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The Card Counter

Polyfilm

„The Card Counter“ und Paul Schraders einsame Antihelden

Auch in seinem neuen Film folgt der US-Regisseur und Autor einem Einzelgänger eine Abwärtsspirale hinab. Oscar Isaac brilliert dabei als pokerspielender Ex-Soldat im Trauma-Modus.

Von Christian Fuchs

„Die Einsamkeit verfolgt mich mein ganzes Leben“, notiert der Taxifahrer Travis Bickle in sein Tagebuch. „Ganz egal, wo ich hingehe, überall jagt sie mich: in Bars, im Auto, in Coffee Shops, Kinos, Geschäften, bei Spaziergängen. Es gibt kein Entkommen davor. Ich bin Gottes einsamster Mann“. „Taxi Driver“ von Martin Scorsese, veröffentlicht 1976, ist bis heute eines der Gänsehaut erregendsten Portraits eines Kommunikationsunfähigen, der langsam in der Wahnsinn abdriftet.

Gottes einsame Männer“, so bezeichnet „Taxi Driver“-Drehbuchautor Paul Schrader viele der Outsider, die seine Skripts seit damals bevölkern. Figuren, die verloren durch die Nacht treiben oder in der Isolation ihrer Wohnungen Rituale des Alleinseins zelebrieren. „Der Mann, der zwar immer von anderen umgeben ist“, sagt Schrader, „aber keine Freunde unter ihnen hat. Das absolute Symbol für die Einsamkeit in der Großstadt.“

Taxi Driver

Sony/Columbia

„Taxi Driver“

Toxische Männlichkeit und verstörte Gefühlswelten

Auch in seiner zweiten Karriere als Regisseur zeigt sich der heute 75-jährige Paul Schrader von Protagonisten fasziniert, die mit ihrer inneren Leere kämpfen. Wobei filmische Meilensteine wie „Mishima“, „The Affliction“ oder „Light Sleeper“ die Suche nach Erlösung stets blutig enden lassen, was Schrader einen kontroversen Ruf bescherte. Dabei gibt es nur sparsamste Momente physischer Gewalt in seinen Werken. Worum es wirklich geht, ist emotionale Härte. Das Gefühl, dass einem das Leben vollends entgleitet.

Einige aktuelle Kritiker*innen versuchten die zurückgezogenen Charaktere Paul Schraders als besonders abschreckende Vertreter toxischer Männlichkeit zu verurteilen. Und sie haben teilweise sogar recht. Aber der New-Hollywood-Veteran Schrader lehnt Kategorisierungen ab. Er taucht durchaus empathisch in die Gefühlswelt seiner verstörten Protagonisten ein. Wir sollen sie trotz ihrer Gefährlichkeit verstehen lernen, ihnen auch die Chance zur Veränderung geben. Oder auch nicht.

Card Counter

Polyfilm

„Card Counter“

Oscar Issac ohne heldenhafte Züge

Nach diversen Ausflügen in plakative Genres, die nicht immer gelungen waren, kehrte Paul Schrader 2017 als Regisseur und Autor zu seinem Grundthema zurück. „First Reformed“, in dem sich Ethan Hawke in die Reihe der gequälten Einzelgänger einfügt, geriet zu einem meisterlichen Comeback. Diesmal steht ein Priester am Rande des Nervenzusammenbruchs im Mittelpunkt, den die Angst vor dem Klimawandel in ein Martyrium treibt.

The Card Counter“, Paul Schraders neuer Film, der hierzulande bei der letzten Viennale seine Premiere feierte, schließt hier nahtlos an. Der umwerfende Oscar Isaac, seit „Dune“ auch im Blockbuster zuhause, fasziniert hier wieder mit einen kleinen Rolle, ganz ohne heldenhafte Züge. Seine Figur versteckt sich hinter dem Pseudonym Wilhelm Tell, einem ehemaligen US-Folterknecht aus Abu Ghraib, der versucht den Horror hinter sich zu lassen.

Card Counter

Polyfilm

„Card Counter“

Knochenharte Politkritik und spirituelle Anklänge

Tell reist als erfolgreicher Pokerspieler durch ein trostloses Amerika, aufgebaut auf falschem Glitzer und der Lüge vom schnellen Geld. Nähere Kontakte mit anderen Menschen vermeidet der Mann, der seinen Alltag pingelig organisiert hat. Ein Szenario von stiller Eindringlichkeit: Wilhelm Tell überzieht jedes Hotelzimmer, in denen er absteigt, mit Leintüchern, so als ob er nirgends irgendwelche Spuren hinterlassen will.

Unterbrochen werden die streng gefilmten Momentaufnahmen aus Spielcasinos und Motels von wackeligen, verzerrten Bildern, die die brutale Vergangenheit des Protagonisten zeigen. Willem Dafoe schlüpft in diesen Flashbacks in den Part des Armee-Kommandanten, der seine Soldaten zu Folterspezialisten ausbildet.

Card Counter

Polyfilm

„Card Counter“

Paul Schrader konfrontiert Oscar Isaac aber nicht nur mit vergangenem Grauen, er lässt ihn in der Gegenwart auch auf eine Frau und einen jungen Mann treffen, die vielleicht für einen Neuaufbruch stehen. Bis zur letzten ergreifenden Einstellung ist unklar, ob Wilhelm Tell diese Chance nützt. Eine große Empfehlung für „The Card Counter“, der knochenharte Politkritik, melodramatische Elemente und spirituelle Anklänge zu einem packenden Film vermischt.

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