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Szenenbilder "Der Tod auf dem Nil"

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Reich und Schön (und tot)

A schene Leich und ganz schön viel Langeweile gibt es in Kenneth Branaghs Verfilmung von Agatha Christies „Der Tod auf dem Nil“. Die weißen Anzüge, silbernen Roben und kecken Hütchen können nur bedingt von schlechtem CGI und spannungsbremsender Dramaturgie ablenken.

Von Pia Reiser

Agatha Christie hat 33 Kriminalromane geschrieben, in denen Hercule Poirot ermittelt. Warum sich Kenneth Branagh bei seinen neuen Adaptionen für zwei Romane entschieden hat, die bereits starbesetzt verfilmt worden sind, kann nur damit zu tun haben, dass er sie ganz bewusst zum Vergleich mit den alten Adaptionen in die Welt setzen wollte. Es zeigt außerdem, dass, wenn ein Krimi auf die Leinwand will, er an einem luxuriösen Ort spielen sollte und einen mindestens 8-köpfigen Cast vorweisen sollte, bei dem Vermögen und Exzentrik eine wichtige Rolle spielt.

Zwischen 1974 und 1982 werden fünf Romane von Agatha Christie hochkarätig besetzt verfilmt, die diesem Anspruch gerecht werden - „Murder at the Orientexpress“, „Death on the Nile“, „Appointment with Death“, „Evil under the Sun“ und „The Mirror crack’d“. Auch Kenneth Branagh hat für seine Neu-Adaptionen in diesem kleinen, bereits Verfilmungs-erprobten Pool an Kriminalromanen gefischt. Nach „Mord im Orientexpress“ im Jahr 2017 kommt jetzt „Der Tod auf dem Nil“ wieder in die Kinos. Letzterer ist im Grunde die Sommerausgabe des Ersteren.

Szenenbilder "Der Tod auf dem Nil"

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In beiden Romanen ist eine illustre und weitgehend reiche (oder Reichtum vorgaukelnde) Gruppe an Reisenden in einem luxuriösen Verkehrsmittel versammelt, als ein Mord begangen wird und alle Mitreisenden Verdächtige sind. (Im „Orientexpress“ hauptsächlich, weil der Zug im Niemandsland eingeschneit war, bei „Der Tod auf dem Nil“ werden die Mitreisenden der Ermordeten als Figuren eingeführt, die dieser zumindest nicht freundlich gesonnen sind).

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Während der Orientexpress durch Winterlandschaften dampft und die Verdächtigen Pelzhauben und Schals im Gepäck haben, legt in „Der Tod auf dem Nil“ ein Luxus-Dampfschiff am Nil ab. Die Sonne brennt runter auf bleiche britische Gesichter, man trägt leichte Leinenanzüge, Seidenkleider und Strohhüte als Sonnenschutz. Im Orientexpress liegt eines Morgens ein älterer Herr erstochen im Abteil, am Nil-Dampfer findet man die reiche und schöne Linette Ridgeway (Gal Gadot) am Morgen erschossen in ihrer Kabine.

In beiden Fällen ist der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot einer der Passagiere. Der Schnurrbart Poirots wurde ein wenig gestutzt, dafür kriegt man via - an den Haaren herbeigezogenem Epilog - eine Origin Story des Poirot’schen Schnurrbarts. Und nicht nur der Schnurrbart ist weniger breit und auffällig als noch in „Mord im Orientexpress“, die Spleens von Poirot kehrt Branagh hier nicht so hervor wie noch vor fünf Jahren. Dafür fährt er alles Andere auf Anschlag. Groß, bombastisch, opulent soll der Krimi sein, die Bilder, die Branagh dafür findet sind dabei aber oft nah dran an der Ästhetik für Billig-Parfums. Da muss Gal Gadot im silbernen Kleid eine Treppe herab- und Emma Mackey im roten Kleid eine Treppe hinaufschreiten.

Ebenfalls irritierend ist erstaunlich schlechtes CGI (für einen Film, der immerhin ein 90 Millionen Dollar Budget hatte), das uns Pyramiden, Wüsten und Sonnenuntergänge vorgaukeln soll und doch nur Seifenopern-Atmosphäre verbreitet. Dass eine etwas plump angelegte Naturmetapher (Krokodil frisst Vogel) den baldigen Tod von Linette ankündigt ist auch nicht ganz die feine Erzählklinge. Doch über all das könnte man hinwegsehen, wenn Branagh zwischen all den establishing shots auf der Suche nach Grandeur nicht die Krimi-Handlung aus dem Auge verlieren würde. Zahlreiche „Hab ich ihnen schon die Schönheit des Nils gezeigt“-Kamerafahrten legen außerdem den Verdacht nahe, dass das ägyptische Tourismusbüro hier als Geldgeber dabei war.

