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Stromae 2022

Michael Ferire

Stromae spielt in seiner eigenen Liga

Das belgische Musikgenie Stromae veröffentlicht mehr als acht Jahre nach „Racine Carrée“ endlich wieder ein neues Album. Stromae, der eigentlich Paul van Haver heißt, begeisterte erstmals 2009 mit dem Hit „Alors on danse“. Stromae liebt moderne elektronische Musik genauso wie Singer-Songwriter-Musik und auch diverse Sounds aus aller Welt. Das neue Album, „Multitude“, vereinigt alle drei Stile.

von Eva Umbauer

Paul Van Haver kommt aus Brüssel, besuchte ein katholisches Internat, gründete Hip-Hop-Gruppen, ist Fan des wohl größten belgischen Songwriters - Jacques Brel - sowie Modedesigner und Videoregisseur. So war er etwa beim Video zu „Hostage“ von Billie Eilish beteiligt. Als Stromae macht er französischsprachige Musik und begeistert damit auch Menschen, die diese Sprache gar nicht sprechen oder verstehen. So hat Stromae dann etwa auch in den USA Konzerte gespielt, nachdem sein zweites Album „Racine Carrée“ - auf Deutsch „Quadratwurzel“ - erschienen war und verkaufte dabei sogar den New Yorker Madison Square Garden aus, etwas, was keiner oder keinem französischsprachigen Musiker*in vor ihm gelungen war.

Aber Stromae zahlte für über 200 Konzerte, die er im Rahmen von „Racine Carrée“ spielte, einen Preis. Er fühlte sich nicht mehr gut, war deprimiert und ausgebrannt, obwohl alles so phänomenal für ihn lief. Eine Malariaimpfung, die er wegen Konzerten in betroffenen Regionen bekommen hatte, machte ihm ebenfalls zu schaffen. Stromae - der Künstlername ist Verlan für Maestro, also die beiden Silben eines Wortes werden vertauscht - musste sich eine längere Zeit lang sammeln. Inzwischen ist er Vater geworden - und hat seine Arbeitszeiten, zumindest bei der Entstehung von „Multitude“ - dem Kleinkind angepasst.

Stromae 2022

Michael Ferire

Morgens brachte Paul van Haver aka Stromae seinen kleinen Sohn in die „creche“, die Kinderkrippe, und um 17.00 holte er ihn dort wieder ab. Dazwischen werkte er 9-5 an seinen neuen Songs. Das war nicht einfach, denn Stromae war es gewohnt, nachts kreativ zu sein - um sieben Uhr morgens ins Bett zu gehen und dann ganzen Tag zu schlafen. Aber er wollte Zeit mit seinem Kind verbringen und so änderte er seine Arbeitszeiten.

Stromae hatte gehört, viele Autor*innen würden von neun Uhr morgens bis siebzehn Uhr an ihren Büchern arbeiten, und er dachte, das könnte auch für ihn als Musikschaffenden klappen. Er musste sich aber teils dazu zwingen, denn die Ruhe und Konzentration, die ihm die Nacht beim Musikmachen gab, fand er untertags nicht immer, aber die Zeit, die er dafür mit dem Sohn hatte, war es wert, und auf die Qualität seiner neuen Platte hat sich das 9-5 auch nicht negativ ausgewirkt.

Paul van Haver aka Stromae kannte seinen eigenen Vater nicht gut. Der Architekt kehrte wieder in seine Heimat, das ostafrikanische Ruanda, zurück, wo er in den 1990er Jahren im Bürgerkrieg umkam. Pauls Mutter, Miranda van Haver, erzog ihre fünf Kinder alleine. Sie arbeitete in der Verwaltung und jobbte nebenbei noch als Kellnerin. Wann immer es ging, schnallten sich die van Havers ihre Rucksäcke um und gingen auf Reisen. Frau van Haver wollte, dass ihre Kinder ein wenig von der Welt kennenlernten. So begann Pauls Liebe zu Musik aus aller Welt auch schon früh.

Am letzten Stromae-Album gab es etwa eine Hommage an Cesaria Evora, die große Sängerin von den westafrikanischen Kap Verde Inseln. Stromae war ihr vor ihrem Tod noch begegnet, eine Begegnung, die ihn tief berührte, also machte er daraus eine Art „gegrüßt seist du Cesaria“ - mit wortgewandtem, tiefsinnigem Text und unwiderstehlich einladender Musik dazu. Letztere klingt bei Stromae oft recht fröhlich, meist ist der Text jedoch weniger fröhlich. Stromae ist ein Meister dieser Dualität. Aber man muss die Lyrics von Stromae auch gar nicht verstehen, wenn man des Französischen nicht mächtig ist, man spürt seine Songs und ihre Messages auf eine Weise trotzdem.

Stromae 2022

Michael Ferire

„Multitude“ von Stromae ist am 4.3.2022 bei Universal erschienen.

