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Erich Moechel

Russland gerät im Cyberraum in die Defensive

Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke werden in Russland geblockt, um die Verbreitung von Videos aus der Ukraine in Russland möglichst zu bremsen.

Von Erich Moechel

Während in Kiew heftige Straßenkämpfe mit ungewissem Ausgang toben, hat sich das Blatt im virtuellen Raum bereits gewendet. Die gefürchteten Cybertruppen Russlands spielen in diesem Krieg bis jetzt keine Rolle, in den sozialen Netzwerken sind die russischen Trollarmeen samt ihren rechtsextremen Alliierten aus dem Westen restlos in der Defensive.

In Russland wiederum wurde der Zugang zu Facebook am Freitagabend durch den Regulator Roskomnadsor „eingeschränkt“, Twitter ist seit Samstag schwer oder gar nicht mehr zu erreichen. Durch Drosselung der Datenströme soll die Verbreitung von Videos aus der Ukraine in Russland verhindert werden.

Übersicht über Störungen

netblocks

Wie diese Tabelle der Anti-Zensur-Website Netblocks.org zeigt, ist Twitter seit Samstagfrüh im russischen Netz nicht mehr oder nur noch mit sehr langen Ladezeiten erreichbar. Das soll die Verbreitung von Videos und Nachrichten über die Ukraine in Russland bremsen.

Videos aus der Ukraine nicht erwünscht

Dem Überfall waren wiederholte DDos-Attacken auf ukrainische Websites und die Verbreitung von Wiper-Schadsoftware vorausgegangen. Es waren weniger Angriffe als vielmehr psychologische Operationen.

Laut Nick Clegg, dem Vizepräsidenten des Facebook-Mutterkonzerns Meta, haben die russischen Behörden verlangt, „Fact-Checking und Zuordnung“ russischer Medien einzustellen, was Facebook verweigert habe. Offenkundige Falschnachrichten vor allem über weltpolitische Ereignisse werden nämlich mit Warnhinweisen versehen, und auch bei Twitter werden Medien und persönliche Konten unter direktem Staatseinfluss als solche gekennzeichnet. Ironischerweise bezeichnet das die russische Regierung als „Zensur“. Schon zu Beginn der Invasion war russischen Medien behördlich verboten worden, im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg ausländische Quellen zu zitieren.

Laut ukrainischen Angaben vom Samstag wurden bereits Hunderte russische Soldaten gefangen genommen, noch mehr sind gefallen. Diese Bilder von verschreckten jungen Burschen in Uniform sind für das Putin-Regime gefährlich und werden umso gefährlicher, je länger der Krieg dauert und je mehr solcher Videos kursieren. Dass dieser Angriffskrieg auf die Ukraine in Russland populär ist, glauben ja nicht einmal mehr die Propagandisten selbst. Der ukrainischen Führung ist das natürlich bewusst. Am Freitag wurde deshalb eine Hotline für die Angehörigen gefangener oder gefallener russischer Soldaten medienwirksam eingerichtet.

Screenshot von Russia Today

RT

Die Website der Propagandaschleuder RT lädt trotz Vorschaltung eines großen Content-Delivery-Networks bereits seit Freitag sehr langsam und hat offenbar Schwierigkeiten, Videos auszuliefern. Das ist die Folge permanenter DDoS-Attacken, die auch andere Regierungswebsites betreffen. Auf YouTube wurde am Freitag der RT-Kanal „demonetarisiert“, will heißen, es gibt keine Einnahmen aus der Werbung mehr. Das wird in Folge noch das geringste Problem der russischen Regierung mit YouTube-Videos sein.

Die Falschnachrichtenagentur TASS

Nach langen Jahren einer weit überproportionalen Dominanz russischer und rechtsradikaler Propaganda - beides ist oft kaum zu unterscheiden - vor allem auf Facebook hat sich das Blatt gewendet. Seit Kriegsausbruch wird zwar dort wie auch auf Twitter und anderen Plattformen versucht, Verschwörungsnarrative zur Rechtfertigung des russischen Einmarsches in Umlauf zu bringen. Das meist verbreitete davon ist: Putin habe einmarschieren müssen, um geheime Biolabors in der Ukraine auszuheben, in denen im Auftrag der CIA noch geheimere, chemische und biologische Kampfstoffe hergestellt würden.

