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Casper

Chris Schwarz/Eklat Tonträger

Best New Music

Am Ende war bei Casper alles schön und nichts tat weh

Nach fünf Jahren hat Casper wieder ein Solo-Album released. Dieses Gesamtkunstwerk soll die Stärken seiner bisherigen Werke vereinen, Schwächen zelebrieren und vergangenes reflektieren. Mit der Platte „Alles War Schön Und Nichts Tat Weh“ liefert Casper heute unsere Best New Music.

Von Alica Ouschan

Zwar ist Casper in den letzten fünf Jahren alles andere als untätig gewesen - andauernd auf Tour, für das gemeinsame Album mit Marteria im Studio, dann wieder auf Tour - trotzdem war das erleichterte Aufatmen der Fans, das nach Luft schnappen beim ersten Anzeichen eines neuen Casper-Releases lauter denn je. Immerhin trägt Casper seit seinem großen Durchbruch 2011 mit seinem Album „XOXO“ Fluch und Segen der Pionier-Rolle, die ihm von Fans, Kolleg*innen und Musikmedien auferlegt wurde, auf den Schultern.

Casper

Chris Schwarz/Eklat Tonträger

Alles War Schön Und Nichts Tat Weh ist am 25. Februar bei Eklat Tonträger erschienen.

Mit seinem ehrlichen Rap, dem Erzählen von berührenden, schmerzhaften Geschichten und der eigenen Verletzlichkeit hat Casper als einer der Ersten ein ganz neues Bild in der deutschsprachigen Raplandschaft gezeichnet und gezeigt, dass es im Hip Hop um mehr gehen darf als Autos, Geld und Erfolg.

Kein Wunder also, dass auf ihm seit über einem Jahrzehnt ein immenser Erwartungsdruck lastet. Diesmal ist der große Unterschied aber, dass Casper sich von dieser Last befreien konnte - und das hört und spürt man in jeder Faser des Albums.

Zufriedenheit mit dem Unperfekten

„So perfekt“ hieß einer der ersten großen Casper Hits - einen Anspruch, den der Künstler unbewusst über die Jahr mitgetragen hatte. „Ich hab’ heute wieder dran gedacht, dass ich mir zu viel Gedanken mach“ ist der erste Satz auf dem neuen Album. Casper hat sich immer viele Gedanken gemacht, war selten zufrieden, hat jedes Detail durchgeplant und auch schonmal alles wieder verworfen und von vorn begonnen. Durch den vor zwei Jahren unfreiwillig gedrückten Pause-Knopf, hatte Casper viel Zeit, Neues entstehen zu lassen, über Vergangenes zu reflektieren und seine Zweifel loszulassen, wie er im FM4 Interview erzählt.

„Ich fühle mich sehr befreit und sehr leicht. Weil ich zum ersten Mal in meiner Karriere mit einer Platte selbstsicher und selbstbewusst war. Ich hab in der Vergangenheit in einer Art Imposter-Syndrom versucht, meine Schwächen zu verstecken“, sagt Casper. Der Druck, abzuliefern, mit jedem Album noch größer, noch besser, noch epischer werden zu müssen, hat sich nicht nur auf Caspers mentale Gesundheit niedergeschlagen, sondern findet sich auch oft als Motiv in seinen Songtexten.

„Wohl wissend, dass - als die Welt auf Pause gestellt wurde - das auch sehr viel Schlechtes mit sich gebracht hat, war das für mich ein ganz spannender Moment. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ich nur Musiker. Ich bin einfach morgens aufgestanden und an die Arbeit gegangen. Ich habe mich dann in mein Arbeitszimmer gesetzt und Texte geschrieben, bin dann nachmittags ins Studio gefahren und hab mit Max Rieger an der Musik geschraubt.“ Max Rieger, Sänger der Band Die Nerven und Kopf hinter dem Projekt All diese Gewalt hat sich in den letzten paar Jahren zu einem der gefragtesten Musikproduzent*innen Deutschlands entwickelt.

Seine Wurzeln liegen in Punk und Metal, seine musikalische Handschrift zeichnet sich durch gewaltige Soundbilder mit beeindruckendem, gleichzeitigem Hang zum Minimalismus aus. Für Casper war die Zusammenarbeit mit Max Rieger ein wichtiger Teil in seinem Reflexionsprozess: „Was Max ganz seltsam in sich drin hat, ist so eine ur-schwäbische Arbeitsmoral. Max Rieger hat keinen Bock, sich lange den Kopf über irgendwas zu zerbrechen. Der will morgens anfangen und abends fertig sein. Ich will mir meinen Kopf fünfundsechzig mal zerbrechen. Ich glaube, da haben wir uns gut in der Mitte getroffen und wir hatten relativ schnell viele Songs fertig, die wir gut fanden.“

Dass Casper etwas wirklich richtig gut findet, was er selbst gemacht hat, ist ebenfalls eine ganz neue Erfahrung für ihn: „Das ist die erste Platte, wo ich mich und meine Arbeit mit allem Unperfekten, allen Fehlern und Eigenarten akzeptieren kann und ich mich nicht mehr drauf konzentriere, meine Schwächen zu verstecken, sondern auf meine Stärken vertraue.“