Stromae unternahm einmal den Versuch, auf Englisch zu texten, aber, so findet dieser höfliche und bescheidene Künstler, er könne die Sprache dazu nicht gut genug. Französisch ist seine Muttersprache und in ihr fühlt er sich am wohlsten. Auch Spanisch kann Stromae, aber, wieder meint er, nicht so gut, dass er diese Sprache für Songtexte verwenden würde. Aber es gibt viele Sounds aus Südamerika, eingewoben in seine neuen Songs, etwa bei „Santé“, einem Track, der unter anderem inspiriert ist von Cumbia, einer Musikrichtung aus Kolumbien, die wiederum inspiriert ist von afrikanischer Musik.

Schlaginstrumente und Flöten sind die Essenz des Cumbia, aber die moderne Version verwendet dazu auch Saxofone, Hörner, Keyboards und Synthesizer. Inhaltlich handelt Stromaes „Santé“ von den hart arbeitenden Menschen, die nicht viel Geld verdienen, die arbeiten, während andere feiern. Rosa ist so eine, sie war Stromaes Haushälterin, hat aufgeräumt, wenn er mit Freund*innen Party gemacht hatte.

Der Argentinier Juan Paio machte die Musik zu „Santé“, er mixt Cumbia mit Reggaeton, ebenfalls ein lateinamerikanischer Musikstil, was einen ganz eigenen Groove ergibt. Der Brite Moon Willis machte die finale Produktion. Beide schickten ihre Vorschläge erst an Stromae und dieser wiederum schickte zusätzliche Ideen zurück.

Einer der Brüder von Stromae, Luc van Haver, half auch viel mit beim neuen Album. Er produzierte die Tracks „Mon Amour“ und „Bonne Journée“. Er war es auch, der den bolivianischen Charango-Spieler Alfredo Coca ausfindig machte. Das Charango ist ein kleines Zupfinstrument aus der südamerikanischen Region der Anden. Und weil Mutter van Haver auch bolivianisches Blut in den Adern hat, sie mit der bolivianischen Community in Brüssel verbunden ist, war Alfredo Coca dann auch höchstpersönlich für Stromae zur Verfügung mit seinem Charango, als er gerade in der Stadt war wegen einem bolivianischen Musikfestival.

Das neue Stromae-Album ist eine richtige Wundertüte, was Instrumente betrifft. „Multitude“ ist ein passender Albumtitel, also Vielfalt, Mannigfaltigkeit. Aber auch vom US-Lyriker Walt Whitman - „Leaves Of Grass“ - ist der Albumtitel „Multitude“ inspiriert: „I am large, I contain multitudes, I am of every hue and caste, of every rank and religion“, heißt es in einem der Gedichte von Walt Whitman, der im 19.Jahrhundert lebte. Jeder von uns, so weiß Stromae, hat viele Facetten, viele Seiten an sich, ist auf eine weise mehrere Persönlichkeiten zugleich, deshalb auch der Albumtitel „Multitude“.

Stromae 2022

Michael Ferire

Aber wieder zurück zu den Instrumenten: Es findet sich auch etwa eine Ney - eine türkische Flöte - oder eine chinesische Violine - eine Ehru, gespielt vom Meister der Ehru, Guo Gan. Letztere findet sich am Track „Solasstitude“. Nicht zu vergessen, der bulgarische Frauenchor, der das Stück „L´enfer“ umrahmt. Das Skelett von „L´enfer“ ist ein Piano-Song mit der gänsehauterzeugenden Stimme des auch von Jacquel Brel inspirierten Songwriters Stromae.

„L´enfer“ - übersetzt „die Hölle“ - ist ein Herzstück am neuen Stromae-Album. Es handelt von der dunkelsten Phase seines Lebens, von einem quälenden Gedankenkarussell, samt Suizidgedanken, auch wenn Stromae betont, dass dies ein universeller Song und nicht allein autobiografisch ist.

Im Jänner war Stromae zu einem Interview im französischen Fernsehen eingeladen, um über sein neues Album zu sprechen, da fing er anstatt eine Frage zu beantworten, plötzlich einfach den Song „L´enfer“ zu singen an. Auch wenn das abgesprochen war, es ging so richtig auf. Das Geniale in Stromae zeigte sich wieder einmal mehr.

Energische und ruhigere Stücke lösen einander ab am langerwarteten neuen Album von Stromae. „Multitude“ beginnt mit dem trotzenden, vom Gesundwerden handelnden „Invaincu“, also „ungeschlagen“, und endet mit dem optimistischen „Bonne journée!“, also „Schönen Tag noch!“, dazwischen finden sich Songs über den Sohn einer Prostituierten („Fils de joie“), Vaterglück („Que du bonheur“) oder ein unglückliches Paar („Pas vraiment“). Stromae, das Musikgenie aus Brüssel, so warmherzig, so voller Freude und tiefem Schmerz. Kein anderer Künstler ist mit seiner Persönlichkeit, seiner Stimme, seinem Songwriting und überhaupt all seinem künstlerischen Einfallsreichtum wie Stromae, er spielt in seiner ganz eigenen Liga.

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