Oh Mother, how art thou?
Von Pia Reiser
Radio FM4
FM4 Film Podcast
In dieser Episode sprechen wir über „Lost Daughter“ und „Parallel Mothers“ im Detail. Ein Gespräch über Mütter, Puppen, Konflikte im Urlaub und Versöhnlichkeit als Mittel filmischer Katharsis.
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Schwangerschaft war etwas, das im Hollywood der 1930er und 1940er Jahre - wie Voldemort - nicht beim Namen genannt werden durfte. Verlangte es das Drehbuch unbedingt, dann war eine Frau expecting. Was genau diese Frau erwarten würde, wollte man via Leinwand auf keinen Fall mitteilen, man befürchtete, wenn man zu viel Informationen über Schwangerschaft und Geburt verbreitete, würden es sich Frauen vielleicht noch überlegen, ob sie Mutter werden wollen. Und selbst als der Hays Code abgeschafft wird, hat Hollywood andere Themen, auf die es sich stürzt, wohl auch, weil es Männer waren, die an der Spitze der Filmstudios saßen und entschieden, welche Geschichten man erzählen will. Selbst Anfang der 1950er Jahre ist alles, was mit Schwangerschaft zu tun hat, so selten im Hollywood-Kino zu finden, dass die Filme, in denen es doch thematisiert wird, umso stärker in Erinnerung bleiben. In „Leave her to heaven“ schmeißt sich Gene Tierney eine Treppe hinunter, als sie entdeckt, dass sie schwanger ist, um die Schwangerschaft abzubrechen. Und in „Cat on a hot tin roof“ marschiert Madleine Sherwood hochschwanger(und mit vier Kindern im Schlepptau) durch das Südstaaten-Anwesen.
Das Horrorgenre hat vermutlich den größten Vorrat an Geschichten über Schwanger- und Mutterschaft angesiedelt auf verschiedenen Skalen der Abstraktion - von „Rosemary’s Baby“, bis „Alien“ - und in den letzten Jahren finden sich einige Filme von Regisseurinnen, die sich im Horrorgenre mit dem Mutterwerden und Muttersein auseinandersetzen. Von Feuilleton bis Mama-Blogs, vom Sachbuch bis zum Podcast ist das Thema allerspätestens seit „Regretting Motherhood“ omnipräsent, bloß der Film humpelt noch ein wenig nach.
Netflix, Constantin
Lost Daughter
Bei den diesjährigen Oscars sind in den Schauspielerinnen-Kategorien gleich zwei Filme zu finden, die nicht nur Mütter sondern die zahllosen Zustände des Mutterseins in ihre Geschichten einweben. In der aktuellen Episode des FM4 Filmpodcast sprechen wir über diese parallelen Mütter und verlorenen Töchter. Für Maggie Gyllenhaals Regiedebüt „The Lost Daughter“ gab es gleich zwei Schauspiel-Nominierungen Olivia Colman und Jessie Buckley wurden nominiert für die Darstellung der gleichen Figur: Leda Caruso, eine Professorin für vergleichende Literaturwissenschaften, die von Colman im Jetzt und von Buckley in Rückblenden gespielt wird.
Netflix, Constantin
Leda ist im Urlaub auf einer griechischen Insel und die Begegnung mit einer Großfamilie am Strand, im speziellen mit einer Mutter einer kleinen Tochter, lässt Erinnerungen daran auftauchen, als ihre beiden Töchter klein waren und Leda das Gefühl hatte, im Muttersein zu ersticken. Gyllenhaal verfilmt den Roman von Elena Ferrante als psychologischen Thriller und schafft es - obwohl hier plot-technisch streng genommen sehr wenig passiert - eine konstante Spannung zu halten, eine schwelende Atmosphäre der Bedrohung wabert durch den Film. „The Lost Daughter“ schreibt sich nicht auf die Fahnen, die ultimative Weisheit über das Muttersein im Allgemeinen zu sein, er erzählt Ledas Geschichte und zu der gehören Überforderung und Unwohlsein genauso wie die Liebe zu ihren Töchtern.
Parallel Mothers
Bei Pedro Almodovars „Parallel Mothers“, der - wie „The Lost Daughter“ - am Filmfestival Venedig uraufgeführt worden ist, sind Schwanger- und Mutterschaft im Grunde nur ein kleines Puzzleteil in einer reichlich überkonstruierten Geschichte, um eigentlich von etwas ganz anderem zu erzählen: Den Verbrechen des Spanischen Bürgerkrieges. Penelope Cruz und Milena Smit lernen sich als Janis und Ana auf der Geburtenstation kennen. Die Frauen, die sich sowohl altersmäßig als auch von ihrem Hintergrund deutlich unterscheiden, bringen am gleichen Tag Töchter zur Welt und tauschen Telefonnummern aus. Beide Schwangerschaften waren nicht geplant, eine Frau freut sich auf das Kind, die andere ist unsicher.
Netflix, Constantin
Die Väter spielen hier (zumindest in ihrer Funktion als Vater) keine Rolle. Almodovar greift ein bisschen das Prinzip „Man braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen“ auf und legt es auf zwar alleinerziehende, aber privilegierte Mütter um. Und die Babys, die hier in den leuchtend schönen Stramplern durch die Gegend gurren, sie stehen für die Zukunft, eine spanische Zukunft, die offen sein soll und ohne Lügen. Dem gegenüber steht ein Massengrab in dem Dorf, aus dem Janis kommt, wo Falangisten während des Bürgerkrieges Männer verscharrt haben. Janis will, dass diese Männer ein ordentliches Grab bekommen.
„Parallel Mothers“ ist Pedro Almodovars bisher konventionellster und politischster Film. Der Bürgerkrieg und die Franco-Diktatur spielten in seinen Filmen bisher kaum eine Rolle, aber Almodovar hat von Anfang an - und wir reden hier vom Jahr 1980 und somit nur fünf Jahre nach dem Tod Francos - in seinen Filmen eine Welt entworfen, die unter Franco nicht möglich gewesen wäre - weder auf der Leinwand noch in der echten Welt. Eine schrille, queere Welt voll mit Punk, Nonnen, Transpersonen. Eine Welt dominiert von Frauen und seit 1997 ein Oeuvre, durch das sich Penelope Cruz wie ein leuchtend roter Faden zieht. Für „Parallel Mothers“ spielt sie zum dritten Mal unter Almodovars Regie eine schwangere Frau. Für die Darstellung der Janis, die das Schweigen über die Verbrechen des Bürgerkrieges brechen will und gleichzeitig auch über Dinge schweigt, wurde Cruz in der Kategorie „Best Actress“ nominiert. Ob Cruz oder Colman (oder Jessie Buckles als „Best Actress in a supporting role“) den Oscar bekommen, werden wir am 27. März sehen. In der heutigen Episode im FM4 Filmpodcast sprechen wir im Detail über diese beiden Filme, ein Gespräch über Mütter, Puppen, Konflikte im Urlaub und Versöhnlichkeit als filmische Katharsis.
Publiziert am 28.02.2022