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Tod des Überlebenden: R.I.P. Mark Lanegan

Mit Mark Lanegan stirbt einer der Überlebenden des Grunge. Noch vor einem halben Jahr hatte er ein dramatisches Corona-Koma knapp überlebt, jetzt ist Mark Lanegan in Irland im Alter von 57 Jahren verstorben.

Von Boris Jordan

Wer sein autobiografisches Buch „Sing Backwards and Weep“ liest, könnte meinen, Mark Lanegans Lebensgeschichte war frei erfunden. Hier verdichten sich alle Klischees, die man in ausgedachten Künstlerbiografien finden könnte, um die Zerrissenheit und Polarität der Kunst mit biografischen Hochs und Tiefs zu verglaubwürdigen.

Lanegan hat all diese Dinge durchlebt und durchtaucht, so dass er allgemein als einer der „Überlebenden“ des Rockstardaseins galt. Das Leben als „Kerze, die an beiden Seiten entzündet wird“, das „live fast, die young“, einer der Glaubwürdigkeits-Transportmittel der durchschnittlichen Rockstar-Erzählung, hat Lanegan - teils selbst verschuldet - in großen Bögen gelebt.

Suff und Verzweiflung

Lanegan stammte aus einer armen und dysfunktionalen Familie in einer Kleinstadt im Nordwesten der USA, aus einer Atmosphäre aus Kälte, Einsamkeit und Gewalt. So soll seine Mutter schon erlebt haben müssen, wie ihr eigener Vater vor dem Haus erschossen wurde, und ihre Gewalterfahrungen dann selber an den Sohn weiter gegeben haben.

Der Vater war laut Mark ein freundlicher Mann, aber ein schwerer Trinker. Mit 12 war Lanegan dann schon selbst so etwas wie ein stadtbekannter Säufer, Spieler, Dieb und Drogenuser. Er flog aus Schulen, lebte auf der Straße. Vor seinem 18. Geburtstag hatte er alle möglichen Drogen konsumiert, war Ladendieb und Drogenhändler und schließlich auch im Gefängnis. Und dann passiert das, was man so so oft in Rock- und Country-Biografien zu lesen bekommt: Mark Lanegan entdeckt Punkrock und will ab dem Zeitpunkt nichts anderes mehr.

Bereits 1984, als von „Nevermind“ und Grunge noch keine Spur zu hören war, trat Lanegan mit den Screaming Trees mit einer Musik auf, die Sixties-Melodien, und lärmende Gitarren zu einem unerhörten Gebräu verkochte, das in den bereits blühenden, frühen Hardcore von Black Flag, Hüsker Dü und den Meat Puppets ein gutes Stück Metal und ein noch größeres Stück blueslastige Verzweiflung hinein presste.

Schon damals konnte man in dieser verlangsamten und epischen Version von Punk das Stück individualpsychologischer Verzweiflung in Lanegans rauem Gesang erhaschen, der für die später so berühmte, verlangsamte Hardcoreversion aus Seattle stilbildend werden würde.

Neben Soundgardens Chris Cornell darf Lanegan als Verkörperung des Images vom machoid heulenden, innerlich zerrissenen depressiven Grunge-Shouters gelten, der als Vorbild sowohl für die Filmfigur Cliff Poncier aus Cameron Crowes „Singles“ als auch für den echten Frontman Eddie Vedder der Grunge-Band Pearl Jam gedient haben könnte - ein Gegenstück zum politisch bewussten und popmelodiefreundlichen, depressiven Grunge-Shouter Kurt Cobain.

Anders als ihre fitten und politisch trennscharfen Punkrockkollegen der Ostküste, waren diese schlampigen, traurigen Haudegen auch dem Heroin nicht abgeneigt. Lanegan sollte es ein ganzes Jahrzehnt begleiten und fast umbringen.

Mit Kurt Cobain war Lanegan eng befreundet, in seiner Autobiografie bedauert Lanegan an jenem 5.April 1994 das Telefon nicht abgehoben zu haben, als Cobain ihn erreichen wollte. Er hatte angenommen, Cobain wäre nur auf der Suche nach Drogen gewesen, am selben Tag nahm dieser sich das Leben.

Stete Wandlung als Rettung

1990 spielt Mark Lanegan das Soloalbum „The Winding Sheet “ ein, das sich weg vom Lärm des Grunge zu einer leiseren und spärlicher instrumentierten Version seiner Verzweiflungsmusik zuwandte. In „The Winding Sheet“ kann man nicht nur Lanegans spätere zweite Karriere als Sanftsänger bereits erahnen, sondern auch Anklänge an Radar Brothers, Slint und Palace Music, die Version des US-Rock, die später als „Americana“ bezeichnet wurde und Grunge als die Definitionsmusik der traurigen weißen Jungs ablösen sollte.

Auch musikalisch entspricht Lanegans Biografie in vielem der als klassisch geltenden Rockstarstory von der Selbstrettung durch ständige Wandlung. Nach eher stillen Roots Alben und der Entdeckung des klassichen Country Songwritings von Tim Hardin und Buck Owens, erfindet sich der - mittlerweile cleane - Lanegan als sanfter Vokalist neu, nur um gleich darauf sich den nächsten Rockerneuerern in Gestalt der Queens of the Stone Age anzuschließen. Er wechselt die Stile (nicht den seiner Vocals), experimentiert mit Elektronik und romantischen Duetten mit Isobel Campbell und kollaboriert mit allerlei Promis von Duff MCKagan bis PJ Harvey, von Massive Attack bis Marianne Faithful.

Als jemand, der so viele Nächte und Szenen und Substanzen überlebt hat, galt der seit 10 Jahren nüchterne Lanegan schon als einer der unzerstörbaren, zähen „Überlebenden“ des Rock, als er sich 2021 in Irland mit Covid-19 ansteckt und fast drei Wochen im künstlichen Koma verbringt. Wie ihn die Krankheit fast umgebracht hätte, beschrieb er in dem Buch
„Devil in a Coma“, seiner zweiten Autobiografie, die vor vier Wochen erschienen ist.

Ob Mark Lanegan den Spätfolgen der Infektion erlegen ist, ist nicht bekannt. Mark Lanegan ist gestern m Alter von 57 Jahren in Irland verstorben.

Am 2. März im House Of Pain

Mark Lanegan ist tot und das House of Pain trauert mit. Für die Sendung war der Sänger und Poet eine Schlüsselfigur in Sachen intensiver Musik. Christian Fuchs und Paul Kraker spielen zentrale Songs von Mark Lanegan, aber vor allem auch ein großartiges Konzert. 2012 begeisterte der Musiker mit seiner Band das Publikum im Les Docks in Lausanne, der gesamte Mitschnitt läuft am 2. März ab 22 Uhr im House Of Pain. Danach gibt es noch eine punkige Basementshow, von und mit Rainer Springenschmid.

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