FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Still aus "Marry Me"

Universal Pictures

film

Nur eine Popdiva, die vor einem völlig Fremden steht und ihn bittet, sie zu heiraten

Jennifer Lopez spielt in „Marry Me“ eine Popdiva, die heiraten will – wenn nicht den Verlobten, dann halt den nächstbesten Typen, der ein „Marry Me“-Schild in der Hand hält. Owen Wilson spielt ebendiesen Typen und wirkt davon ebenso überrascht wie die Kinobesucher*innen.

Von Jenny Blochberger

Wenn man sich bei vollem Bewusstsein eine auf dem Reißbrett entworfene RomCom ansieht, dann lautet die eiserne Regel: schau übers Reißbrett hinaus und versuche, Gutes daran zu finden. Irgendetwas gibt es bestimmt – zumindest einen (1) guten Witz, eine überraschend glänzende Nebendarstellerin, mitreißend choreografierte Tanznummern, irgendein Bröselchen an Originalität.

Sorry to report: „Marry Me” bekommt in der Kategorie Originalität genau null Punkte. Er ist eine reine Bebilderung des Lexikoneintrags „RomCom“, der leider nicht mal durch etwaiges Charisma seiner Hauptdarsteller*innen aus dem Graben der Ideenlosigkeit herausgehoben wird.

Der Plot: Popdiva Kat Valdez (Jennifer Lopez) und aufstrebender Popstar Bastian (Maluma) wollen sich live vor einem Millionenpublikum das Ja-Wort geben. Als sie direkt davor erfährt, dass er sie betrogen hat, pickt sie sich einen Fremden (Owen Wilson) aus der Menschenmenge vor der Bühne heraus und heiratet ihn stattdessen. Dieser Charlie, ein geschiedener Mathelehrer mit einer Tochter, hat das Wort „Normalo“ quasi quer über die Stirn tätowiert. Er trauert immer noch seiner Ex nach und hat dadurch besondere Empathie für die von Liebeskummer geplagte Popsängerin. Während ihr Team beider Leben koordiniert und mit Interviews, Fotosessions und Pressekonferenzen füllt, lernen sich die beiden näher kennen. Du wirst nicht erraten, was dann geschah.

Tatsächlich habe ich ja nichts gegen ein gut ausgeführtes Trope – na klar wissen wir, was dann geschehen wird, wir haben es schließlich schon vor mehr als 20 Jahren bei „Notting Hill“ gesehen, als ein Mädchen vor einem Jungen stand und ihn bat, es zu lieben. Manche Geschichten kann man eben immer wieder in immer neuem Gewand sehen. Aber wenn es beim reinen Malen-nach-Zahlen bleibt und nicht ein einziges Mal aus den vordefinierten Linien hinausgemalt wird, dann ist es eben auch langweilig (ich verstehe nach wie vor den Trend zu Ausmalbüchern für Erwachsene nicht). Wie kann von uns erwartet werden, dass wir mit den Figuren mitfühlen, wenn sie uns kein Fünkchen Individualität vermitteln?

Dass Heiraten eine Art Zauberspruch ist, der unweigerlich Liebe entstehen lässt, ist eines der Märchen, die Hollywood hartnäckig propagiert. Als Kat auf offener Bühne beschließt, den untreuen Verlobten zu verlassen, ist einfach nicht heiraten keine Option – immerhin ist das Hochzeitskleid mit zehntausend Diamanten bestickt, immerhin hat sie so viel Liebe in sich, die irgendwo hin muss, und außerdem steht da doch ein Typ mit einem „Marry Me“-Schild.

Still aus "Marry Me"

Universal Pictures

Da ist es auch schon nicht mehr der Rede wert, dass in einem Nebensatz später erwähnt wird, man müsse noch den Papierkram erledigen, damit die Heirat auch gültig sei – also ist das Bühnen-Ja gar keine unumstößliche Entscheidung, Popdiva und Mathelehrer könnten in der Klarheit des nächsten Tages beide darüber lachen und es als PR-Stunt oder crazy Spontaneinfall abtun. Dass sie es nicht tun, wird nicht weiter hinterfragt, also haben wir im Publikum auch nicht zu fragen. Suspension of disbelief in allen Ehren, aber hm, das geht vielleicht ein bisschen gar weit.

