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Carmen Brucic

Private Stages: Carmen Brucic porträtiert Georgiens queere Szene in der Isolation

Wer sich in Georgien outet, lebt gefährlich. Die wenigen schützenden Orte, wie der berühmte Techno-Club Bassiani in Tiflis, sind durch die Pandemie weggebrochen. Die Porträtserie „Private Stages“ der Tiroler Fotokünstlerin Carmen Brucic zeigt die queere Szene in der Isolation.

Von Xaver Stockinger

Als Carmen Brucic im Juli letzten Jahres - ausgerüstet mit einer Fotokamera - nach Georgien gereist ist, saß der Schock noch tief. Am 5.Juli 2021, wenige Tage vor ihrer Ankunft in der Hauptstadt kam es bei der ersten geplanten Pride-Parade in Tiflis zu blutigen Szenen. Nachdem orthodoxe Priester zum „Hass im Namen Gottes“ aufgerufen hatten, rotteten sich rechte Mobs in den Straßen der Hauptstadt zusammen. Sie verwüsteten das Büro der Pride-Organisator*innen und machten Jagd auf sexuelle Minderheiten. Dutzende Aktivist*innen und Journalist*innen wurden verletzt, eine Person ist gestorben.

„Du bist vogelfrei, wenn du dich in Georgien als schwul oder queer outest - dann kann einfach ein Stein fliegen.“

Für homosexuelle oder queere Menschen in Georgien sei Angst ständiger Begleiter im Alltag, erklärt Carmen Brucic, die vom renommierten Tbilisi-Foto-Festival eingeladen wurde, das Land am Kaukasus zu fotografieren. Sie wollte dort nicht die weiten Landschaften oder das schwarze Meer ablichten, nein - Carmen Brucic hat ihren Fokus auf jene jungen Menschen gelegt, die sich in Georgien wegen ihrer Sexualität oder ihrem Geschlecht nicht sicher fühlen. „Du bist vogelfrei, wenn du dich in Georgien als schwul oder queer outest - dann kann einfach ein Stein fliegen“, erklärt die Tirolerin, die für ihre Arbeit mit vielen Leuten vor Ort gesprochen hat.

Das Bassiani – Politische Festung und Safe Space

Im Zentrum von Carmen Brucics Fotoarbeit stehen die queeren Künstler*innen rund um den Techno-Club Bassiani in Tiflis. Dieser ist in den letzten Jahren zu einem Kampfsymbol westlich orientierter junger Menschen und der LGBTQI*-Community in Georgien geworden. Der konservativen Regierung und der orthodoxen Kirche ein Dorn im Auge, wurde das Bassiani im Jahr 2018 Zielscheibe einer großangelgten Razzia.

Schwerbewaffnete Polizisten stürmte damals die Tanzflächen und ließen den Club schließen. Als offiziellen Grund für die Razzia wurde der Kampf gegen Drogenkriminalität genannt. Tausende junge Menschen haben sich anschließend vor dem georgischen Parlament zu einem mehrtägigen Protestrave versammelt, um für die Wiedereröffnung des Bassiani zu kämpfen. „We dance together and we fight together!“ lautete der Slogan der Demonstrationen. Diese zeigten zwar Wirkung und der Club durfte wieder aufmachen, doch kam bald die Pandemie und das Bassiani musste auf ungewisse Zeit seine Tore schließen.

Für die queere Szene waren die fast zwei Jahre anhaltenden Schließungen ein schmerzhafter Verlust - war das Bassiani doch einer der wenigen öffentliche Räume in Georgien, in dem sich homosexuelle und queere Menschen angstfrei bewegen konnten. „Viele Leute haben sich im Bassiani zum ersten Mal geoutet. Es bietet ihnen den nötigen Schutz“, so Carmen Brucic. Mit dem Wegbruch dieses wichtigen Safe Spaces sind auch die Künstler*innen rund um den Club plötzlich verschwunden. Sie sind untergetaucht in einem Land, in dem sie ständiger Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind.

Eine künstlerische Begegnung in der Isolation

Carmen Brucic’s Kurzfilm zu Private Stages gibts hier.

Für ihre Porträtreihe „Private Stages“ hat Carmen Brucic fünf dieser Menschen aufgesucht. „Die Idee war, sie einen Tag und eine Nacht mit der Kamera zu begleiten“, erklärt die Fotografin. Wichtig sei es gewesen, Vertrauen zu den Personen herzustellen. Sie haben Carmen Brucic in ihre Wohnungen gelassen, haben sie mitgenommen an ihre persönlichsten Orte. Die fünf Protagonist*innen, die allesamt mit dem Bassiani in Verbindung stehen und dort an verschiedensten Stellen als Künstler*innen oder Performer*innen tätig waren, sollten dabei selbst entscheiden, wie sie die Fotografin einsetzen. „Ich habe mich total zurückgehalten und sie haben eigene kleine Performances entwickelt.“

Herausgekommen sind intime Fotos und ein Kurzfilm. Die porträtierten Künstler*innen zeigen sich dabei nackt und verletzlich oder geben sich furchtlos und kämpferisch. So unterschiedlich die Bilder auch sind, immer spricht aus ihnen eine gewisse Erschöpfung. Eine Erschöpfung, die der jahrelange Kampf um Gerechtigkeit allen ins Gesicht geschrieben hat.

Private Stages in Innsbrucker Kirche

Zurück in Österreich bereitet Carmen Brucic jetzt die Bilder für eine Ausstellung vor. Ein starkes Zeichen kam bereits vom Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, der innerhalb der katholischen Kirche als eher progressiv gilt: Auf seinen Vorschlag hin hängt ein Bild aus „Private Stages“ während der gesamten Fastenzeit 2022 als Hungertuch in der Innsbrucker Universitätskirche. Darauf abgebildet ist der Aktivist und Künstler David Apakidze.

Private Stages in einer Kirche in Innsbruck

Paul Santek

Nach dem 5. Juli 2021, dem Tag der gewalttätigen Übergriffe auf die geplante Pride-Parade in Tiflis hat sich dieser seine langen blonden Haare abrasiert, aus Angst, auf Georgiens Straßen als homosexuell erkannt und angefeindet zu werden. Für den Bischof symbolisiere das Bild die Erschöpfung eines Menschen über den Zustand der Welt. Das „V“, welches durch den vom zerbrechlichen Körper abgewinkelten Arm entsteht, könne gleichzeitig als Zeichen des Widerstandes, des Victorys gelesen werden. Angesichts der aktuellen Ereignisse in der Ukraine erhalte das Bild eine noch stärkere Symbolkraft.

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