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Kulturelle Aneignung: Bewunderung oder Diebstahl?

Warbonnets als Partyhut, Dreadlocks auf weißen Köpfen, Ziegen-Yoga: Viele weiße Menschen bedienen sich wie selbstverständlich bei anderen Kulturen. Wo aber verläuft die Grenze zwischen Appreciation und Appropriation?

Von Diana Köhler

Der Black History Month auf FM4

Ein BPoC-Schwerpunkt zieht sich den ganzen Februar lang durch das FM4 Programm: u.a. stellen wir afroösterreichische Artists und deren Lebenswelten vor, beleuchten die Ursprünge von Techno, House und Reggaeton, erzählen über Black Hair in der Popkultur, berichten über die Debatte zu kolonialen Objekten in Österreichs Museen und diskutieren über die Grenze zwischen cultural appropriation und appreciation.

Taylor Swift, die im Video twerkt und gay rights als Modeslogan benutzt. Adele im Karnevalskostüm mit Cornrows auf dem Kopf. Katy Perry mit hinduistischem Bindi auf der Stirn. Wenn Mitglieder einer dominanten Kultur Elemente einer marginalisierten Kultur imitieren, gibt es regelmäßig Shitstorms im Netz. Aber ist das tatsächlich Identitätsdiebstahl oder vielmehr Bewunderung einer anderen Kultur? Und wer entscheidet das? Wem wird zugehört?

Noomi Anyanwu ist Mitinitiatorin und Sprecherin des Black Voices Volksbegehrens gegen Rassismus. Wir haben mit ihr über das Thema gesprochen.

Radio FM4: Wenn das überhaupt möglich ist, wie würdest du kulturelle Aneignung kurz und knapp beschreiben?

Noomi Anyanwu: Cultural Appropriation passiert dann, wenn sich eine Person oder eine Personengruppe einen Aspekt einer Kultur herauspickt, selbst verwendet und dann dafür Anerkennung bekommt - sei es Kleidung, Frisur oder Essen - und gleichzeitig Menschen aus der Kultur, aus der es ursprünglich kommt, diskriminiert werden und eine schlechtere gesellschaftliche Stellung haben.

Radio FM4: Es ist zwar ein altes Beispiel, aber Jamie Oliver wurde in diesem Zusammenhang schon sehr früh Cultural Appropriation vorgeworfen. Kannst du es anhand dessen etwas genauer erklären?

Noomi Anyanwu: Jamie Oliver finde ich immer noch ein sehr treffendes Beispiel. Er war einer der ersten Köche, von dem ich mir als Kind Sendungen angeschaut habe. Ich kann mich noch genau erinnern, da war ich noch sehr klein und dachte mir: „Cool, der kocht so viele verschiedene Sachen aus verschiedenen Ländern.“ Aber irgendwann fand ich es komisch, dass er nie sagt, wo er diese Rezepte herhat, nie die Personen erwähnt, von denen er die Gerichte gelernt hat, ihnen keine Credits oder sogar Geld dafür gibt. Auf die Art: „Ich habe das irgendwo gesehen und ich mache es jetzt nach, aber noch besser und noch toller.“ Und dann verdient er damit Millionen.

Radio FM4: Manche Menschen argumentieren dann, dass sich Gerichte, Kleidungsstile etcetera aus verschiedenen Kulturkreisen auf natürliche Art und Weise vermischen. Was ist denn noch eine „natürliche“ Vermischung, was ist Aneignung?

Noomi Anyanwu: Es stimmt schon, die Grenzen verschwimmen sehr leicht und manchmal gibt es durchaus Graubereiche. Aber ich glaube, es ist vor allem wichtig anzuerkennen, dass es kulturelle Aneignung gibt, und zu respektieren, wenn betroffene Menschen darauf aufmerksam machen. Es geht nicht nur um verletzte Gefühle, es geht um viel mehr als das. Schwarze Menschen werden oft wegen ihrer Haare diskriminiert, von der Arbeit oder der Schule nach Hause geschickt, haben schlechtere Jobchancen. Und weiße Menschen werden dann für diese Looks gefeiert. Da besteht ein Ungleichgewicht, das in dem rassistischen System verankert ist, in dem wir leben.

