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Szenenbild aus "Parallele Mütter"

Constantin

Trost und Knochen

Pedro Almodóvar erzählt in „Parallele Mütter“ visuell konventioneller als sonst, dafür umso politischer vom Muttersein und dem jahrzehntelangen Schweigen über die Verbrechen im Spanischen Bürgerkrieg.

Von Pia Reiser

Wenn zwei Linien parallel sind, soviel ist kleben geblieben vom Mathematik-Unterreicht, dann schneiden sie einander nicht. Insofern ist es vielleicht eine mathematische Pointe, dass die Wege der beiden Mütter Janis und Ana, die Pedro Almodóvar in seinem Film als „Parallele Mütter“ bezeichnet, sich nicht nur einmal, sondern öfter kreuzen und sich dabei auch noch massiv beeinflussen. Janis und Ana lernen sich auf der Geburtenstation eines Spitals in Madrid kennen. Die Fotografin Ende 30 und der Teenager aus reichem Hause bringen dort am gleichen Tag ihre Töchter zur Welt. Gemeinsam haben die beiden eigentlich nur, dass die Schwangerschaften Unfälle waren und dass die Väter der Kinder im Leben der Frauen so gut wie keine Rolle spielen.

Szenenbild "The Lost Daughter" und "Parallel Mothers"

Netflix, Constantin

Alleine sind sie aber ganz und gar nicht. Wie fast alle Filme von Pedro Almodóvar ist auch „Parallele Mütter“ besiedelt von einander unterstützenden Frauen. Eine Reinigungskraft, eine erfolgreiche Freundin, die der Fotografin Janis wieder zu Jobs verhilft, ein (wenn auch unfähiges) Kindermädchen. Allein ist Janis zunächst nur mit dem wachsendem Zweifel, was die Herkunft ihrer kleinen Tochter angeht. Nachdem der Vater des Kindes - von Beruf forensischer Anthropologe, also selbst Tag für Tag mit Fragen der Identifizierung und Abstammung beschäftigt - Zweifel daran hat, ob sie wirklich seine Tochter ist, stellt Janis sich irgendwann leise die Frage, ob die kleine Cecilia denn überhaupt ihre Tochter ist.

Wie Almodóvar die Geschichte um die verwobenen Leben der beiden unterschiedlichen Frauen erzählt, grenzt manchmal ans Seifenopern-Terrain. Aber im Gegensatz zu seinen früheren Filmen ist das Seifenoperige nur mehr im Handlungsverlauf, nicht im Spiel oder der Inszenierung zu finden. Das Melodramatische, das Übertriebene und das Künstliche, das jahrzehntelang die Filme von Almodóvar ausgemacht hat, ist in den letzten Jahren weniger geworden, in „Parallele Mütter“ ist es schließlich gar nicht mehr vorhanden. Einzig eine rote Küche (eine ähnliche wie in „Pain & Glory“, die Almodovars eigener Küche nachempfunden war) erinnert noch an die leuchtende Farbwelt früherer Almodóvar-Filme.

Szenenbild aus "Parallele Mütter"

Constantin

Als 1975 Francisco Franco stirbt und die faschistische Diktatur in Spanien endet ist Pedro Almodóvar 26 Jahre alt. Sein erster Spielfilm kommt 1978 in die Kinos. Der Titel? „Fuck... Fuck... Fuck Me, Tim!“. Beschäftigung mit dem Franco-Regime ist in Almodovars Filmen nicht zu finden, aber während die Politik nach dem Tod Francos eine Art „Schweigepakt“ und ein Amnestiegesetz beschließt und es keinerlei politische oder juristische Aufarbeitung der Verbrechen gibt, bringt Almodovar eine Welt auf die Leinwand, die unter Frano nicht möglich gewesen wäre. Weder auf noch abseits der Leinwand.

Seine Filme sind queer, schrill, divers. Er erzählt von Punk-Sängerinnen, Pornostars, Nymphomaninnen, lesbischen Nonnen. Sado-Masochismus findet hier ebenso Platz wie Drogen und Gift im Gazpacho. Während der Diktatur unter Franco durften Frauen, wenn sie verheiratet waren, nicht ohne Einverständnis des Ehemannes arbeiten, ins Ausland reisen oder ein Konto besitzen. Wenn Gloria in „What Have I Done to Deserve This“ ihren brutalen Ehemann mit einer Lammkeule erschlägt, ist dies ein Befreiungsschlag.

„Parallele Mütter“ startet am 11. März 2022 in den österreichischen Kinos. Der FM4 Filmpodcast hat sich bereits Ende Februar diesem Film und „The Lost Daughter“ gewidmet. Die Episode ist in der ORF Radiothek verfügbar.

1997 bringt Pedro Almodóvar mit „Live Flesh – Mit Haut und Haar“ dann erstmals einen Film auf die Leinwand, der – zumindest teilweise – zur Zeit der Franco-Diktatur spielt. Der Film ist auch die erste Zusammenarbeit mit Penélope Cruz.

„Parallel Mothers“, sein siebter Film mit Cruz, ist jetzt nicht nur sein ästhetisch konventionellster, sondern auch sein politischster. Die von Cruz gespielte Janis setzt sich dafür ein, dass ein Massengrab aus dem Spanischen Bürgerkrieg, endlich ausgehoben wird und den von Franco-Anhängern ermordeten Männern ein ordentliches Grab ermöglicht wird. Anas Mutter wiederum tourt in „Parallele Mütter“ mit einem Stück von des Schriftstellers Federico Garcia Lorca durchs Land; Lorca wurde 1936 von einem Franquisten erschossen, nach seinem Grab sucht man immer noch.

Szenenbild aus "Parallele Mütter"

Constantin

Er habe erst ein reiferer Filmemacher werden müssen, um sich diesem Thema zu widmen, so der 72-jährige Almodóvar, der mit seinem Film vor allem von der jungen Generation verlangt, sich mit der spanischen Geschichte auseinanderzusetzen - und sich auf keinen Schweigepakt einzulassen.

„Parallele Mütter“ hallt vor allem mit seinem Vorschlag der Versöhnlichkeit lange im Kopf nach, weil Dystopien entwerfen und Kälte und Pessimismus inszenieren, ist im Kino die leichtere Übung, wenn man der Kritik gefallen will. Angesichts von Kriegsverbrechen und dem Schweigen darüber aber zu einem Schluss zu kommen, der auf Hoffnung setzt, wird bei Almodóvar zu einer Rührung ohne Kitsch.

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