Bonnie & Clyde als graue Mäuse
100 Euro – das ist alles, was der Starschauspieler Gérard Depardieu für seine guten Freunde Susan und Christopher Edwards erübrigen kann. Letzterer ist enttäuscht, aber nicht überrascht. Ihr Geld schwindet schnell; er bekommt mit seinem dürftigen Französisch keinen Job in Lille, wo er und seine Frau Susan wohnen, und Susans ewiger Optimismus bringt sie auch nicht aus der Schuldenfalle heraus. Der freundliche, unauffällige Brite sieht nur einen Ausweg: seine Stiefmutter anzurufen und ihr einen Mord zu gestehen.
So beginnt „Landscapers“, eine vierteilige Miniserie, die so etwas wie einen Cold Case aufrollt. Wobei dieser Cold Case ja eigentlich erst zum Fall wird, nachdem er längst erkaltet ist - nämlich dann, als nach Christophers Anruf die Leichen seiner Schwiegereltern in deren Garten vergraben gefunden werden.
Man erfährt im Laufe der vier Folgen zwar allerhand Neues, aber wenig, was Licht in den Fall bringt. Susan und Christopher bleiben strikt bei ihrer Version der Ereignisse, die auf Totschlag und Beihilfe zur Vertuschung hinausläuft; die Polizei ist sich sicher, zwei kaltblütige Kriminelle gefasst zu haben, die nur aus Geldgier gemordet haben.
Was wirklich geschah, steht hier aber weniger im Fokus als die Beziehung der Protagonist:innen. Susan und Christopher Edwards sind einfache, biedere Leute, vor allem aber sind sie Filmfans, denen es alte Hollywoodwestern und französische Liebesfilme angetan haben. Vom Schicksal gebeutelt, haben die beiden aneinander Halt gefunden und leben ihren eigenen romantischen Film, in dem Susan das zerbrechliche Fräulein in Not gibt, dem Christopher die starke Heldenschulter zum Anlehnen bietet. Einmal hat Susan einen Brief an Gérard Depardieu geschrieben, und seit dieser tatsächlich geantwortet hat, sind die Edwards in stetigem Briefkontakt mit ihm geblieben. Außerdem sammeln die Edwards Fotos von Schauspielern und seltene Filmposter – am liebsten mit Autogramm, am liebsten von Susans Liebling Gary Cooper.
Sobald sie in Polizeigewahrsam sind, werden die Unzertrennlichen voneinander getrennt – und auch getrennt befragt, was beide schnell nervös macht. Weil sie nicht ohne einander sein können oder doch, weil sich ihre gut abgesprochene Geschichte im Kreuzverhör langsam auflöst?

Stefania Rosini/HBO
Die Zuschauer:innen werden von Anfang an informiert: die Edwards wurden wegen Doppelmordes verurteilt und sitzen immer noch eine lebenslange Gefängnisstrafe ab. Und trotzdem bleiben die Sympathien in „Landscapers“ immer bei dem Paar, das am Schluss eines schweren Verbrechens schuldig gesprochen werden wird. Olivia Colman und David Thewlis sind sowieso immer Garanten für tolle Schauspielkunst, und hier sind sie in Hochform. Vor allem eine Szene im Gerichtssaal ist eine Olivia-Colman-Sternstunde, vor der man nur niederknien kann.

Stefania Rosini/HBO
„Landscapers“ umfasst 4 Folgen und ist aktuell auf Sky zu sehen.
Auch gestalterisch hebt sich „Landscapers“ von konventionellen Krimi-Erzählungen ab: Mitunter spazieren die Schauspieler:innen einfach aus der Szene hinaus, an Kameraleuten vorbei und in eine andere Kulisse hinein, in der die Tat rekonstruiert wird; Mailkorrespondenz wird in die Kamera hineingesprochen; und irgendwann verwandelt sich die Handlung in einen von Susan Edwards’ geliebten Western, inklusive dramatischer Schießerei mitten im (absolut nicht wildwestmäßig anmutenden) Wald.
Die Nebenfiguren, so individuell gezeichnet sie auch sein mögen, verblassen neben der innigen Liebesgeschichte der Hauptprotagonist:innen. Wäre hier der Fokus nicht auf den Angeklagten, würden die zielstrebige Polizistin und ihr deutlich weniger tougher Partner, deren kindisch-cholerischer Chef und Susans unerfahrener junger Anwalt mit Herz ein ganz gutes Stammpersonal für eine schwarzhumorige Polizeiserie abgeben. In „Landscapers“ (der Titel, der pseudowitzig auf die „Gartengestaltung“ der Edwards anspielt, passt übrigens nicht richtig zur doch viel düstereren Stimmung der Serie) geht es aber um einfache Menschen aus der unteren Mittelschicht, die man bedenkenlos am Bahnhof auf seinen Koffer aufpassen lassen würde, während man aufs Klo geht, und die doch Menschenleben auf dem Gewissen haben. Und deren tiefe Verbundenheit einen so ans Herz rührt, dass man sie trotzdem verstehen möchte.
Publiziert am 25.02.2022