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Gewinnerin des Protestsongcontests 2022 auf der Bühne

Chris Stipkovits | FM4

Das war der Protestsongcontest 2022

Zehn sehr unterschiedliche Songs, ein Gleichstand und eine dramatische Entscheidung.

Von Michael Fiedler

Michael Ostrowski war in Höchstform, schon seine Begrüßungsrede ein Feuerwerk mehr oder weniger subtiler Beleidigungen und grandioser Überleitungen: „Wir haben natürlich einen Sideletter unterschrieben, das ist ganz üblich. Wir reden uns vorher aus, wer gewinnt. Natürlich gibt es eine Jury, die muss es geben. Wir haben sie eingesetzt, aber wir werden uns nicht dreinreden lassen, wer die Sache heute gewinnt.“ Wie recht er damit haben würde.

Die Jury ist dennoch nicht so handpuppenartig, wie das anderswo selbstverständlich wäre. Die Journalistin, Kommentatorin und Kulturarbeiterin Astrid Exner, die Kabarettistin Malarina, die Punkrockstars Peter Hein und Schorsch Kamerun, der Schulsprecher Mati Randow und die Moderatorin Alexandra Augustin geben sich diskussionslustig.

Der Protestsongcontest 2022 in voller Länge:

Die Show

Barfuß haben die schwierige Aufgabe des ersten Auftritts - nicht nur an diesem Abend, sondern insgesamt. Das Duo, das auch privat ein Paar ist, spielt sonst nur im Wohnzimmer vor den Kindern. Natürlich treten sie barfuß auf. Danach erfahren wir Persönliches von Mati Randow: „Ich mag eigentlich Leute, die barfuß gehen, nicht so wirklich, aber die zwei haben das sympathisch gemacht.“ Das Feedback zum Song gegen übermäßiges Onlineshopping ist wohlwollend, aber nicht überschwänglich.

Flonky Chonks ist als zweites dran, der Solo-Rapper wird immer für ein Bandprojekt gehalten, weil Chonks halt ein Mehrzahlwort ist. Heute ist aber wirklich ein Duo am Start: Raphael Rameis von Catastrophe & Cure unterstützt ihn am Schlagzeug. Das Lied „Flächendeckend 30“ aus Sicht eines aggressiven Auto-Erotikers wird von Astrid Exner positiv aufgenommen: „Ich bin nämlich Radfahrerin in Wien und wurde erst vorletzte Woche von einem Autofahrer als Schlampe und als Hure bezeichnet, weil er die Straßenverkehrsordnung verletzt hat.“

Auftritt Marie und Luise meet Ana Laura Domínguez, die dann auch aufklären, dass Luise die Gitarre ist, was schon öfter für Verwirrung gesorgt hat. Schorsch Kamerun bekommt ein „70er-Jahre-Gefühl“ und auch Alex Augustin sieht im Auftritt die Tradition klassischer Protestsongs: „Als ich das zu Hause gehört hab, hat mir etwas die Wut gefehlt, das ist zu nett und zu lieblich. Aber das war live jetzt schon sehr kraftvoll.“

Der junge Klimarapper The Z ist eng mit der Umwelt- und Klimabewegung verbunden. „Da kommt eine Dystopie auf uns zu und es wird nicht gehandelt“, sagt er und lädt gleich zur nächsten großen Klimademo am 25. März in Wien ein, wo er auch auftritt. „Manches hat sich ein bissl oft wiederholt“, kritisiert dann Malarina, die die Botschaft und den Auftritt sonst lobt und Schorsch Kamerun stellt klar: „Ich glaub, die Wiederholungen waren die Refrains.“

Es bleibt lustig mit Sir Tralala, der seine Schwächen kennt und lieber nicht zu viel redet vor seinem „Querdenker Blues“. Aber das Wichtigste sagt er: „Ich hab eine Band gefunden und wir haben am Mittwoch geübt.“ Wer so gut spielt, muss nur einmal üben. Die Jury ist gespalten, Peter Hein ist nicht so begeistert, Astrid Exner findet, es war der virtuoseste Beitrag bis dahin.

