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„Requiem“ von KoЯn: Nu-Metal ist laut und zurück

Die Nu-Metal Band hat wieder einmal neues Album gemacht und das klingt tatsächlich so kraftvoll wie einst zu ihrer Blütezeit in den 1990er-Jahren. „Requiem“ ist eine halbstündige Seelenmesse, die den Geist des Nu-Metals heraufbeschwört. Aber ähm, Nu-Metal, was war das nochmal? Und braucht man das noch?

Von Alexandra Augustin

Auf Instagram und TikTok geht dieser Tage die „try-not-to-headbang“-Challenge um: Es läuft ein Metal-Musikmix. Man hält sein Gesicht in die Kamera und filmt sich, während die Musik läuft. Ziel der ganzen Sache ist, zu den metallischen Klängen keinesfalls zu headbangen. So wie in diesem Spiel, wo einer einen Witz erzählt und man nicht lachen darf. Eigentlich wirklich lame.

Aber in dieser Webversion in aller Kürze der asozialen Medien ist das unterhaltsam: Junge und weniger junge Gesichter blicken ernst in ihr Dumbphone, verziehen schmerzverzerrt ihre Mienen vor lauter angestrengter, selbst auferlegter Contenance. Ja bitte, wie soll man da nicht ausflippen! Wie soll man beim virtuosen Anfangsriff von Black Sabbaths „Paranoid“ ruhig sitzen bleiben? Beim sich hochschaukelnden Drumbeat von Metallicas „Enter Sandman“ nicht vor Freude das Sofa aus dem Fenster werfen? Bei „Ace Of Spades“ von Motörhead, dieser einzigartigen Jagd auf der Überholspur des Rock ’n’ Rolls, gibt es kein Halten mehr: Der diabolische Dreiklang hat die Apps erobert und lockt nun auf diesem Wege Teufelshörner ins Kinderzimmer. Satan ist jetzt auch auf TikTok.

Mittendrin in diesem, zugegeben bis zur Unkenntlichkeit beschnitten Mix, ist auch diese eine unvergessene Nu-Metal-Bridge: Aus der Nummer „Freak on a Leash“ von der Band mit dem umgedrehten „R“ – KoЯn. Sänger Jonathan Davis tanzt im legendären, zugehörigen Musikvideo, das man auch auf YouTube findet, bekanntlich in einem völlig durchlöcherten Raum mit einer verirrten Kanonenkugel und schickt das üble Ding nur dank seiner Geisteskraft wieder zurück in die Pistole, wo sie herkam. Gott schütze die übermenschliche Kraft von Metal! Larger than life, der gute Mann.

Das waren noch Zeiten! Musikvideos waren kleine Spielfilme, Musik die wichtigste Säule der Jugendkultur und studieren durfte man auch noch ewig, damit man das Nachtleben mit der Bildung vereinbaren konnte. Damals waren Metal und Rock jedenfalls das, was heute wohl Hip-Hop und Trap sind: der gemeinsame musikalische Nenner einer Generation. Dann ist viel passiert. Auch eine Band wie KoЯn ist nicht immun gegen den Lauf der Dinge. Viele von euch werden die letzten Alben gar nicht mitbekommen haben. Aber wer hört überhaupt noch Alben, vor allem am Stück? „Requiem“ ist jedenfalls das vierzehnte Werk der Band.

Snap your fingers, snap your neck

Würde man eine kulturtheoretische Abhandlung über das Headbangen verfassen, dann würde da drinnen stehen, dass es die größte Geste des Rock ’n’ Roll darstellt. Ein transzendenter Moment des kollektiven Loslassens, dazu irgendwas über Grenzenlosigkeit, Gatsch und Moshpits. Angeblich ist Headbangen seit einem Led Zeppelin-Konzert 1968 ein Lexikonbegriff. Es gibt Studien, die erforschen, wie lange man headbangen muss, bis man einen Schlaganfall erleidet. Heavy Metal ist also durch und durch an körperliches Erleben gekoppelt. Außerdem quasi der letzte Monolith, das letzte Bollwerk der Rockmusik.

Während andere Stile bereits tausendfach in „Revivals“ zerfleddert oder „neu interpretiert“ worden sind, ist die wahre Heavy Metal-Szene im Herzen stabil und stoisch. Herrlich abgefuckte Paralleluniversen existieren in jeder Stadt in Form von finsteren Metal-Schuppen, wo ein bärtiger Türsteher mit grimmiger Miene wacht. Na wehe du willst hier mit Sneakers rein, Freundchen! Die Szene hat ihre Codes und Styles, die sich über die Jahrzehnte überraschend wenig verändern haben. Das heißt nicht, dass sie nicht ebenso kommerzialisiert worden wäre: Festivals und Bands ziehen ungebrochen Menschen an. Den ungeschlagenen Verkaufsrekord am weltweiten CD(!)-Markt bringen immer noch ungeschlagen zwei Genres ein: Erstens Volksmusik. Zweitens Metal. „The Black Album“ von Metallica gilt bis heute etwa als bestverkauftes Metal-Album aller Zeiten.

