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Mavi Phoenix

Tereza Mundilova

I know my background’s flashy

"Ich will nicht einfach nur der „Trans-Guy" aus Wien sein, in erster Linie bin ich Musiker“: Mavi Phoenix und sein neues Album „Marlon“.

Von Lisa Schneider

Es ist immer ein Privileg, jemanden auf seiner persönlichen Entwicklungsreise begleiten zu dürfen. Münzt man das auf die österreichische Musikszene um, war das bei niemandem in größerem Ausmaß der Fall als bei Mavi Phoenix. Empathie ist eine gute Sache, Interesse auch. Die Sache, für die Mavi Phoenix aber Schlagzeilen machen will, ist die Musik, nicht seine Transidentität. Und da wären wir bei der Frage, wie man in dem Fall Künstler und Kunstwerk trennen soll, wenn die Musik doch da ist, das Leben zu spiegeln.

Mai 2021. Mavi Phoenix veröffentlicht seine Single „Nothing Good“, und alles an ihr sagt Indierock, 00er-Jahre, Gitarre (als hätten sich Incubus und Jake Bugg getroffen!). Es ist ein Liebeslied, oder mehr noch, ein Abgesang an die ehemals Geliebte, ganz so, wie es zum neuen Look und der quasi zweiten Pubertät passt. Mavi Phoenix ist Marlon. Das war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die große Neuigkeit, schon 2019 hat Mavi sich als Transgender geoutet. 2020 ist sein erstes Album „Boys Toys“ veröffentlicht worden, danach Funkstille. Für die Transition zog sich Marlon aus der Öffentlichkeit zurück, um sich aber bald danach via Instagram mit kurzen Clips und Fotos zurückzumelden. Er hat unter anderem die Wirkung der beginnenden Testosteron-Therapie anhand von Bildern festgehalten, die ihn then and now zeigen. Die Gesichtszüge haben sich verändert, der Bart wächst, die Stimme kratzt, dann rutscht sie ein paar Oktaven tiefer.

Man kann sich schwer vorstellen, wie es einem Menschen geht, wenn er kurz vor solch tiefgehenden Veränderungen seiner Person noch ein Album veröffentlicht. "Ich glaub’, man hört die Zerrissenheit in mir auf „Boys Toys".“ Das stimmt. „Boys Toys“ war ein Abschluss dessen, wie wir Mavi Phoenix (musikalisch) kennengelernt haben, irgendwo an der Schnittstelle von Rap und Future-Pop, der nie so ganz ohne Autotune auskommt.

Jetzt also die Gitarre (das ist nicht so weit hergeholt, wie es im ersten Moment klingt: Mavi Phoenix hat die von den Eltern bezahlten Gitarrenstunden genauso gern geschwänzt wie wir alle), dieses verlässliche Instrument, wenn’s drum geht, dass Menschen alleine in ihrer Wohnung sitzen und über ihr Innerstes schreiben.

Der Song „Only God“ eröffnet das Album „Marlon“, das heute erscheint. Es ist ein sanftes Hineinwagen in diese neue Welt, eine bauschige Atmosphäre, die Geschwindigkeit ist erstmal rausgenommen. „She’s taking up so much space / in my head and on my phone“ singt Mavi, und da hätten wir schon zwei der großen Themen des Albums. Es geht um die verfluchte Liebe, interessant gemacht dadurch, dass dieses Herzweh im Handyspeicher und damit im Jetzt festgehalten ist. Dieses und die folgenden sind keine Lieder, die Mavi Phoenix’ Transition beschreiben oder erklären, es sind Lieder aus dem Leben eines jungen Mannes, der sucht, stolpert, findet, wieder von vorn anfängt. Und da wären wir wieder bei der Musik und dem Spiegel.

15 Songs sind drauf am Album „Marlon“, wobei einer („Giuseppe“) rein instrumental, ein anderer als kurzer Vorspann ausfällt („F Song Interlude“). Viele der Singles sind außerdem schon bekannt, und Mavi Phoenix hat sie sehr gut ausgesucht. „Leaving“ ist die beste.

Da ist alles drin an jugendlichem Pathos, der noch nicht übertrieben, sondern total angebracht ist. Die Grundaussage lautet „Dann geh’ ich halt!“ - und mit mir die Leadgitarre, die das alles so perfekt verpackt in einen zeitlosen Popsong. Lou Asril nicht ganz unähnlich hat Mavi Phoenix außerdem nicht nur quälendes Verlangen, sondern vor allem Sex als Thema seiner Texte für sich entdeckt. Expliziter als auf „F Song“ (you know what the F stands for) haben wir Mavi nie gehört.