Das Drehbuch nimmt sich einige Freiheiten, was die Figuren angeht, was dazu führt, dass - im Gegensatz zum Roman und der Verfilmung aus dem Jahr 1978 - man an Bord des Dampfers nicht das Gefühl hat, dass Linette nur von Leuten umgeben ist, die mit ihr ein Hühnchen zu rupfen haben. Wer den alten Film kennt, wird verwundert sein über die Änderung der möglichen Motive der Figuren, die weitaus schwächer sind. Was hingegen - wie schon bei Branaghs „Mord im Orientexpress“ funktioniert - ist die diversere Gestaltung der Hauptfiguren, die hier vor allem deswegen tatsächlich mehr ist als das reine Folgen eines Rufes nach „mehr Diversität“. Es ist die Möglichkeit - 46 Jahre nach dem Tod der Autorin - auf den latenten Rassismus und Orientalismus ihrer Romane zu reagieren.

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Letitia Wright und Sophie Okenodo als Tante-Nichte-Gespann sind zum Beispiel ein Highlight des Films. Ebenso ihre Kostüme. An denen kann man sich eine Zeitlang ganz gut von der zunächst gepflegten, dann doch an den Nerven zerrenden Langeweile ablenken. Apropos Ablenken. Neben den Filmstart-Verschiebungen wegen Corona musste sich „Death on the Nile“ Anfang letzten Jahres auch die Frage stellen: Was macht man, wenn es gegen einen Hauptdarsteller Vergewaltigungs-Vorwürfe gibt? Zunächst waren es Screenshots von Nachrichten zwischen Armie Hammer und einer jungen Frau, die auf einem Instagram-Account geteilt wurden und verknappt und falsch als „Cannibalism-Scandal“ aufgeregt durch alle Social Media Kanäle posaunt worden. Den Vorwürfen der Vergewaltigung wurde dann im Vergleich weniger Aufmerksamkeit geschenkt; die Ermittlungen hierzu wurden inzwischen eingestellt. Beim Verleih Disney hat man sich zunächst für eine Verschiebung des Films entschieden und dann für eine recht irrwitzige Kampagne, bei der man versucht hat, Hammer nicht zu zeigen. Für ihn gab es kein „character poster“ und im neuen Trailer zum Film ist er nur kurz zu sehen.

Hammer - mehr eine an old hollywood erinnernde Erscheinung als ein klassischer Charakterdarsteller - passt natürlich perfekt in die von Christie erdachte Welt, wo zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Poirot alle vor einem Kamin oder an einer Bar versammelt, um den Mörder zu entlarven, der Schein mehr gilt als das Sein. Gal Gadot schwebt gewohnt makellos schön, aber auch unglaublich öde durch den Film, während Rose Leslie und Annette Benning das beste aus ihren kleinen Rollen machen. Leicht irritierend - aber das ist eine Wohltat in einem an Irritationen armen Film - ist es, dass Branagh gleich drei britische Schauspieler*innen castet, die hauptsächlich für ihre komödiantischen Unternehmungen bekannt sind, sie aber dann nur im microdosing-Bereich für comic relief einsetzt: Russell Brand, Dawn French und Jennifer Saunders.

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Schon weniger Verständnis bleibt für eine Figur, die Drehbuchautor Michael Green komplett dazu erfunden hat und die es wohl nur gibt, damit Poirot am Ende eine Träne verdrücken darf. Ich bin ungern eine Cassandra, aber ich darf jetzt hier zitieren, wie ich 2017 meinen Text zu „Mord im Orientexpress“ geendet habe: Gegen Ende wird noch angedeutet, dass das nicht das letzte Mal sein könnte, dass wir Branagh als Poirot gesehen haben. Weil seine Darstellung das einzige ist, was einem bei „Mord im Orientexpress“ dranbleiben lässt, würd ich mir auch eine Neuverfilmung von „Der Tod am Nil“ anschauen, nur um dann halt wieder allen mit der Empfehlung, sich doch bitte die Verfilmung aus dem Jahr 1978 anzuschauen, auf die Nerven zu gehen.

Dem möcht ich nur anfügen, dass ich natürlich trotzdem jede Christie-Neuverfilmung mit Freuden anschaue, vielleicht mag sich Branagh ja „And Then There Were None“ vornehmen.

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