Im Windschatten dieses großen Erfolgs von Heavy Metal hat sich einst aber ein Ableger gebildet. Die Band KoЯn aus Bakersfield in Kalifornien hat sich 1993 gegründet. Mit dem Heavy Metal der Urstunde hatte die Band weniger zu tun. Sie hat aber eine neue Blutader geöffnet.

Was war nochmal Nu-Metal?

Der neue Antiheld war jung, politisch - und sensibel. Er schrieb Texte über seelische Abgründe. Dieser völlig neue Trend zur Introspektion im Angesicht der drohenden Millennium-Anxiety hatte zwar im Grunge Platz, im Heavy Metal jedoch nicht. Und das Internet wurde in der breiten Gesellschaft Thema. Man hörte alles, was auf „Napster“ gerade die Runde machte. Damals war Musik nicht, wie heute, unbegrenzt verfügbar. Auf dieser Plattform fand man den gesuchten Titel nur, wenn eine Person gerade online war, die diesen auf ihrer Festplatte öffentlich zugänglich machte. Und wenn nicht, dann saugte man halt irgendwas anderes illegal runter. Man wollte soviel Musik wie möglich haben, egal was. Die junge Generation hörte querbeet alles durch, so wie heutzutage in den Apps alle möglichen Songs gleichzeitig präsent sind. Diese Pluralität hat sich bis heute bewahrt. Man konnte Metal, Pop und Rap hintereinander anhören und man konnte es plötzlich auch musikalisch zusammen mixen. Das war an diesem Punkt in der Rockgeschichte erstmals breitenwirksam der Fall.

Heavy Metal ging ausgerechnet mit dem Hip-Hop eine Kernfusion ein: Zwei gegensätzliche Konzepte und Jugendkulturen, die vom Klangbild her absolut nichts gemein hatten, jedoch von ihrer Grundenergie seelenverwandt waren. Die bisher streng heteronormative, rein weiße Musik-Hegemonie der Metalwelt öffnete sich zumindest stilistisch auch nicht-weißen Genres. Das sollte man auch bei Bands wie Limp Bizkit hören, wo Funk eine große Rolle spielt. Gut hörbar etwa in der Nummer „Stuck“, in der die Nummer „Kool is Back“ von Funk, Inc. gesampelt wird. Endlich erklommen übrigens auch auch Frontfrauen die testosteronverseuchten Bühnen, was im Rahmen der neuen „Crossover-Welle“ nicht nur erstmalig, sondern sogar sehr oft passierte.

Bands wie Rage Against the Machine, Clawfinger und Body Count mischten Metal, Rap und Funk. Gesellschaftskritische Themen kamen zum Ausdruck, man denke nur an den hochpolitischen Hit „Killing in the Name“ - bis heute eine zeitlose Hymne. Aber auch Missbrauch, Gewalt, Mobbing und Depressionen waren plötzlich Thema - das war komplett neu. Die erste Band, die mit dem Genrebegriff „Nu-Metal“ bezeichnet worden ist sind die Pioniere KoЯn. Dann kamen Slipknot, Linkin Park, Papa Roach, System of a Down und Limp Bizkit hinzu. Plötzlich ging es nicht mehr nur darum, sich wie Lemmy Kilmister die Leber kaputt zu saufen. Metal mit Herz, der an die Nieren gehen darf? Das war revolutionär.

Die neue Generation wurde erst einmal belächelt. Noch mehr, ausgelacht! In erster Linie oft von Metalfans der ersten Stunde selbst. Heulsusen! Weg mit dem verweichlichten Gejaule! Der Erfolg ließ Neider jedoch schnell erblassen: So haben KoЯn von ihrem 1994 erschienenen, selbstbetitelten Debüt zwei Millionen Alben verkauft und wurden mit Doppelplatin ausgezeichnet. Die Platte gilt bis heute als Wegbereiter der Nu-Metal-Szene. Stücke der ersten Jahre von den Platten „Life is Peachy“ von 1996 und „Follow the Leader“ von 1998 zählen heute zur hmetallischen Crème de la crème: „Got the Life“, „Children of the Korn“, „A.D.I.D.A.S“: Einfach zeitlos! Kann auch heute jedes Kind mitgröhlen.

Braucht die Welt 2022 noch KoЯn?

Bis rund um das Millennium hat die Band unbestritten ausnahmslos gute Alben geliefert, die heute für sich stehen. Mit der Platte „Issues“ von 1999 nahm aber eine Abwärtsspirale ihren Lauf: Innerhalb der Band begann es zu bröseln. Gitarrist Brian Philip „Head“ Welch verließ 2005 die Band (und kam zum Glück 2013 wieder). Ein paar Alben lang herrschte ein munteres Kommen und Gehen. Dann gab es obskure, musikalische Ausflüge gemeinsam mit Skrillex. So wirklich gebraucht hat das ja niemand. Irgendwie schien die Band jahrelang ihrer eigenen Relevanz hinterherzuhinken. Manche Magazine rankten garstig die schlechtesten Alben der Band from worst to first. Gemein!

Die ersten drei erschienen Alben gelten bis heute als Meilensteine der Band. Jeder Song ist gut gealtert und funktioniert heute noch genauso gut wie einst - ob im Club, auf der Bühne, in der versifften Bar oder jetzt auf TikTok. Plus: Die neue Platte „Requiem“ befindet sich in vielen Bestenlisten bereits auf Platz #4 - und das ist dann wirklich schon sehr überraschend. Bereits letztes Jahr gab es die erste Single „Start The Healing“ zu hören und man dachte nur: „Oha, das klingt überhaupt nicht abgelutscht, einfach unaufgeregt gut!“

Albumcover von Korns "Requiem": Finger graben sich in ein Puppengesicht

Loma Vista Recordings

Eine Stärke von KoЯn war immer schon das Songwriting von Jonathan Davis. Highlights auf der neuen Platte wie „My Confession“ oder auch „Disconnect“ enttäuschen nicht. Sie berichten über überbordende Egos, Lügenkonstrukte und die allgegenwärtige Verzweiflung, die man im Angesicht der harten Realität aktuell aushalten muss. Das sind durchaus zeitgeistige Themen.

Das Album besteht aus neun Songs und ist knapp 30 Minuten lang. Das ist das kürzeste Album bisher. Die Songs wurden analog eingespielt, ohne Computer. KoЯn klingen wie frisch aus dem Nu-Metal-Retreat, gebürstet und entgiftet. Die Platte hat die Band jedenfalls wieder näher zusammengebracht, wie Jonathan Davis erzählt:

„Wir haben uns mitten in der Pandemie in meinem Studio in Bakersfield getroffen, da wo wir alle ursprünglich her kommen und ich immer noch lebe. Ray und Head kamen extra aus Nashville, Fieldy und Munky aus Los Angeles. Bei der ersten Session saßen wir mit Masken im Wohnzimmer beisammen. Nach den ersten Tagen ist zum Glück niemand krank geworden und ab diesem Zeitpunkt haben wir in unseren kleinen Blase gelebt. Wir wollten die Pandemie vergessen, davon wegkommen - und das tun, das wir lieben!“

Ein Ende ist ein Anfang

Ein „Requiem“ ist eigentlich eine Messe im Gedenken an einen verstorbenen Menschen. Jonathan Davis‘ Frau Deven ist 2018 an einer Überdosis gestorben. Auf seinem Solodebüt „Black Labyrinth“ von 2018 war bereits viel Weltschmerz zu finden. Auch die Musikszene rund um Davis musste in den letzten Jahren große Verluste wegstecken. Etwa Chester Bennington von Linkin Park, Johnny Solinger von Skid Row, Hank von Helvete von Turbonegro und Urgesteine wie Eddie Van Halen. Die Luft wird dünner. Auf der neuen KoЯn-Platte geht es viel um den Tod, vor allem auf einer persönlichen Ebene. Jonathan Davis hat kürzlich seinen Stiefvater an Covid verloren:

„Ich war lange depressiv. Aus diesen Aufs und Abs heraus ist viel Musik entstanden. Aktuell geht es mir aber gut, ich habe mich erholt. Bloß bin ich es nicht gewohnt, dass es mir längere Zeit am Stück gut geht. Aber ich habe erkannt, dass man seinen Dämonen begegnen muss. Die neue Platte beginnt mit dem Stück „Start the Healing“. Erst wenn man sich der Realität gestellt hat, kann Heilung folgen. Und die Platte endet mit dem Stück „Worst Is On Its Way“. Ich mache mir nichts vor, ich weiß, wie das Leben spielt! Vielleicht ändern sich gerade in diesem Moment irgendwo unbemerkt Dinge und alles wird schlagartig anders. Es werden auch wieder harte Zeiten kommen. Nur diesmal weiß ich, wie ich damit umgehen muss.“

Gut zu wissen, dass man sich um diesen Musiker keine Sorgen machen muss. Es ist verwunderlich, beinahe unreal, dass eine Band nach 30 Jahren tatsächlich eine gute Platte gemacht hat und nicht nur als lebendes Museum operiert. Das schaffen nicht viele. Aktuell feiern die 1990er und frühen 2000er-Jahre bekanntlich ein Comeback. Da kommt die Platte zur richtigen Zeit. Fans werden eine Freude haben genauso wie junge Menschen, die jetzt erst einsteigen. Man wünsche Jonathan Davis jedenfalls, dass er weiterhin, egal wo, abgefeiert wird - vor allem auch live: Am 10. Juni wird die Band am Nova Rock in Österreich in diesem schönen, staubigen Paralleluniversum headbangen. Mano Cornuta! Schüttel dein Haar. Oder das was davon übrig ist.

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