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alt-J

George Muncey

Living „The Dream“

Mit „The Dream“ veröffentlichen alt-J ihr erstes neues Album seit fünf Jahren. Fans der ersten Stunden dürfen sich freuen.

Von Lisa Schneider

Es gab mal eine Zeit, in der es total hip war, sich geometrische Tattoos stechen zu lassen. Zu eben dieser Zeit tauchte eine Band auf, sie hat sich - ebenfalls sehr hip - nach einer Computertastatur-Kombination benannt. Auch die Songs klingen so, ein bisschen klüger als allgegenwärtiger Popzirkus-Standard. Es ist 2012, als alt-J ihr erstes Album „An Awesome Wave“ veröffentlichen, es gewinnt den renommierten Mercury-Prize und bekommt einen Stockerlplatz in jeder alternativen Millenial-Playlist. In den Listen von Menschen nämlich, die mit unter anderem der Musik von Radiohead aufgewachsen sind. An welche Band soll man sonst denken, wenn Wörter wie „Nerd-Rock“ oder gar irgendwas mit „mathematisch berechnet“ fallen.

alt-J ist die Band, die keine Gitarrenband mehr ist (und doch ein bisschen) und die sich selbst gleich von Anfang an mit einem etwas schrägen Signature Sound ausgestattet hat. Den prägen die mitunter quäkige Stimme von Sänger Joe Newman, das seltsam unruhig-trabende Schlagzeugspiel von Thom Green und vor allem auch der unbändige Synthesizer-Einsatz und Backing-Gesang von Gus Unger-Hamilton. Er spricht unter anderem fließend französisch, und wenn es in einem Song ernst, hymnisch, dramatisch - oder eben französisch - wird, muss er ran. Das ist alles gleichzeitig herrlich organisch und kühl, ein bisschen Doom hängt über allen diesen Liedern.

Was alt-J anders machen als Wegbegleiter wie Thom Yorke & Co ist das Nichtaufgeben der Popmelodie und das Borgen bei Blues und Americana. Wenig verwunderlich, dass der vom Wüstenstaub nur so eingemummelte Ausreißer-Song ihres zweiten Albums namens „Left Hand Free“ (in der Reihe totgehörter Songs steht er mittlerweile gleich neben „Song 2“ von Blur und „Feel It Still“ von Portugal. The Man) in den USA große Erfolge eingeheimst hat. Aber es hat überall funktioniert. Nachdem „This Is All Yours“ 2014 erscheint, touren alt-J um die Welt, bespielen die großen Hallen und die Headliner-Slots der größten Festivals.

Zurück zum Geheimnis um diese geometrische Form (die Legende besagt, hält man „alt“ und „J“ auf einer Computertastatur zeitgleich gedrückt, erscheint ein Dreieck, ein Delta-Zeichen). Am neuen Album „The Dream“ sitzt mittig platziert ein einminütiges Stück, eine Art Interlude, betitelt „Delta“. Joe Newman und Gus Unger-Hamilton singen, als wären sie tatsächlich mal gemeinsam im Knabenchor gewesen, zwei Zeilen: „Force Fields in the delta / I’m not a praying man but I’ll kneel to that“. Die biblische Sprache zapft das Allumfassende an, die Lieder von alt-J waren noch nie außergewöhnlich persönliche Angelegenheiten. Abstraktion hin zum Universellen, Statements zu großen Menschheitsdingen wie Liebe, Leben und Verlust.

Alt-J im FM4 Interview Podcast

Das ganze Gespräch zwischen Christian Lehner und Thom Green von alt-J gibt es hier zu finden.

Als „ihr persönlichstes Album bis jetzt“ wird „The Dream“ in diversen Pressetexten angekündigt, wie immer sind solche Aussagen eine Frage der Betrachtungsweise. So haben etwa gesampelte Gesprächsfetzen diverser Familienmitglieder der Band ihren Weg aufs Album gefunden. Ob es uns jetzt wahnsinnig viel über Gus Unger-Hamilton verrät, wenn seine Mutter via Whats-App einmal „Scum“ geflüstert und die Aufnahme dessen dann in ein Lied integriert wurde, sei dahingestellt. Vielmehr als persönlich wirkt dieses neue, vierte Album „The Dream“ von alt-J wie ein Neuanfang. Da war die erste, große Erfolgsreise mit den ersten beiden Alben, dann kam 2017 „Relaxer“, das war, naja, eh. Dann „Reduxer“ als Remix-Album 2018. Naja, eh.

Die drei Bandmitglieder von alt-J haben sich nach mehrmaligem Welt-Betouren eine Pause genommen und sich ein Jahr lang nicht gesehen. Ein bisschen nervös vor dem geplanten Wiedersehen im Studio waren sie schon, erzählt Thom Green. Gus Unger-Hamilton fügt dann aber gleich hinzu, dass das überhaupt nicht nötig war. Dass man nur manchmal vergesse, wie einfach das gemeinsame Arbeiten ablaufe. Man wäre sofort wieder drin.