Dass überhaupt keine einzige Person hinterfragt, ob es sich dabei nicht um einen elaborierten PR-Stunt handelt, überrascht fast, ist Hollywood doch sonst so darum bemüht, „die Öffentlichkeit“, also Medien und Social Media, als zynisch und gefühllos darzustellen. Dafür bekommt Kat Valdez kräftig Applaus für ihr mutiges Einrennen weit offener Türen: Frauen sollten nach der Hochzeit ihren Namen behalten und über ihr eigenes Geld verfügen, jawoll, eine musste es ja mal sagen!

Es ist bemerkenswert, dass sich in einem Film, in dem es so sehr darum geht, dass Normalität erdet (immerhin lernt Kat durch Charlies Einfluss endlich, ihren Mixer selbst und unfallfrei zu bedienen), alles dem Gefühlsleben des Stars unterordnet. „Marry Me“ interessiert sich nur peripher für Charlie und seine Welt; sie dient vorrangig dazu, Kat zu zeigen, wie ein normales Leben aussieht und dass es viel wertvoller ist als ihre Glamour- und Glitzerwelt. Gleichzeitig akzeptiert Charlie fast widerspruchslos, dass sein Leben von einem Moment auf den anderen kontrolliert wird und liefert dem auch seine Tochter ohne viel Bedenken aus.

Von den Kids an Charlies Highschool wird verlangt, dass sie beim Tanzabend ihre Smartphones am Eingang abgeben (ein School Dance ohne Selfies? Who are you kidding?), damit sich Überraschungsgast Kat dort wohlfühlt. Lustig, dass ihre eigene Crew keine derartige Regel für Backstage hat, dort wird nämlich minutenlang Kats und Bastians Breakup live gestreamt, bevor es ihrem Manager einfällt, einzuschreiten. Wie Charlie priorisiert überhaupt der ganze Film Kats gebrochenes Herz: denn Liebeskummer, sagt er uns, ist der schlimmste Kummer und adelt außerdem den Menschen, der ihn verspürt.

Still aus "Marry Me"

Universal Pictures

Das Erstaunliche an „Marry Me“ ist, dass mehr als zwanzig Jahre RomCom-Entwicklung spurlos an ihm vorübergezogen sind. Dass Selbstreflexion, selbstironischer Humor und das lustvolle Brechen von Klischees mittlerweile eigentlich schon Mainstream sind, merkt man „Marry Me“ nicht im Geringsten an. Dafür ist der Cast divers: weißgewaschen ist der Film zwar nicht, dafür ordentlich weichgewaschen. Und trotzdem bedient er mit dem kolumbianischen Reggaeton-Star Maluma den Latin-Lover-Stereotyp (heiß, aber leiderleider nicht fürs Treusein geschaffen) und auch die lustige Lesbe (Sarah Silverman) und der exaltierte schwule Kollege (Stephen Wallem) kommen direkt aus der 90er-Klischeekiste.

„Marry Me“ (Regie: Kat Coiro) startet am 10.02.2022 in den heimischen Kinos.

Kleine Anflüge von Persönlichkeit spürt man in den Figuren von Kats sympathischem Manager Colin (John Bradley) und ihrer scharfzüngigen Assistentin Melissa (Michelle Buteau); beide hätten durchaus mehr Potential, als ihnen hier zugestanden wird. Leider bleibt das grelle Scheinwerferlicht auf die beiden Hauptprotagonist*innen gerichtet: Jennifer Lopez gibt den (wenn auch etwas zu netten) Popstar durchaus überzeugend – kein Wunder, ist doch ihr Brotberuf neben Schauspielerin, naja, Popstar -, aber auch sie malt nicht über die vorgegebenen Linien hinaus. Owen Wilson stolpert daneben so durch den Film, als würde er noch seinen Text lernen. Es erstaunt nicht nur die ganze Welt-im-Film, dass Superstar Kat Valdez ausgerechnet diese Schlaftablette ausgesucht hat, sondern auch die ganze Welt im Kinosaal, die Owen Wilson zwei Stunden lang beim Neben-sich-stehen zuschauen muss.

Fazit: Auch Menschen, die RomComs prinzipiell lieben, verdienen wohl ein wenig mehr Zwischentöne und Humor als diese in rosarotem Zuckerguss ertränkte Hochzeitstorte bietet.

mehr Film:

Aktuell: