Blutig und banal: Die Neuauflage des „Texas Chainsaw Massacre“
Von Christian Fuchs
Das wahre Kino ist im Kopf. Diese Binsenweißheit passt zu einem Film, der alleine durch Marketing und Mundpropaganda zum Horrorphänomen mutierte. „The Texas Chain Saw Massacre“ wurde 1974 clever als True-Crime-Gruselschocker verkauft - und als ultimativer Test für die Magennerven.
Dabei beruht die wahnwitzige Mördergeschichte nur ganz vage auf Tatsachen. Wie auch schon Alfred Hitchcocks „Psycho“ und später „Silence of the Lambs“ inspirierte der Fall des kannibalistischen Grabräubers Ed Gein die Drehbuchautoren. In den späten 50er Jahren machte der Pensionist aus Wisconsin mit seinen grausigen Verbrechen landesweit Schlagzeilen. „The Texas Chain Saw Massacre“, der lange den Ruf eines harten Splatterfilms hatte, verweigert aber brutale Details. Das Grauen passiert außerhalb des Bildrands.
Stattdessen erweist sich Regisseur Tobe Hooper als Großmeister der Spannungserzeugung. Eine Atmosphäre von Gewalt und Terror durchzieht „The Texas Chain Saw Massacre“ von Anfang an. So schrecklich sind die Andeutungen, dass das Hirn der Zuseher*innen das Geschehen fertigerzählt. Auch unzählige Zensoren in aller Welt, die den Film verbieten wollten, kritisierten Szenen, die es gar nicht gibt. In Deutschland war das „Blutgericht in Texas“ jahrzehntelang beschlagnahmt.
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Ein Fressen für Fans und Filmwissenschaftler*innen
Die Geschichte hinter all den sagenumwobenen Kontroversen ist simpel. Eine Gruppe junger Leute, inklusive des Invaliden Franklin, fährt mit einem Kleinbus durchs ländliche Texas. Die Rast in einem einsamen, leeren Farmhaus wird ihnen bald zum Verhängnis. In dem Gebäude versteckt sich eine Alptraumfamilie – allen voran Leatherface, ein monströser Schlächter, der eine Maske aus Menschenhaut trägt - und eine Motorsäge als Waffe schwingt.
„The Texas Chain Saw Massacre“ kostet fast nichts - und spielt enorm viel ein. Aber auch progressive Kritiker*innen haben den Film zum Fressen gern. Zum einen weil die grobkörnigen 16mm Aufnahmen den Zeitgeist der frühen 70er einfangen, als die Ideale der Hippie-Ära dahinfaulen und Nihilismus die Jugendkultur erfasst.
Zum anderen weil Tobe Hooper und Coautor Kim Henkel das Final Girl in das Horrorgenre einführen. Nur die weibliche Protagonistin Sally überlebt am Ende mit schmerzverzerrtem Gesicht die Konfrontation mit der infernalischen Familie. Feministische Filmwissenschaftler*innen wie Carol J. Clover schreiben später ganze Bücher über die Unterwanderung des männlichen (Fan-) Blicks durch solche Frauenfiguren.
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Sequels, Prequels und Remakes
Der Film landet als Kunstwerk im Museum of Modern Arts, Tobe Hooper wird zum Freund von Steven Spielberg, wagt aber 1986 noch ein Sequel. Sarkastischer, comichafter, aber auch blutiger ist „The Texas Chain Saw Massacre 2“, die Geschichte der texanischen Killerfamily wird brachial zum bitterbösen Ende geführt. Für die Franchise fängt das Ganze aber erst an.
Etliche Sequels, Prequels und auch Remakes folgen. Ausgerechnet der Blockbuster-Hooligan Michael Bay versucht Leatherface in den Nullerjahren neu zu erfinden, mit großem Erfolg an den Kinokassen. Der Chefkannibale bekommt eine traumatische Kindheit angedichtet, verwandelt sich gar in eine Art Antihelden, mordet irgendwann in 3D.
Und jetzt ist Netflix an der Reihe. „Texas Chainsaw Massacre“ heißt das aktuellste Leatherface-Spektakel, eben online gegangen, wohlgemerkt ohne „The“ und mit leicht unterschiedlicher Schreibweise.
Netflix
Leatherface gegen die Gen Z
Inhaltlich liegt das neue Kettensägenmassaker voll im Trend: Wir haben es mit einer direkten Fortsetzung des Originals zu tun, die auch ein bisschen ein Zweitaufguss ist, siehe „Halloween“ oder „Scream“, die ebenfalls den Titel des Vorbilds tragen. Im Idealfall holt man so gleich mehrere Zielgruppen ab, von den Horror-Veteranen bis zu uneingeweihten Chainsaw-Novizen.
Dabei macht der Film aber nichts anderes als erneut eine Clique junger Menschen in die Fänge des Kettensägen-Killers zu treiben. Nach den leicht verwahrlosten Post-Hippie-Trampern der 70ies, dem Yuppiemeat der 80er und Michael Bays durchtrainierten Model-Teenagern geht es jetzt der Gen Z an den Kragen.
Eine kleine texanische Geisterstadt soll von einem Team hipper Influencer*innen wiederbelebt werden. Leider wohnt in einem der Häuser noch ein übergewichtiger alter Herr, der zu besonderen Anlässen eine Maske aus Menschenhaut trägt. Als die sozial engagiert wirkenden, aber moralisch korrupten Jung-Geschäftsleute seine Pflegemutter eiskalt auf die Straße setzen, fetzt es dem Movie-Maniac zum wiederholten Mal die Sicherungen.
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Blutgericht in Bulgarien
Regisseur David Blue Garcia, bislang ein unbeschriebenes Blatt im Genrekino, nimmt sämtliche Klischees rund um die Generation Z aufs Korn. Wenn die jungen Businesspeople zur Verteidigung gegen Leatherface ihr Handy hochstrecken und dem Kannibalen mit dem „Canceling“ drohen, sitzen die Pointen sogar. Bis man realisiert, dass man es hier mit einer grimmig-ernsten Franchise und nicht dem x-ten Teil der „Scary Movie“-Reihe zu tun hat.
Nicht nur der banale Humor mutet unangemessen an, das „Texas Chainsaw Massacre“ aus dem Hause Netflix baut auch Schul-Amokläufe als billig-pietätlose Plotpoints ein. Irgendwann wird das alles ärgerlich, auch wenn dem Film, der aus Kostengründen in Bulgarien gedreht wurde, einige beeindruckende Bilder gelingen. Und sogar das einstige Final Girl Sally wieder auftaucht, als rüstige Rächerin im Cowboy-Outfit.
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Ab der Hälfte der (glücklicherweise enorm kurzen) Laufzeit von 81 Minuten versinkt dann aber noch die letzte Ambition in einem Meer aus roter Farbe. Der neunte Beitrag zur Kettensägen-Saga toppt alle bisherigen Versionen in Sachen Guts and Gore, das alte Blutgericht von Tobe Hooper wirkt wie eine Kindergeburtstags-Torte dagegen. Wenn es aber um das Gefühl der absoluten Bedrohung geht, um die wahre Kunst der Gänsehaut, dann bitte zum Originalfilm greifen.
Publiziert am 19.02.2022