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Aheds Knie

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„Die schrecklichste Krankheit in Israel ist die Blindheit, die selbstgewählte Blindheit.“

Seit Freitag ist ein neuer Film des israelischen Regisseurs Nadav Lapid in den österreichischen Kinos. Die einen halten seine Filme für geniale Provokationen, die anderen für Nestbeschmutzerei. „Aheds Knie“ ist nach dem Goldenen-Bären-Sieger „Synonymes“ der zweite Film von Nadav Lapid, in dem er autobiografisch und zornig mit seinem Heimatland abrechnet.

von Xaver Stockinger

In Nadav Lapids neuem Film „Aheds Knie“ reist ein Filmemacher in die israelische Provinz, um in einem kleinen Kulturzentrum eines seiner Werke vorzustellen. Dort kämpft er gegen staatliche Zensur und gegen den Tod seiner Mutter. In „Aheds Knie“ nimmt sich Nadav Lapid kein Blatt vor den Mund und speit wütend alles aus, was er Israel und seiner Gesellschaft schon immer einmal sagen wollte.

2021 wurde Nadav Lapid für „Aheds Knie“ in Cannes mit dem „Preis der Jury“ ausgezeichnet. Wir haben den 46-jährigen israelischen Regisseur anlässlich der Premiere von „Aheds Knie“ im Wiener Stadtkino zum Interview getroffen.

Nadav Lapid

Bertrand Noel

Nadav Lapid

Xaver Stockinger: In Ihrem letzten Film „Synonyms“ versuchte der Protagonist, Israel und seiner Gesellschaft zu entkommen. In „Aheds Knie“ hingegen zielt er auf harte Konfrontation.

Nadav Lapid: Ja, in diesem Film geht es in gewisser Weise um den Kampf, Dinge klar zu benennen, Dinge so zu sehen, wie sie sind - zu sagen: Die Sonne ist die Sonne und der Mond ist der Mond, und eine Ungerechtigkeit ist eine Ungerechtigkeit. Dieser Akt ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wenn wir uns aber umsehen, erkennen wir, dass es auf der Welt oft überhaupt nicht selbstverständlich ist. Staaten und Regime können schreckliche Dinge tun, ohne das geringste Problem damit zu haben. Sie reagieren jedoch extrem empfindlich auf die simple Tat der Benennung. Sich hinzustellen und Dinge zu sagen, wie sie sind, stellt oft eine große Sünde dar.

Warum haben Sie sich in „Aheds Knie“ für diesen klaren, oftmals sehr schonungslosen Ton gegenüber Ihrem Heimatland entschieden?

Ich denke, die schrecklichste Krankheit in Israel ist die Blindheit, die selbstgewählte Blindheit. Es ist ein weit verbreitetes Phänomen: Menschen, die eigentlich sehen können, entscheiden sich dafür, nichts zu sehen. Man hat also das Gefühl, man müsse sie mit den Händen packen und jeden von ihnen persönlich wachschütteln. Aber weil ich das mit meinen Händen nicht machen kann, schüttle ich sie mit der Kamera und der Leinwand. Ich denke, „Aheds Knie“ schüttelt alle, inklusive seines eigenen Regisseurs und seiner Hauptfigur.

Der Protagonist in „Aheds Knie“ - ein israelischer Filmemacher - sieht sich mit staatlicher Zensur konfrontiert. Inwieweit haben Sie die Dinge, die im Film gezeigt werden, auch selbst erlebt?

Der Film ist die Folge von sehr ähnlichen Dingen, die mir passiert sind. Ich wurde - wie die Hauptfigur im Film - in die israelische Provinz eingeladen, um einen meiner Filme vorzuführen. Dort musste ich ein Formular ausfüllen, mit dem ich bestätigte, über bestimmte Themen nicht zu sprechen. Es ist, als würde dir eine Hand in den Mund fahren und dir deine Worte herausnehmen, vor allem jene Worte, die du sagen willst. Zurück bleiben jedoch nur Worte, die du nicht sagen willst. Vielleicht ist es in Israel nicht so schlimm wie in Russland oder China. Filmemacher hierzulande werden nicht gleich ins Gefängnis geworfen - zumindest nicht die jüdischen -, aber die Leute werden sehr einfach zu ihren eigenen Zensoren gemacht. Und das halte ich wie gesagt für die größte Krankheit: Die Zensur von innen, die Selbstzensur.

