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Blick über Crowd auf die Bühne

Matthias Heschl

review

Kein trauriger, aber ein europäischer Geist

Das „We Stand With Ukraine“-Benefizkonzert im Wiener Ernst-Happel-Stadion mit Auftritten von Wanda, Bilderbuch, Mavi Phoenix und vielen anderen war ein großer Erfolg.

Von Lisa Schneider

Einmal die Uhr zurückgedreht. Wisst ihr noch, ausverkaufte Stadien, grölende Menge, Nähe, und das zu wildfremden Menschen. Party like it’s 2019. Und doch nicht ganz: Gestern, beim großen „We Stand With Ukraine“-Benefizkonzert, war die Stimmung stellenweise perfekt und doch immer auch die Ahnung da, dass (Live-)Musik nie nur Eskapismus bedeuten kann. Die besten Momente des gestrigen Abends waren die dazwischen.

„Die Freiheit ist ein wundersames Tier, und manche Menschen haben Angst vor ihr“ hat Georg Danzer gesungen, Bibiza übernimmt seine Zeilen und eröffnet sein Set gestern Nachmittag im Ernst-Happel-Stadion mit besagtem Song „Freiheit“. Gut gewählt, aber eh schon früher, das Cover findet sich auch am im Dezember veröffentlichten Album „Lebe wie ein Hippie“. Bibiza wird ein Star sein. In welcher Größenordnung bleibt noch abzuwarten, aber die Feinheit, mit der er an seine Songauswahl herangeht, das Gespür dafür, dass Genregrenzen Blödsinn sind und die tiefsinnigen weil menschenfreundlichen Gedanken, die er manchmal mit superlässigem Auftreten kaschiert, beweisen das. Die Referenzenkiste im Wiener Ernst Happel Stadion an diesem großen Tag ist also geöffnet, Stichwort Live Aid, Stichwort ausborgen und zurückschauen und relativieren. Ein Moment, über Teller und ihre Ränder nachzudenken, im musikalischen wie im gesellschaftlichen Sinn.

Die Freiheit frei nach Danzer und überhaupt, und dazu das Privileg, sie zu genießen, hat auch schon Marco Wanda im Vorab-Interview betont: „Wichtig zu sagen ist mir, dass das kein Konzert gegen etwas ist, sondern für etwas. Für den Frieden und für die Freiheit. Ich wünsche es mir als Fest, bei dem wir unsere Freiheit feiern.“ Und da sind wir beim bittersüßen Bauchgefühl, das den Tag und das vom Konzertveranstalterteam hinter Barracuda auf die Beine gestellte Solidaritätsfest „We Stand With Ukraine“ begleitet: Wie sehr darf man feiern, an solchen Tagen? Soll man feiern?

Ellie Preiss

Matthias Heschl

Eli Preiss teilte sich die Bühne mit...

„Ich finde es schön, etwas machen zu können in der Situation, weil ich hab mich relativ hilflos gefühlt“, fasst Eli Preiss gut den aktuell omnipräsenten Grundtenor zusammen. Die Screens in der U- oder Straßenbahn am Weg zum Stadion sind voll mit Spendenaufrufen für die Ukraine, die diversen Liveticker werden immer noch, an Tag 24, im Minutentakt aktualisiert. Und dann wäre da ja auch noch Corona. Klein fühlt man sich und fehlplatziert in dem Wahnsinn, der sich rundherum abspielt. Das ist pathetisch, weil Texte über Benefizkonzerte das wohl auch sein müssen: gestern gab’s endlich die Möglichkeit, einen Teil beizutragen. Da, wo sonst Altvordere wie The Rolling Stones, Phil Collins oder Bruce Springsteen live auftreten, stehen gestern auch Acts auf der Bühne, die erst am aufsteigenden Ast unterwegs sind. Und das nicht wie hier sonst üblich mit Ticketpreisen zu achtzig Euro plus, sondern um den solidarischen Preis von 19,91 Euro. Im Jahr 1991 hat die Ukraine ihre Unabhängigkeit erreicht.

