen“ ist „Animal“ aber leider nicht. Waren die titelgebenden Frauen in Lisa Taddeos erstem Buch tatsächlich authentisch und aus dem Leben gegriffen, ist die fiktive Joan wenig glaubwürdig. Ihr Schicksal und das ihrer Nebenfiguren komplett überfrachtet: Mord, Selbstmord, Missbrauch, Vergewaltigung, Fehlgeburt – kein menschliches Trauma, schon gar kein weibliches wird ausgelassen. Überhaupt lauern die Trigger überall. Joan sexualisiert jede zufällige Begegnung, jeden beiläufigen Blick. Wenn die Möbelpacker kommen, imaginiert sie ihre eigene Vergewaltigung. Selbst die Zubereitung simpler Mahlzeiten verläuft nicht unschuldig, auch wenn keine der vielen Austern, die im Text geschlürft werden, involviert sind.

"Animal" von Lisa Taddeo

Piper Verlag

„Animal“ von Lisa Taddeo ist im Piper Verlag erschienen, in einer Übersetzung von Anne-Kristin Mittag.

Auch feministisch ist an Joan nichts. Im Gegenteil, „Animal“ ist ein Buch über eine „spöttische Antiheldin“ (The Guardian), eine Frau, die andere Frauen hasst oder ihnen gegenüber Eifersucht oder maximal Anhänglichkeit empfindet. Für ihre eigene Mutter findet sie Vergleiche wie Engel oder Hexe, ihren Vater überhöht sie komplett. Die Kritik an der patriarchalen Gesellschaft ist überdeutlich. Sie hat Joan schon früh kaputt gemacht. Die Gefallsucht, das Streben nach Anerkennung durch und den strategischen Einsatz von sexueller Verfügbarkeit, sind das direkte Resultat dessen. Ihr Selbstwert ist gleich null. Identifikationspotenzial gibt es allerhöchstens punktuell.

Weibliche Wut wird pathologisiert

Was Lisa Taddeo dennoch gut gelingt, ist es, sichtbar zu machen, dass der weibliche Gefühlsausdruck nach wie vor oft pathologisiert wird. Wo männliche Brutalität das Problem ist, wird die daraus folgende weibliche Wut als Verrücktheit abgestempelt, Schmerz als Schwäche. Egal ob Opfer oder Täterin, als Frau bist du immer selbst Schuld. Dieser verdrehten Maxime scheint sich Taddeos Romanfigur über lange Strecken hin verschrieben zu haben. Nur um am Ende in einer Art Läuterung ein weiteres urweibliches Klischee zu erfüllen. Manche werden es vielleicht als Emanzipation wahrnehmen.

Insgesamt ist „Animal“ unterhaltsam und souverän geschrieben. Stellenweise zwar verwirrend und naserümpfend grausig, aber hey, wir wollen schließlich wissen, wen sie am Ende gekillt hat. Dazu passt auch der trashige Ton, der in der deutschen Übersetzung vulgärer klingt als im englischen Original. Fazit: Auch wenn dieser Zweitling kein Volltreffer ist, bleibt Lisa Taddeo definitiv auf unserer Watchlist des ideologischen Minenfelds der sogenannten Frauenliteratur.

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