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Kanye West und seine Mutter Donda vor dem Haus seiner Kindheit

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Kanye West - Jugendjahre eines Rap-Visionärs

Mit intimen Bildern vom Anfang seiner Karriere zeichnet die Doku-Serie „Jeen-yuhs: A Kanye Trilogy“ ein menschelndes Porträt des visionären Rappers und Produzenten, der aktuell leider mehr mit seinem stetigen Ringen nach medialer Aufmerksamkeit in den Schlagzeilen ist.

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Coodie Simmons findet seine Berufung eher unerwartet. Eigentlich ein aufstrebender Comedian von der berüchtigten South Side von Chicago, beginnt er in den 90er Jahren am offenen Kanal in Chicago die HipHop-Sendung Channel Zero zu moderieren. Dabei kommt ihm immer öfter der Name eines Produzenten unter, der Beats für lokale Rapper macht: Kanye West. Der hat aber viel größere Träume und will eigentlich selbst rappend erfolgreich werden. Coodie ist sich sicher, dass dieses Ziel nicht unrealistisch ist. Als West aus seiner Heimatstadt Chicago nach New York zieht, um einen Plattenvertrag zu bekommen, folgt er ihm. Er hat beschlossen, den Aufstieg von Kanye West bis zu seinem ersten Grammy auf Video festzuhalten.

Zu diesem Zeitpunkt hat Kanye mit seinen Beats schon einiges erreicht, etwa gleich vier Songs auf dem wegweisenden Blueprint-Album von Jay-Z zu platzieren - inklusive dem New Yorker Sommerhit 2001. Dessen Label Roc-A-Fella hat Kanye gerne als Produzenten dabei, als Rapper passt er aber nicht so recht zum Rest der Künstler dort. Die befassen sich in ihren Texten viel mit ihrer Vergangenheit auf den Straßen und ihrer neureichen Gegenwart, der Sohn einer Englischprofessorin rappt eher über Familienwerte, Gott und seine eigenen Unsicherheiten.

Mit Überschwang kommt Kanye West zum Überraschungsbesuch ins Roc-A-Fella-Büro und spielt allen seine Songs vor, stößt aber eher auf Desinteresse. Deshalb versucht er zwischendurch auch bei Mos Def, Talib Kweli und dem New Yorker Underground-Label Rawkus Records anzudocken, aber auch dort bekommt er keinen Vertrag.

Bei einer kurzen Rückkehr in die Heimatstadt Chicago bekommen wir Einblicke in Kanyes komplexe Welt zu dieser Zeit. Er wird bei einer Radiokonferenz zwar falsch geschrieben, aber doch hofiert. Es kommt zu einem freundlichen Treffen mit seinem Produzenten-Mentor Dug Infinite, der aber noch am selben Abend einen Disstrack im Radio vorspielt, weil Kanye West seinen Einfluss in einem Interview nicht genug gewürdigt hat. Später in der Wohnung seiner Mutter Donda bekommt man Eindrücke einer sehr starken Liebe, die das Selbstbewusstsein von Kanye West entscheidend mitgeprägt hat, und versteht umso besser, warum ihr früher Tod den Künstler in eine tiefe psychische Krise schlittern ließ.

Am Ende der ersten Folge bekommt Kanye West auf der Bühne schließlich eine mit Diamanten besetzte Roc-A-Fella-Kette umgehängt, er ist jetzt offiziell als Rapper bei dem Label unter Vertrag. Der Anfang seiner Karriere als Solokünstler, wie ihn heute die meisten kennen.

Die Doku-Serie Jeen-yuhs lebt von den unglaublich intimen Aufnahmen, die Coodie über die Jahre einfangen konnte: Die ersten Sessions von späteren Hits wie All Falls Down oder Jesus Walks (das ihm auch den ersehnten ersten Grammy einbrachte), aber auch die vielen Abweisungen und Rückschläge. Der Welt sein ungekünsteltes, wahres Ich zu zeigen, war Kanye West über 20 Jahre unangenehm, weshalb das Material jetzt erst erscheinen kann, und auch da bestand der unvorhersehbare Künstler kurz vor der Premiere auf Mitsprache beim Schnitt.

Wir kennen die Dynamik heute von unzähligen (Musik-)Dokumentationen: Die Künstler*innen oder ihre Familien stimmen der Verwendung von persönlichem Material oft nur dann zu (oder stellen es zur Verfügung), wenn sie selbst die Kontrolle über das Narrativ behalten. Solcherart Nähe zum Objekt ist einer kritischen Betrachtung natürlich nicht zuträglich.

Co-Regisseur und Erzähler Coodie nennt sein Verhältnis zu Kanye selbst eine Bruderschaft. Und auch seine Karriere und die seines Regiepartners Chike Ozah hängen eng mit der von Ye zusammen: Haben sie doch mit dem quasi-dokumentarischen Video zu seinem Durchbruchs-Hit Through The Wire selbst ihren ersten Schritt auf einer größeren Bühne gemacht.

In der ersten Folge ist diese Nähe anhand der Underdog-Aufsteigergeschichte kein Problem, sondern eher ein Bonus, weil wir Kanye West so von ganz anderer Seite zu sehen bekommen. Der Umgang mit dem zunehmend größenwahnsinnigen und narzisstischen Popstar, Teil der Kardashian Show und Trump-Versteher der vergangenen Jahre wird in den nächsten zwei weiteren Episoden aber interessant zu beobachten sein.

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