Bibiza

FM4

...Swift Circle-Kollegen Bibiza

Das Kollektiv Swift Circle, dem Eli Preiss und Bibiza angehören, bekommt da die Chance geboten, Sätze von der Bühne zu rufen, wie sie jede*r Newcomer*in gern rufen würde: „Macht mal bisschen Lärm für euch, hier im Stadion!“ Endlich zittern die Beine wieder wegen (zu viel) Bass, es ist herrlich, viel zu nah an den Boxen zu stehen. Sorgen vergangener Tage um Ohren- und Kopfweh sind die Sorgen, die man sich jetzt gerade als die wichtigsten wünscht. Strahlesonne, lockere Crowd, die Menschen, die den Swift Circle zuletzt beim eigenen Benefizkonzert für die Ukraine am Wiener Schillerplatz gesehen haben, waren wieder da. Der Festivalspirit auch. Musikalisch ist der Tag als Querschnitt durch die österreichische Musikszene gestaltet, und Fans von Lo-Fi-Hiphop stehen neben Rock’n’Roll-Geschichtsliebhaber*innen. Musiker*innen stehen im Publikum, Florence Arman etwa schwärmt kurz (wir stolpern einander im Front-Stage-Bereich in die Arme), wie fantastisch der Auftritt von Lisa Pac war, und dass sie sich jetzt noch am meisten auf das Set von MATHEA freut. Sätze wie „Das ist aber nicht meine Musik“ gibt’s gestern nicht. Und da sind wir vielleicht bei einem der wenigen Pluspunkte, den uns der ganze Mist eingebracht hat: der Blick auf abweichende Geschmäcker ist weicher geworden.

Und damit vielleicht auch der Blick auf die eigenen und die Fehler der anderen. „Viel rauchen und ein bissi proben“ posten Wanda einige Tage vor dem Konzert auf Instagram. Geprobt haben sie wohl alle in Spätschichten, das Event wurde kurzfristig angesetzt und die Acts haben kurzfristig zugesagt. Eine Ehrensache, die, man kann sich’s nur vorstellen, vielleicht auch die Nervositätslast von den Schultern nimmt. Eine Crowd, die für den guten Zweck da ist, ist eine gute Crowd. Auch Mavi Phoenix steht die Stadionbühne gut, er hat jetzt immerhin eine Rockband. Alles hier ist losgelöst und pures Wollen, das Herzeigen der neuen Lieder und der Stolz auf sich selbst. Dabei kippt der Auftritt nie ins Egoistische, weil Mavi Phoenix seinem Bandsound entsprechend mit den guten, allumfassenden und deshalb immer inklusiven Zutaten der Rock- und Popmusikgeschichte spielt: Liebe, Nicht-Liebe, Sex, Zweifel und Sinnsuche. Bei „Leaving“, seinem Opening-Song, gibt’s keine andere Möglichkeit, als der besten Freundin wortlos den Becher in die Hand zu drücken und los, Richtung Bühne, zu stürmen. Endlich wieder Livemusik, endlich wieder der Umgebung entsprechende, viel zu lange eingerostete Empfindungen und Beobachtungen. Wie sich der komische Plastikboden, der über den Rasen gelegt ist, unter den Füßen der ersten Moshpit-Kandidat*innen bewegt. Wie der Bauch zwickt, wenn alle ihre Handy-Taschenlampen für die Opfer des Krieges leuchten lassen. Wie manche völlig zurecht ungeniert schmusen, andere sich eine Zigarette teilen, jemand weißen Spritzer auf deine Jacke schüttet und entschuldigend lacht. Das Verzeihen fällt leicht, weil ihr oder sein Gesicht noch dazu von oben bis unten in die Farben blau-gelb getaucht ist.

Veranstalter Alfred Tatar überreich Volkshilfe Geschäftsführer Erich Fenninger Scheck

APA/Florian Wieser

Veranstalter & Mastermind Ewald Tatar von Barracuda Music überreicht Volkshilfe-Geschäftsführer Erich Fenninger den Spendenscheck. Keine Form der Solidarität ist unkomplizierter und präziser als die Geldspende, die es erfahrenen Hilfsorganisationen ermöglicht, besser auf die Bedürfnisse der Geflüchteten einzugehen. Unsere Empfehlung für eine Spende: Nachbar in Not.

Welche ist also die richtige Setlist, spielt man ein Benefizkonzert gegen den Krieg? Wenige der auftretenden Acts würden ihre Songs als politisch bezeichnen, das hat aber nichts mit dem Statement der Künstler*in an sich zu tun. Der Auftritt im Ernst-Happel-Stadion ist so ein Statement, und wie einfach sich ein normaler in einen Solidaritäts-Auftritt verwandeln lässt, beweisen gestern viele verschiedene Sätze. „I’m so happy, I’m useless“ singt Mavi Phoenix im gleichnamigen Song, es geht um Antidepressiva aber auch um die grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz, „Ich halt’ nicht viel von Hass und Neid“ singt Eli Preiss im Song „Wie ich bleib“ und bezieht sich auf sexistische Erfahrungen im Business aber auch auf ein fehlendes gesellschaftliches Miteinander, „Ein Leben ohne Grenzen, eine Freedom zu verschenken“ singt Maurice Ernst von Bilderbuch bei „Europa 22“, zum Singlerelease 2019 noch unwissend, welche neuen Gedanken sich im Frühling 2022 um diese Zeilen ranken könnten.