Aspekte von anderen Kulturen auszuprobieren, das ist ja im Prinzip etwas Schönes. Zum Beispiel, wenn man Essen von anderen Kulturkreisen nachkocht. Aber es geht darum, wie man es macht. Du musst dabei immer reflektieren: Was ist deine Rolle und in welcher Position befindest du dich?

Ein gutes Beispiel sind die Kardashians: Wie viele weiße Celebrities tragen sie manchmal Cornrows oder Braids, also Frisuren von Schwarzen Menschen. Bei den Kardashians wird das dann als total schön gesehen und die Braids werden da zum Beispiel schon „Kardashian-Braids“ genannt. Als hätten sie es erfunden. Sie bekommen hier Anerkennung und Aufmerksamkeit. Schwarze Menschen werden für ihre Haare diskriminiert.

Radio FM4: Wo gibt es deiner Meinung nach Graubereiche?

Noomi Anyanwu: Ich weiß nicht, ob es für mich persönlich tatsächlich Graubereiche gibt (lacht), für mich ist es relativ klar und es wird auch schnell relativ klar, wenn man sich damit auseinandersetzt, finde ich. Natürlich ist es am Anfang für viele abstrakt. Dann kommen Sätze wie „das meinte ich doch gar nicht so“ oder „ich finde XY doch einfach nur so schön!“ Aber hinter Cultural Appropriation und den Folgen davon steckt ein System und das ist rassistisch. Da profitieren privilegierte Menschen auf Kosten von anderen, die darunter leiden. Wenn einem das klar ist, wenn man seine eigene rassistische Sozialisation reflektiert, dann gibt es da sehr viel weniger Grauzonen als gedacht.

Radio FM4: Es geht also vor allem darum, sich bewusst zu machen, wo man selber in der Gesellschaft steht. Und auch darum, wie viel Geld ich mit dem verdiene, was ich mir aneigne.

Noomi Anyanwu: Ja genau. Es macht eben einen Unterschied, ob ich zu Hause gerne indisches Essen koche und das einfach total lecker finde oder ob ich einen Foodblog habe, auf dem ich dann diese Gerichte vermarkte, damit Geld verdiene und vielleicht sogar nicht erzähle, woher ich diese Gerichte habe, sie als meine Ideen ausgebe, es zu meinem mache.

Der zweite Punkt ist eben Macht und ökonomische Situation. Eine Person, die in der Öffentlichkeit steht und reich ist, hat auch mehr Verantwortung. Keine Kultur sollte sich eine andere auf diese Weise aneignen, das betrifft nicht nur weiße Menschen.

Radio FM4: Da kommt mir Beyoncé in traditionellen indischen Kleidern und Henna-Bemalungen in den Kopf, in dem Musikvideo zu „Hymn for a Weekend“.

Noomi Anyanwu: Zum Beispiel. Aber es machen ja noch viele andere Celebrities. Fast alle! Ein entscheidender Punkt ist der: Eine weiße Person kann sich einfach ihre Dreadlocks abschneiden oder die Braids auftrennen. Sie bleibt weiß. Eine Schwarze Person bleibt immer noch Schwarz. Das wird oft vergessen, ist aber echt wichtig.

Radio FM4: Nochmal zusammenfassend, was ist wichtig für den Diskurs um Cultural Appropriation?

Noomi Anyanwu: Ich glaube, solange man sich dessen bewusst ist und sich konstant hinterfragt und reflektiert hat man schon mal den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Man muss auch immer offen sein für Kritik an seinem Verhalten und für die Diskussion darüber. Wichtig ist auch, nicht zu vergessen: Wenn man Feedback über solch ein Verhalten bekommt, heißt das nicht, dass man ein böser Mensch ist. Niemand greift dich persönlich an, wir können alle Dinge machen, die nicht okay sind. Das ist leider die Folge von dem rassistischen System, in dem wir alle aufwachsen. Wir müssen offen dafür sein, Neues zu lernen und unsere Meinung zu ändern.

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Über das Thema kulturelle Aneignung sprechen wir auch heute, Dienstag, 8. Februar, in FM4 Auf Laut. Zu Gast bei Claudia Unterweger: Musikjournalist Tori Reichel und Filmemacherin Weina Zhao. Ruf an und diskutiere mit, ab 21 Uhr auf Radio FM4. FM4 Auf Laut gibt es auch als Podcast.

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