Tatsächlich haben die USA zusammen mit der Ukraine ein Labor zur Identifikation von chemischen und biologischen Kampfstoffen und ein ABC-Bataillon eingerichtet. All das geht noch auf die Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zurück, als solche Waffen in der Ukraine produziert bzw. gelagert worden waren. Erstmals verbreitet wurde dieses Schwindelnarrativ Ende Dezember über die „Nachrichtenagentur“ TASS, die sich dabei auf einen Apparatschik der „Volksmiliz der Volksrepublik Donezk“ berief. Verbreitet wird es von Accounts, die ansonsten Impfgegner, Reichsbürger und Neonazis mit solchen „Nachrichten“ versorgen. All das wirkt einigermaßen krampfhaft, und die Verbreitung solcher Falschnachrichten hält sich sehr in Grenzen. Die schiere Bildgewalt der Videos vom Krieg macht es für diese Akteure schwer, Narrative zu etablieren, die in der Infosphäre mit diesen Videos konkurrieren.

Meldung der russischen Nachrichtenagentur TASS

TASS

Das ist die TASS-Tatarenmeldung. Der Milizkommandeur des Marionettenstaats von Putins Gnaden, der „Volksrepublik Donetsk“, ist die einzige Quelle, die herangezogen wurde.

Anonymous ist zurück

Rüstungsfirmen sind schon lange bevorzugte Ziele der Anonymous-Hacktivisten. 2011 wurden massive, interne Datensätze der NSA-Vertragsfirma Booz Allen Hamilton abgezogen und veröffentlicht.

Auf der anderen Seite ist das Anoymous-Kollektiv zurück. Angefangen von YourAnonNews meldete sich auf Twitter fast im Tagesrhythmus ein jahrelang bekannter Anon-Account nach dem anderen zu Wort. Quasi zum Einstand wurde der Webauftritt des russischen Verteidigungsministeriums gehackt und Datensätze veröffentlicht, die verdeckt auf dem Server lagen (siehe unten). Das nächste Opfer der digitalen Antifa war das auf elektronische Kriegsführung spezialisierte weißrussische Unternehmen Tetraedr. Anders als im Verteidigungsministerium wurde hier der gesamte Mail-Verkehr über Jahre abgezogen und Teile davon bereits veröffentlicht. Es soll sich insgesamt um 200 GB Daten handeln.

Nachrichten über Cyberattacken auf Ziele in Russland sind allerdings mit großer Vorsicht zu betrachten. Dass die Websites der wichtigsten russischen Banken Sonntagmittag aus dem Ausland nicht mehr erreichbar waren, bedeutet nicht automatisch, dass sie gehackt wurden. Die Website des russischen Verteidigungsministeriums und dessen Mail-Server war zum Beispiel schon vor Kriegsausbruch nicht mehr erreichbar. Das allerdings, weil eine Geosperre eingezogen wurde, die nur Anfragen aus dem russischen IP-Adressraum zulässt. Der Angriff der unbekannten Hacktivisten auf Mil.ru muss also entweder über einen russischen VPN-Anbieter oder noch eher direkt aus Russland selbst erfolgt sein. Beim Hack von Tetraedr dürften weißrussische Aktivisten beteiligt gewesen sein.

Auszug eines Datensatzes

Anonymous

Auszug aus einer von etwa zwei Dutzend Dokumenten, die von den Anonymous-Hacktivisten am Freitag veröffentlicht worden waren. Das Konvolut sieht sehr nach einem Ordner aus, in dem Kontaktdaten, Passwörter und PGP-Schlüssel von Systemadministratoren und IT-Sicherheitsleuten vom Mil.ru hinterlegt wurden. Die Dateien sind inzwischen wieder aus dem Netz verschwunden, die Daten des weißrussischen Militärzulieferers Tetraedr können auf der Website DDoS-Secrets angefordert werden.

Nachrichten im Kriege

„Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei Weitem der größte einer ziemlichen Ungewissheit unterworfen“, heißt es in Kapitel sechs im Standardwerk „Vom Kriege“ des Militärstrategen Carl von Clausewitz. Das gilt in vermehrtem Ausmaß heute, da immer mehr Nachrichten immer näher an der Echtzeit kursieren. Das gilt ganz besonders, wenn der Oberkommandierende des angreifenden Staats in einem Militärgeheimdienst quasi aufgewachsen ist.

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