Anders, natürlich anders! bei Yung Hurn. Er hetzt von der linken in die rechte Ecke der Bühne, seufzt ab und zu ein „Puuuuh“ ins Mikro, es ist nachvollziehbar. Wenn ihn die Textsicherheit seines Publikums nicht sprachlos macht, muss es die totale Hingabe der Menschen schließlich tun. Als Außenposten muss man neidisch werden auf die Begeisterung dieser Fan-crowd, es ist erfahrungsgemäß das beste Gefühl der Welt. Als würde ihn das alles kalt lassen, pflegt Yung Hurn weiterhin aber eine „anti-ich-bemüh’-mich“-Attitüde (credits DJ Phekt, FM4) und Texte, die schwer an der Grenze taumeln. Auch für tiefgehende Bühnenansagen bleibt ganz im Sinne dessen keine Zeit. Stattdessen trägt Yung Hurn ein T-Shirt mit dem „Volkshilfe“-Logo. Zusammen mit der gemeinnützigen Organisation, die neben Nachbar in Not einen Teil der heutigen Ticket-Einnahmen erhält, hat er ein Fußballtrikot entworfen.

Yung Hurn on stage

APA/Florian Wieser

Yung Hurn im Volkshilfe-Shirt

Unsexy ist das alles eh nicht, die Meister im Fach bleiben aber Bilderbuch. Die Looks, die Moves, und das alles so gezielt am eigentlichen Begriff Erotik vorbei, dass gerade deshalb die Hitze nur so aufsteigt. Stil ist eine Frage der Überzeugung, selbst, oder gerade weil man in der Kostümkiste zwischen Prinz Eisenherz, Burberry und Paul McCartney wühlt. „Tun wir mal so, als wären wir in einem Stadion“, sagt Maurice, tun eh alle, Kreischen und Crowdsurfing und fliegende Becher allenthalben. Aufgewärmt wird mit all der Euphorie, in einer Rockband zu spielen, den neuen Liedern „I’m not gonna lie“ und „Zwischen deiner und meiner Welt“. Aber auch diese Setlist besteht nicht nur aus Liedern, die die aktuellsten Banderrungenschaften bewerben. Um das geht’s heute auch eben nicht. Es folgen deshalb die gut bekannte, sanft-grüne Aufforderung „Spliff“, der einfachste aller Hits „Bungalow“ und die besten Zeilen der neueren deutschen Popgeschichte mit „Checkpoint“ („Wir sind nie Game Over!“). Und dann war da natürlich noch die gelbe 70-PS-„Maschin“, und somit zu Tode gehörte und wieder auferstandene, am allerbesten laut und falsch mitgegeplärrte Enthemmungsmusik.

Bilderbuch

Matthias Heschl

„Tun wir einmal so, als wären wir in einem Stadion.“

Wanda ziehen es anders auf und spielen „Bologna“ gleich vorab. Als sie sich ihr Credo - immer spielen, als ginge es um Leben und Tod - ausgedacht haben, haben sie wahrscheinlich nicht geahnt, dass ihr erster Stadion-Auftritt diese Zeilen noch einmal zusätzlich mit Bedeutung aufladen würde. Was ist Wanda, wenn nicht eine band for the people, deren Texte und Inhalte Zyniker*innen gern als flach abtun. Und was aber ist Popmusik, wenn nicht der Versuch, die großen Wahrheiten schlicht zu formulieren. Wenn also die neue Single „Rocking in Wien“ (so dämlich wie gut und frei nach Marco Wanda: „ein no-brainer“) gestern Abend ihre Livepremiere feiern darf, ist endlich wieder alles beim Alten. Leder und Schweiß, Wodka und Bussi, Liebe, Triebe, Untergang. Es gibt kein kleines Leben, und somit auch keine kleinen Geschichten, und dafür steht auch das bekennende Zitat vom Nino aus Wien, das Wanda im neuen Song noch schnell hintendranhauchen: „Mir is’ gar nix wurscht, baby“.

Wanda on stage

Matthias Heschl

Bussi. Wanda

In der ORF TVthek gibt es das ganze Konzert zum Nachschauen.

Kein Benefiz ohne Allstar-Auftritt am Schluss. Ina Regen setzt sich ans Klavier und leitet ihre Kolleg*innen, darunter auch Pizzera & Jaus oder Seiler und Speer, zu „Imagine“ an. Das geht sich deshalb aus, weil Ironie und Charity nichts miteinander zu tun haben. Die letzten Worte sollen hier aber den FM4-Moderator*innen dieses Abends gehören, neben Fiva war das Roli Gratzer: „Normalerweise verlieren die Österreicher*innen in diesem Stadion immer, heute ist es mal anders rum.“ Dämlich und wahr und eh schon wissen.

All Star Auftritt

Matthias Heschl

Kein richtiges Benefiz geht ohne Allstar-Auftritt zu Ende.

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