Und zuerst war da die Single „U&Me“. Mit zehn Jahren Bandgeschichte gehören alt-J nur zu den mittelalten Eisen im Geschäft, und trotzdem bewahrheitet sich eine Sache: Nicht immer wünscht sich der Fan die totale musikalische Veränderung des Lieblingsacts. Wahrscheinlich will er sie eh fast nie. Gewohnheit ist Geborgenheit, ist ein bisschen faul und auf jeden Fall auch gut so.

Wir sind mit „U&Me“ wieder da, wo alles begonnen hat, bei den alten, warm-süßen Liedern wie „Something Good“ oder „Matilda“ oder „Breezeblocks“. Selbst der zynischste Mensch wird bei Zeilen wie dem ewig wiederholten „Please don’t go / please don’t go / I love you so / I love you soooo“ irgendwann miteinstimmen. alt-J und ihre guten Mantras. alt-J und ihre guten Album-Opener, der beste bleibt das schlicht betitelte „Intro“ zum zweiten Album „This Is All Yours“, gleich danach folgt ihm jetzt „Bane“, er eröffnet die neue Platte. Als „rich“ bezeichnet Thom Green den Sound und all die Sample-Basteleien, die er wieder als der Tüftler, der er ist, für diese neuen Lieder erarbeitet hat. Er hat Recht. Auch eine Audi-Autohupe ist diesmal dabei.

„Bane“ ist ein psychedelisch angehauchter Streifzug durch die Highschool, Gus Unger-Hamilton ist wieder dran mit dem großen, guten Backgroundgesangsdrama. Das ist total ernst und eigentlich doch wieder gar nicht, alt-J streuen ihren tapsigen Humor über die Düsternis. Der Albumtitel „The Dream“ passt hier gut zum amerikanischen Traum, und was wäre der ohne Coca Cola, falsche Versprechungen und die verkaufte Seele („I sold my soul / for a sip at school / a swimming pool“). Und was wäre es außerdem für ein alt-J-Song, wenn hier nicht Hoch- mit Popkultur gemischt und deshalb noch ein paar altenglische Zeilen hinzugefügt wären („Why hast thou forsaken me?“).

Die seltsamen Wege Hollywoods und wie sie das gute Leben proklamieren, schleichen sich hinein in weitere Songs wie „Walk A Line“ (geht’s more American?) oder „Chicago“ (Streicher und sogar Dub-Disco), und gipfeln in „The Actor“. Ein Lied über und für John Belushi, der 1982 nach Party, Drogen und allem, was da scheinbar dazugehört, im Chateau Marmont Hotel in Los Angeles verstorben ist. Das Leben schreibt nicht nur die besten sondern auch die schlimmsten Geschichten, Joe Newman ist großer Fan vom True-Crime-Podcast „My Favorite Murder“.

Und: Es gibt auch auf diesem Album wieder einen „Left Hand Free“-Moment, er gelingt sehr gut. „Hard Drive Gold“ ist die staubtrocken-zynische Cryptowährungsabrechnung der Stunde.

Hört man den Titel „The Dream“ zum ersten Mal, erwartet man wohl ein Konzeptalbum. Immerhin ist hier nicht von einem, sondern von dem Traum die Rede. Auch das scheint im Nachhinein eher ein bisschen mehr für den Pressetext, für die Story erdacht. Thom Green erzählt, er sammelt gern etwaige Titel, die er irgendwann mal brauchen könnte, auf seinem Smartphone-Notizblock. „The Dream“ war dabei, weil er einmal von einem Picasso-Gemälde mit demselben Namen gelesen hat. Damals war es das teuerste Gemälde der Welt.

Es ist ja aber auch egal. Wo sich inhaltlich die Fäden verlieren (von Mord-Fantasien auf „Happier When You’re Gone“ zum wunderschönen Abschied einer geliebten Person auf "Get Better) kleben alt-J musikalisch alles wieder zusammen zu einem Album, bei dem alle lauten und leisen Momente gleich wichtig sind.

Spannend wird das bei all den Voice- und Sample-Arrangements vor allem live: Lieder wie der Album-Closer „Powders“ müssten demnach zur Hälfte vom Band zugespielt werden. Aber auch über dieser Frage sind nach den ersten Alben von alt-J schon viele Köpfe zerbrochen, sie haben es immer noch hingekriegt.

Ihre Europa-Tour wurde vor Kurzem für November angekündigt, Österreich ist zwar nicht dabei, aber das macht nichts: Alt-J werden schon davor, am 16. Juli, in der Wiener Metastadt Open Air zu sehen sein.

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