Sie unterrichten auch Film in Israel. Erkennen Sie diese Selbstzensur auch bei jungen Filmstudierenden?

In Israel hat man es geschafft, junge Filmschaffende davon zu überzeugen, dass Politik im Film langweilig ist. Sie denken, politische Filme zu machen sei etwas für untalentierte Künstler*innen, die nicht in der Lage sind, über Emotionen zu sprechen. Ich weiß nicht, wie es in Österreich ist, aber in Israel gab es über lange Zeit eine Propaganda, mit der Künstler*innen diskreditiert wurden, die über das Soziale, die Gesellschaft oder den Staat sprechen wollten. Sie wurden entweder als Verräter oder etwa als Leute dargestellt, die nur versuchen, außerhalb von Israel Anklang zu finden.

„Ich fand mich wieder in einer Rolle zwischen Nationalheld und Nationalverräter.“ (Nadav Lapid)

Wie wird Ihr neuer Film „Aheds Knie“ in Israel aufgenommen?

Der Film hat in Israel ein großes Echo hervorgerufen, auch weil er letzten Sommer in Cannes den Preis der Jury gewann und israelische Filme das nur selten tun. Jeder wusste also über den Film Bescheid. Natürlich hat er aber auch polarisiert. Auf der einen Seite wurde er von vielen Politiker*innen attackiert, auf der anderen Seite gab es eine Art von Nationalstolz. Ich fand mich wieder in einer Rolle zwischen Nationalheld und Nationalverräter. Bei jenen Israelis, die den Film gesehen haben, hat er sehr starke Emotionen hervorgerufen. Mein Handy war voll mit Nachrichten von Menschen, die ich nicht kannte. Nachrichten, die um drei oder fünf Uhr morgens geschickt wurden von Leuten, die den Film gesehen haben und nicht schlafen konnten. Nachrichten mit 2000 Wörtern, wie in Trance verfasst und extrem emotional. Ich denke, Israelis begreifen diesen Film als ein existentielles Portrait darüber, was für ein Mensch man wird, wenn man sein Leben in einer kranken Gesellschaft verbringt.

Aheds Knie

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„Aheds Knie“ erzählt nicht nur von einem politischen Kampf, sondern auch vom Kampf um einen geliebten Menschen. Warum haben Sie sich dazu entschieden, die Krankheit und den Tod Ihrer Mutter in den Film zu integrieren?

Die simple Antwort ist: Weil es zeitlich wirklich so stattgefunden hat. Ich denke aber, wenn wir über politische Situationen und ihre Bedingungen sprechen - was etwas sehr Wichtiges, sehr Konkretes ist - dann schwebt über unseren Köpfen auch immer das Leben und der Tod. Wenn man das menschliche Leben nicht in einem größeren Zusammenhang betrachtet, kann man es nicht verstehen. Alles, auch ein lokales politisches Ereignis, geschieht zwischen sterblichen Menschen, die geliebte Menschen haben, die ebenfalls wieder sterblich sind. Und ich denke, dass dies in gewisser Weise der einzige Weg ist, um über Wahrheit zu sprechen. Wenn man zum Beispiel über den österreichischen Kanzler sprechen will, sollte man auch über die Sonne, den Mond und das menschliche Leben sprechen.

Im Film zitieren Sie auch Ihre Mutter: „Am Ende gewinnt die Geographie“. Ist das vielleicht die Antwort, die der Film geben will?

Nadav Lapids neuer Film Aheds Knie ist seit Freitag in den österreichischen Kinos

Ich hatte immer das Gefühl, dass meine Mutter diesen Satz wirklich geliebt hat, und ich hatte immer das Gefühl, dass es ein extrem schöner Satz ist. Für mich war der Satz so schön, dass ich mich nie gefragt habe, was genau meine Mutter damit meint. Und dann ist sie gestorben. Heute glaube ich, sie wollte damit meinen jüngeren Bruder und mich überzeugen, Israel zu verlassen. Sie versuchte uns zu vermitteln: Egal wie sehr ihr in Israel versucht, euch loszulösen und anders zu sein, am Ende wird die Geographie gewinnen. Am Ende werdet ihr nur ein weiteres kleines Detail in der Landschaft sein.

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