Casper

Chris Schwarz/Eklat Tonträger

Verarbeitung und Wiedergeburt

Textlastige Songs, in denen er emotionale Geschichten mit dramaturgischem Spannungsbogen erzählt, das ist Caspers ganz große Stärke. Genau mit dieser Art von Songs hat er viele seiner Fans gewonnen, ist bei anderen dafür aber angeeckt: „Ich hab früher auch oft versucht, meine Musik drauf anzupassen, was grad poppig ist oder auf einer großen Festivalbühne gut funktioniert. Diesmal hatte ich Lust, einfach nur Geschichten zu erzählen, auch wenn das vielleicht nicht unbedingt in die Algorithmisierung reinpasst.“

Trotz des losgelösten, ungezwungenen Untertons, der das ganze Album über mitschwingt, liefern die Geschichten, die Casper auf „Alles War Schön Und Nichts Tat Weh“ erzählt, den krassen Kontrast, denn sie sind dunkler und schmerzvoller als je zuvor. Bereits auf „XOXO“ fand sich mit „Michael X“ ein Track über den Suizid eines Freundes von Casper. Auf der neuen Platte tragen gleich zwei Songs die Namen der Personen, deren Geschichten erzählt werden.

„Billie Jo“ handelt von Caspers Cousine und davon, wie die Folgen der Zeit im Krieg ihren Mann in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele getrieben haben. Die schlimmsten Tragödien, die das Leben in petto hat, lyrisch zu verarbeiten, nimmt für Casper einen wichtigen Stellenwert ein. „Ich glaube, dass die Leute spüren, ob eine Geschichte echt oder erfunden ist. Ich glaube, wenn man die Platte auflegt, dann ist da irgendwo diese Authentizität oder diese Liebe zwischen Rillen mit drin.“

Seinen bisher längsten Song widmet Casper seinem Freund Fabian und dessen Kampf gegen die Leukämie. Die Platte an sich ist ein Kampf um Leben und Tod, es geht ums Abschließen und Beenden, aber auch um Hoffnung, Neuanfänge oder Wiedergeburt.

Diese Wiedergeburt ist in gewisser Weise aber auch eine Rückbesinnung auf Caspers musikalische Anfänge. Für Fans der ersten Stunde fühlt sich „Alles War Schön Und Nichts Tat Weh“ wie eine lyrische und musikalische Reflexion des letzten Jahrzehnts an, es erinnert zeitweise stark an „XOXO“, dann kommen heftige „Hinterland“-Vibes auf und manche Songs klingen eher nach „Lang Lebe Der Tod“ - sich in diesem Strudel zurecht zu finden, braucht mehrmaliges Durchhören, auch um die versteckten Schmankerl zu finden.

So wirkt die Platte zu Beginn wie ein typisches Casper-Album, mit den typischen Themen und dem typischen Sound. Was aber auffällt ist, dass Casper Dinge viel deutlicher ausspricht als früher. Zwar war er immer schon politisch und kritisch, aber gerade Songs wie „Die Vergessenen Part 3 und 4“ - die lang ersehnte Fortsetzung eines Song-Epos der sich seit „XOXO“ zieht - sprechen mit der Radikalisierung und Verschwurbelung von Rechtsextremen und der Klimakrise und ihren Folgen zwei sehr brisante politische Themen an, deren Auswirkungen wir aktuell besonders stark spüren.

Auch „Billie Jo“ bekommt im Angesicht der aktuellen Lage in der Ukraine eine ganz neue Bedeutung und wird auf Soli-Demos gespielt. „Wenn ich die Songs veröffentliche, sind sie ja nicht mehr meins. Wie die Leute meine Texte einordnen obliegt mir nicht mehr“, sagt Casper. „Und es ist traurig, wie ungewollt zeitgeistig die Platte geworden ist.“

Von Lang lebe der Tod zu Stärker als der Tod

Umso tiefer die Tiefen, desto höher die Höhen, diesem Motto bleibt Casper aber auch diesmal treu. So widmet er den Song mit TUA namens „TNT“ dem mentalen Zustand der Bipolarität, lässt sich selbst hochleben und Rosen auf sich Regnen („Lass es Rosen für mich Regnen“) und liefert mit „Gib mir Gefahr“ auch wieder einen großartigen Moshpit-Brenner, der einen das nächste Casper-Konzert herbeisehnen lässt. Die Feature-Gäste sind wie immer clever ausgesucht und eine stabile Mischung aus aktuellen deutschen Popgrößen (Lena), frischen Stimmen (Vincent von Provinz) und altbekannten Wegbegleitern - wie beispielsweise Kraftklub-Kummer Felix.

Auch wenn das Ergebnis der neuen Arbeitsweise von Casper nicht so bombastisch einschlägt, zwar episch klingt, aber sich nicht ganz so episch anfühlt, löst „Alles War Schön Und Nichts Tat Weh“ bittersüße Nostalgiegefühle aus und überzeugt mit einer nie dagewesenen Leichtigkeit.

Schlussendlich bleibt eigentlich nur noch zu sagen, dass das Album, vom Titel über die Aneinanderreihung der Songs, bis hin zum Klang und den Texten nach Abschied klingt. Ist es vielleicht sogar das letzte Album von Casper? Das Ende seiner Geschichte? „Ich habe mit vielem abgeschlossen und kann jetzt mehr auf meine Stärken vertrauen, deswegen ist das für mich eher ein Reset“, sagt Casper. Oder wie es in einem der Songs heißt: „Coming home - stärker als der Tod.“

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