FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Filmstills aus "The Sadness"

Polyfilm

FILM

„The Sadness“ und „Violation“: Filmische Grenzüberschreitungen

Sehen mit Schmerzen: Ein taiwanesischer Zombie-Schocker und ein kanadisches Psychodrama loten cinematische Extreme aus.

Von Christian Fuchs

Horrorfans kennen sie zur Genüge: Die Zombie-Apokalypse. Seit George A. Romero die lebenden Toten einst filmisch auferstehen ließ, bricht in regelmäßigen Abständen im Kino das blutige Chaos aus. Und auch TV-Serien wie „The Walking Dead“ oder unlängst „Black Summer“ zeigen eine verfallende Welt, in der uns wandelnde Leichen attackieren. „The Sadness“ ist nun der neueste Beitrag zur endlosen Reihe von Untoten-Schockern.

Wer sich von der inflationären Zombie-Welle abheben will, muss etwas besonderes bieten. „The Sadness“ setzt auf Superlative punkto Blut und Beuschel. Dort, wo auch viele härtere Horrorthriler aufhören, beginnt es für Regisseur Rob Jabbaz erst interessant zu werden. Der in Taiwan lebende Kanadier lässt Köpfe beinahe im Minutentakt platzen und verspritzt hektoliterweise roten Farbstoff.

Filmstills aus "The Sadness"

Polyfilm

Von einem Ekel-Höhepunkt zum nächsten

Splatterexzesse gehören zum Zombiegenre seit den Tagen von Romero und dem italienischen Gore-Papst Lucio Fulci, aber „The Sadness“ versucht alles bisher Gesehene zu toppen. Als in Taiwan eine neue Virusvariante ausbricht, mutieren Teile der Bevölkerung zu manischen Monstern. Die Infizierten treibt nicht nur die übliche Gier nach Menschenfleisch an. Der Alvin-Virus verwandelt die Erkrankten auch in Sadisten und Vergewaltiger.

Mittendrin im Wahnsinn befinden sich bald die Protagonisten, ein liebenswürdiges Paar, das die Pandemie zuvor eher belächelt hat. Bald kämpfen Kat (Regina Lei) und Jim (Berant Zhu) aber voneinander getrennt um ihr Leben. Dabei begegnen die beiden jungen Leute immer wieder denselben Gestalten, vor allem ein grindiger Geschäftsmann im Zombie-Modus sorgt für Gänsehaut.

Anfangs sind es noch gruselige Bezüge zur Covid-Krise, die dem Film seine Spannung verleihen, auch wenn „The Sadness“ schon vorher gedreht wurde. Dann rast die Handlung nur mehr von einem Ekel-Höhepunkt zum nächsten, die grob skizzierten Figuren sind einem schnell egal. Tabus werden im Hochgeschwindigkeitstempo gebrochen. Abstumpfung stellt sich inmitten des Dauergemetzels ein.

Filmstills aus "The Sadness"

Polyfilm

Pure Verstörung als Ziel

Man könnte nun eine grundsätzliche Diskussion über (sexualisierte) Gewalt im Genrekino beginnen, aber das würde hier den Rahmen sprengen. Vielleicht ist „The Sadness“ eine ernsthafte Analyse auch nicht wert, zu offensichtlich sind die Grenzüberschreitungen als provokante Pose inszeniert. Fazit: Ein Werk, an dem Hardcore-Splatterfans wohl nicht vorbeikommen, alle andere seien gewarnt.

Filmstills aus "Violation"

Amazon Prime

Ein ganz anderes filmisches Kaliber ist ein Streifen, der ebenfalls im vorigen Herbst auf dem Wiener Slash Filmfestival seine Österreichpremiere feierte. „Violation", derzeit via Amazon Prime zu sehen, entzieht sich den Mechanismen des Genrekinos. Hier haben wir es mit der seltenen Kategorie von Kino zu tun, das weder unterhalten noch konventionell mitreißen will. Das Langfilmdebüt des kanadischen Regieduos Dusty Mancinelli und Madeleine Sims-Fewer legt es auf pure Verstörung an.

Die Ausgangsposition ist simpel. Miriam, so heißt unsere Protagonistin, besucht mit ihrem Mann ihre Schwester, zu der sie ein gespaltenes Verhältnis hat. Heftige Wortwechsel und Versöhnungen lösen sich ab. Entschieden freundlicher agiert Schwager Jesse, der bei einer abendlichen Lagerfeuer-Plauderei mit Miriam flirtet. Die Frau wagt einen Kuss, den sie gleich bereut, denn als sie betrunken einschläft, vergeht sich Jesse an ihr.

Filmstills aus "Violation"

Amazon Prime

Poetische Bilder als Kontrast

Die Nacht bleibt nicht ohne traumatische Folgen. Statt sich für sein Verbrechen zu entschuldigen, spielt Jesse die Vergewaltigung herunter. Miriam ist fassungslos angesichts so viel toxischer Männlichkeit. An dieser Stelle könnte ein klassisches Rape-and-Revenge-Movie beginnen, voller befreiender Vergeltung. Aber „Violation“ ist ein Film ohne Erlösung, ohne Läuterung, ohne einen Hauch von Katharsis.

Miriam rächt sich auf eine Weise, die viele Zuseher*innen fassungslos hinterlassen wird. Weit weg von üblicher Horrorfilm-Übersteigerung zeigt „Violation“ unerträglich realistische Gewalt. Michael Haneke, der Spezialist für emotionale Vergletscherung, lässt grüßen. Im Unterschied zum Wiener Filmemacher setzt Co-Regisseurin und Hauptdarstellerin Madeleine Sims-Fewer aber auf sehr poetische Bilder als Kontrast.

Filmstills aus "Violation"

Amazon Prime

Der Gegensatz zwischen der ästhetischen Verpackung und dem trostlosen Kern funktioniert nicht immer, genauso wie die omnipräsente Tiersymbolik, die den Film durchzieht, irgendwann zu viel wird. „Violation“ ist aber zweifellos ambitioniert, auch wenn am Ende statt Gefühlen nur unendliche Leere zurückbleibt. So eine Art von Feel Bad Cinema muss man sich als Erstlingswerk einmal trauen. Prädikat: Sehen mit Schmerzen.

mehr Film:

Aktuell: