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The Andy Warhol Diaries

Eine neue TV Dokumentation über die Pop Art Ikone kratzt an den Klischees.

Von Martin Pieper

Marilyn Monroe, Campell Suppendosen, The Velvet Underground, 15 Minutes of Fame, die Silberperücken, bla, bla, bla…. Andy Warhol wurde spätestens mit seinem Tod 1987 endgültig zum Klischee des Pop Art Künstlers, genauso zweidimensional wie seine Siebdrucke, die in den internationalen Auktionshäusern Preisrekorde brechen. Über sechs Stunden Zeit nehmen sich Regisseur Andrew Rossi und Produzent Ryan Murphy (Glee, Pose, American Horror Stories etc.) um vor allem über die zweite Lebenshälfte von Andy Warhol zu berichten. Grundlage bilden die legendären Tagebücher von Warhol, die er ab 1976 bis zu seinem Tod jeden Morgen seiner Assistentin Pat Hacket per Telefonanruf diktierte. Taxifahrten, Promi-Events, Clubkultur und Kunstbetrieb, privater Gossip und lakonische Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben stehen da gleichwertig nebeneinander.

Für die Dokumentation wurde jetzt mit Hilfe eines Schauspielers und einer Sprachsoftware die Stimme Andy Warhols rekonstruiert. Und so liest jetzt posthum ein künstlich generierter Warhol daraus vor. Warhol als Geist aus der Maschine - das hätte ihm, der sich immer gerne als Maler-Roboter gesehen hat, wohl gefallen. Die zweite Neuerfindung der Serienmachern: Ein Schauspieler, ausgestattet mit dieser berühmten Silberperücke wird von weit hinten und mit großer Unschärfe gefilmt. Dieser „Warhol“ nippt gedankenschwer mit Blick aus dem Fenster an einem Cocktail. Das wäre gar nicht notwendig gewesen, denn die Warhol Diaries sind über weite Teile mit einer Flut an Filmausschnitten, Fotografien und Zeugnissen überwältigend dicht und stimmungsvoll montiert. Zu Wort kommen auch jede Menge Freund:innen, Kunstexpert:innen und Zeitzeug:innen. Daraus entsteht ein vielstimmiger Chor, der vor allem versucht den Menschen Andy Warhol in all seinen Widersprüchlichkeiten zu zeigen.

Poster zur Dokuserie

Netflix

Der „Andy Warhol“ den wir heute kennen, ist seine eigene Erfindung. Eine große Entourage aus Factory Mitarbeitern und Kunsthändlern hat auch nach seinem Tod dieses Image weiter gepflegt und gehegt, sicher auch aus eigenen Interessen. In „The Warhol Diaries“ bezeichnet John Waters das System Warhol als „Cult“ und bis zu einem gewissen Grad ist auch diese Dokumentation Teil dieser posthumen Imagepflege. Und dennoch lohnt es sehr, sich alle sechs Teile der Warhol Diaries anzusehen. Selbst wenn man glaubt, schon alles über Warhol gehört zu haben, überrascht einen die Serie mit ihrer Fokussierung auf die persönlichen Beziehungen von Warhol zu seinen Lebensgefährten und Freunden.

Drei Männer und ihr Verhältnis zu Andy Warhol stehen im Mittelpunkt der Andy Warhol Diaries. Alle drei sind schon längst gestorben: Es geht um Jed Jackson, der Warhol nach dem Schuss Attentat von Valerie Solanas 1969 gesundpflegte und bis in die späten 70er Jahre sein Lebensgefährte war. Danach kommt die komplizierte Beziehung zu John Gould, Filmproduzent bei Paramount Pictures und echter Ostküsten-Preppie, der in den 80er Jahren ein Opfer von Aids wurde. Und ein weiteres Kapitel ist dem Verhältnis zum jüngeren, schwarzen „Künstlergenie“ Jean-Michel Basquiat, der kurz nach Warhols Tod im Alter von 28 Jahren an Drogen zugrunde ging.

Wer nicht genug von Andy Warhol bekommen kann, dem sei das Buch: „Warhol: Ein Leben als Kunst“ von Blake Gopnik wärmstens empfohlen. Das ist die defintive Biografie, die insbesondere die ganz frühen Jahre Warhols von den 40er bis in die 60er Jahre völlig neu erzählt.

Spätestens da scheut sich die TV-Serie nicht, auch auf die Widersprüche in Warhols Kunst, zwischen Rassismus und Ausbeutung, schwuler Befreiung und internalisierter Homophonie hinzuweisen. Mit all den schönen schwulen Männern auf verblichenen Schwarzweiß Fotos, all den Partys und dem Glamour des Undergrounds im New York der 70er und 80er Jahre ist die Dokumentation eine späte Feier einer untergegangenen Welt in der Kunst und Leben, Kommerz und Hingabe, Mode und Verzweiflung keine Gegensätze waren. Auch wenn er in dieser Welt der ungekrönte König war, fand Warhol sich selbst immer in der Rolle des Außenseiters wieder: er war zu schwul, zu künstlich, zu hässlich, zu arm, zu alt, um wirklich ins Herz der von ihm so verehrten Society vorzudringen. „The Andy Warhol Diaries“ umkreist seine Suche nach Liebe, Bestätigung und Anerkennung und gibt der zweidimensionalen Ikone wieder einen (queeren) Körper zurück. So interessant war Andy Warhol schon lange nicht mehr.

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