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Ann-Kristin Tlusty: Süß. Eine feministische Kritik

Sophie Meuresch

Buch

Süß - Eine feministische Kritik

Die 28-jährige Kulturwissenschaftlerin Ann-Kristin Tlusty beschreibt in ihrem Buch, wie stereotype Rollenbilder entstanden sind und wie sie - der langen Feminismusgeschichte zum Trotz - bis heute nachwirken.

Von Barbara Köppel

„Offiziell ist Feminismus um mich herum längst Konsens. In seiner soften Variante lässt er sich als Yogastunde oder Aktienberatung kaufen, kommt auf glänzenden Buchcovern sehr zeitgeistig daher und ist das unabdingbare Thema jeder Wochenzeitung. Im liberalen Diskurs ist Feminismus ein Accessoire, mit dem sich alle schmücken.“

Ann-Kristin Tlusty bringt es gleich in der Einleitung auf den Punkt: Feminismus gehört heute zum guten Ton, er schafft Aufmerksamkeit. Was bitteschön wollen wir eigentlich noch? Frauen können Bundeskanzlerin werden, haben unverbindlichen Gelegenheitssex und für die Altersvorsorge empfiehlt der feministische Podcast das passende Portfolio. Doch warum haben wir dann mit Gender Pay Gap und sexualisierter Gewalt noch immer so große Probleme? Und Haushalt und Kinder scheinen auf ewig Frauensache zu bleiben?

Frauen stellen fremde Bedürfnisse über ihre eigenen

Ann-Kristin Tlusty: Süß. Eine feministische Kritik

Hanser Literaturverlage

„Süß - Eine feministische Kritik“ ist im Hanser Verlag erschienen.

Genau diese Diskrepanz untersucht die 28-Jährige in ihrem Buch - und zeigt, dass man Jahrhunderte des Patriarchats eben doch nicht so leicht weg-empowern kann.

In einem Mix aus akademischem Diskurs, persönlichen Erfahrungen und popkulturellen Bezügen beschreibt sie drei Typen von Frauen, die sich bis heute durch die Kulturgeschichte ziehen: Die Sanfte, die sich um alle kümmert. Die Süße, die sich willig zum sexuellen Objekt macht und die Zarte, die keiner ernst nimmt. Was diese süßlichen Frauen gemeinsam haben, ist dass sie fremde Bedürfnisse über ihre eigenen stellen. So werden Mädchen nun mal sozialisiert. Erzogen, um den Zuckerguss über den gesellschaftlichen Kuchen zu gießen, von dem sie selbst nur Krümel abbekommen.

Aber haben wir diese Rollenbilder nicht längst entlarvt und machen es jetzt besser? Jedenfalls nicht gut genug, folgert Tlusty, und schildert wie etwa die Rolle der Mutter als Hausfrau erst überhöht und dann abgewertet wurde, und dass Care-Work noch immer nicht den gesellschaftlichen Stellenwert erreicht hat, der ihr eigentlich zukommen müsste: „Dass ich es als Siebzehnjährige als feministischen Akt verstand, Sorgearbeit uncool zu finden und bezahlte Arbeit irgendwie progressiv, illustriert in meinen Augen einen zentralen Irrtum des westlichen Feminismus.“

Die Heteronorm ist der Blinddarm des Patriarchats

Ann-Kristin Tlusty hat ihr Buch durchgehend im generischen Femininum geschrieben (Männer natürlich mitgemeint), begreift Frauen als FLINTA-Personen und ist selbstverständlich auch in der queeren Theorie sattelfest. Sie wechselt mühelos vom wissenschaftlichen Duktus in einen lockeren Plauderton, erzählt, was sie mit ihren Freundinnen bespricht und schreibt höchst unterhaltsame Sätze wie: „So wie die Evolution den Menschen den Blinddarm daließ, schenkte das Patriarchat ihnen die Heteronorm.“

Die Kulturwissenschaftlerin formuliert zudem einleuchtend die Widersprüchlichkeiten rund um das Phänomen der Sexpositivity. Wenn etwa im Musikvideo zu Cardi Bs Song „Wet Ass Pussy“ zwar alle Figuren weiblich, aber alle dauerhaft horny, alles feucht und prall und irgendwie porno ist, ist das progressiv oder billig? Tlusty erläutert, wie sich Cardi B so zwar einerseits die Schwarzen Frauen zugeschriebene Übersexualisierung aneignet und in Selbstbestimmung umkehrt. Meint aber, dass solche Bilder andererseits Druck erzeugen, allzeit zur sexuellen Performance bereit sein zu müssen. Die Feministin des 21. Jahrhunderts ist doch nicht prüde.

Ann-Kristin Tlusty, geboren 1994, hat Kulturwissenschaften und Psychologie studiert. Sie arbeitet seit 2018 als Redakteurin bei Zeit Online und lebt in Berlin. Bei Twitter: @nouvelle_wagnis

Sie formuliert außerdem heftige Kritik am sogenannten Potenzfeminismus, der den Weg in die Gleichberechtigung nicht etwa im Wandel der politischen Verhältnisse sieht, sondern in der individuellen Verantwortung jeder einzelnen. Selbst Schuld, wenn du Kinder und Karriere nicht unter einen Hut kriegst. Ein solcher Ansatz blendet aus, dass strukturelle Benachteiligung nicht nur mit Gender, sondern auch mit Race und Class zu tun hat.

Feministischer Blick auf TV-Serien

Richtig Spaß macht es wiederum zu lesen, wie Ann-Kristin Tlusty schließlich mit der Netflix-Serie „Emily in Paris“ abrechnet: „Emily verfügt über popfeministisches Basiswissen, kann übergriffige Avancen leichthin abmoderieren und geht ihrem Beruf mit beängstigendem Elan nach. (…) Ansonsten aber verharrt sie ungebrochen in der alten Schablone des naiven Girls, das mit großen Augen durch die Oberklassenfantasie eines von Armut und sozialen Unruhen bereinigten Paris flaniert und sich nur allzu leicht von Männern, Mode und Montmartre beeindrucken lässt."

Allein dafür ist die „Süß“-Autorin meine neue Heldin. Überhaupt illustrieren ihre klugen Analysen von TV-Serien wie „Working Mums“, „Fleabag“ oder „Sex Education“ den Gap zwischen feministischem Anspruch und zeitgenössischen weiblichen Lebensrealitäten am besten. Lest das Buch und schenkt es euren Müttern, Töchtern und sisters of all gender, denn es richtet den Blick dorthin, wo die feministischen Kämpfe früherer Generationen heute weitergehen müssen.

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