Diese handvoll Singles ist eine Art „Marlon“-Best-Of, allen voran erwähnte Lieder wie „Leaving“ oder „Nothing Good“, aber auch „Tokyo Drift“, das an frühere Hits wie „Prime“ erinnert. Gerade in letztgenanntem Lied steckt der Spaß und das gute Leben, Lautmalerei („zipp zipp“) und ein bisschen Protzen („No offense but I only date fans“). So geht das.

Mit dem Albumformat wollte Mavi Phoenix „zeigen, dass ich das kann“, und damit meint er nicht die Länge, sondern die Koheränz. Wo „Boys Toys“ ein teilweiser musikalischer wie inhaltlicher Fleckerlteppich war, ist „Marlon“ ein Album, das man mit all den Zwischengeräuschen und Übergängen als zusammengehörig empfinden muss. „Ich war mir das selber schuldig“, sagt Mavi. Es ist sehr schön zu beobachten, dass viele junge Musiker*innen aktuell auf den Playlist- und Algorythmus-Wahnsinn pfeifen und das lange Format hochleben lassen. Oskar Haag macht es, Sophia Blenda macht es, oder, frei nach der immer guten Florence Arman: „Man macht es, auch, wenn viele der Nicht-Singles dann auf Spotify total abkacken.“

Auch wenn Mavi, wie er sagt, „immer noch mehr in Singles als in Alben denkt“, ist es ihm mit „Marlon“ gelungen, eine durchwachsene Lebensphase abzubilden. Musikmachen ist ein Prozess, ein gutes Album steckt einen Zeitraum an Ideen, Veränderungen und Einflüssen ab. Das alles ist innerhalb eines Jahres geschrieben und aufgenommen worden.

Hier wird Vergangenheitsbewältigung betrieben, aber auf viel subtilere Art, als man zuerst annehmen würde. In Interviews wird sich mit Mavi Phoenix nach wie vor zuallererst über seine Transidentität unterhalten, in seinen Liedern versteckt er die Vergangenheit fast schon wie Ostereier. Eine Zeile im Song „Venice Beach“ lautet etwa: „But then I met this girl in Venice Beach / Yeah we we’re seventeen“. Mavi Phoenix jongliert mit verschiedenen Versionen seines Ich: „Es hat schon immer Personen in meinem Leben gegeben, die mich als das erkannt haben, was ich bin“, erzählt er im FM4-Interview. Kurz darauf, im Song „Pretty Life“, holt er sich und uns aber wieder zurück in die Gegenwart: „But right here right now I must say / this is a sacred life.“

Mavi Phoenix Albumcover "Marlon"

LLT Records

„Marlon“ von Mavi Phoenix erscheint via LLT Records.

In diesen Zeilen liegt, ebenso wie im liebevoll hingeblödelten Interlude zum „F Song“ die Lebensfreude und der Spaß, den Mavi Phoenix aktuell, nach vielen mühsamen Monaten, empfindet. Er strahlt. Er strahlt, als er beim Sicherheits-Check am ORF-Zentrumseingang seinen Impfnachweis vorzeigt, und da „Marlon“ auf der E-Card steht. Er strahlt sogar, wenn er über die Trolle im Internet sagt, dass die ihn wohl gerade nur blöd anreden, weil sie selbst eine schwierige Phase durchmachen. „Hurt people hurt people“ ist eine Zeile, die man nicht so oft von einem 26-jährigen Menschen hört.

„Wenn die Menschen eine Sache vom Projekt Mavi Phoenix, von meiner Musik mitnehmen sollen, dann ist es die: dass das, was scheiße ist, nicht so bleiben muss. Es fängt bei uns selbst an. Es nimmt einem keiner ab. Das ist hardcore, ja, aber man muss es selbst machen, es selbst ändern.“

Noch bevor Indie-Mavi mit „Nothing Good“ auf den Plan getreten ist, war da im April 2021 die allererste dieser neuen Singles, „Grass And The Sun“. Sie schließt das Album ab, als eine Art „trip down the memory lane“. Sind die meisten vorangegangenen Lieder eine direkte Erzählung, eine Geschichte irgendwo zwischen Liebe, Nicht-Liebe, Coolness und all dem anderen jugendlichen Drama, ist „Grass And The Sun“ der Ausreißer. Hier wird zu sanfter Instrumentierung der Inhalt nur vage angedeutet, ein Lied als Skizze, das so schön ist, weil es so unfertig wirkt.

Das Album endet mit den Worten „I’m sorry“. Ein kurzer Gedanke geht raus an die Menschen, die man eventuell enttäuscht hat, denen man vielleicht etwas weggenommen hat. Gefolgt von der Einsicht, dass man für sein Glück selbst verantwortlich ist: „Marlon“ ist ein Ende und ein Neubeginn.

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