LENI vertonen die Chats von Thomas Schmids Freunderlkreis und die Geisteshaltung dahinter: „Wir san anständige Leut - wann’s uns gfreut.“ Aber ihre satirische Aufarbeitung des Systems Kurz kommt weniger gut an als erwartet, vielleicht gerade weil das Lied so klar darlegt, wie diese Leute ticken. „Ich fand das extrem triggernd“, sagt Malarina, „Das war ein bisschen wie dirty talk, but not in a good way.“ Mati Randow kann dann erklären, was das Problem ist: „Das ist eine Zustandsbeschreibung. Das ist alles nicht erfunden, das ist ja wirklich so.“

IZRAA tritt auf und holt die Leute ab. Ihr souliger Song ist der thematisch am wenigsten zugängliche, aber das liegt wohl daran, dass man über die Hausdurchsuchungen vom 9. November 2020 in der Öffentlichkeit zu wenig spricht. Zu viel anderer Irrsinn passiert, da gerät dieses Ablenkungsmanöver des Innenministeriums vom eigenen Versagen rund um den Terroranschlag von Wien schnell in Vergessenheit. Viele der Hausdurchsuchungen sind bereits als rechtswidrig eingestuft worden. Michael Ostrowski fragt: „Gibt es da irgendwelche Konsequenzen?“ Und IZRAA sagt, was man in Österreich bei so vielen Skandalen sagen muss: „Ich glaub nicht. Was denn für Konsequenzen?“

Gert haben das absolute Kontrastprogramm dazu, harter Rock und wütende Schimpftiraden. Peter Hein ist zufrieden: „Der Scheißefaktor war super!“ Und „Specht“ wird in den allgemeinen Schimpfwortschatz der Jury aufgenommen. Es ist wie Halm oder Dolm nicht justiziabel und daher auch gegen klagsfreudige Arschlöcher gut geeignet. Die Begeisterung darüber lässt aber das restliche Lied und den Auftritt in den Hintergrund treten.

Wende Punkt schafft dann den nächsten starken Bruch: Ihr Song „Lass los!“ ist ein Appell an einen Stalker, Gewalttäter, Mörder. Das Thema Femizide ist auch für die Jury ein wichtiges, Kritik von Astrid Exner richtet sich nicht nur an dieses, sondern an mehrere Lieder des Abends: „Warum wird so oft die Täterperspektive eingenommen und versucht, das Schlechte zu verstehen?“ Alex Augustin hat dann noch wichtige Infos mitgebracht: „0800 222 555 - den Frauennotruf sollte man immer bei der Hand haben.“

Den Abschluss macht Fluse, deren Sänger Johannes trotz kürzlichem Bandscheibenvorfall aus Deutschland angereist ist. Mehr kann er wirklich nicht tun. Johannes fühlt auch den alten weißen Mann in sich, um den es in dem Lied geht. Auch wenn manche Juror*innen mehr Vehemenz im Protest wünschen, diesen Kampf gegen den inneren weißen alten Mann kennen sie alle!

Während die Jury in der Garderobe berät, tritt Vorjahressiegerin Gina Disobey auf. Und was für ein Auftritt das ist: Gina hat vergangenes Jahr mit ihrem allerersten Song teilgenommen, der Protestsongcontest war ihr allererster Auftritt. Ein Jahr später tritt sie mit Band auf, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie hat ihren Protestsong „Seeking Asylum is Not a Crime“ in einer neuen, fantastischen Version dabei, der gesamte Auftritt versprüht „zarte Stereo Total vibes“, twittert die Protestsongcontest-Vertraute Simone Dueller, und es stimmt!

Die Entscheidung

Die Punktevergabe gehört dann zu einer der spannendsten in der Geschichte des Protestsongcontests: Nachdem die sechs vor Ort befindlichen Juror*innen abgestimmt haben, gibt es nämlich einen Gleichstand von gleich drei Acts: Sir Tralala, Wende Punkt und IZRAA. Das bedeutet, dass den Hörer*innen und Fans noch klarer die entscheidende Jurystimme zukommt.

Und die lassen sowohl Sir Tralala als auch Wende Punkt gänzlich außen vor. IZRAA bekommt ganze sieben Punkte und setzt sich damit weit an die Spitze. Die junge Wienerin mit Wurzeln im Libanon, in Palästina und Tunesien gewinnt mit ihrem sehr persönlichen Lied gegen Rassismus den Protestsongcontest 2022!

Der Auftritt von IZRAA als Siegerin des Protestsongcontests 2022

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