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Portraitfoto Konstantin Gropper von get Well Soon im pinken Anzug

Clemens Fantur

„Amen“ von Get Well Soon: Optimistischer Candyland Gothic

Nach einem Album über die Angst als treibender Motor hat Konstantin Gropper mit seiner Band Get Well Soon das optimistische Werk „Amen“ aufgenommen. Ein Album zwischen Glückskeks-Euphorie und gesellschaftlicher Dystopie. Ein Meisterwerk.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Ja, es ist ein Pandemie-Album. Eines von vielen. Doch Konstantin Gropper, Songschreiber, Mastermind von Get Well Soon und im Herzen Lebensphilosoph, hat in dieser schwierigen Zeit eine erstaunliche Entdeckung für sich gemacht:

„Es liegt schon sehr an meiner persönlichen Sozialisation, den Büchern, Filmen und der Musik, die ich gehört habe, dass ich mich gern mit düsteren Dingen beschäftigt habe. Optimismus und Hoffnung war für mich immer uncool. Das hat zum Kunst machen nicht dazugehört. Die Pandemie hat allerdings mein verborgenes Selbstbild zum Vorschein gebracht. Ich habe gemerkt, ich bin Optimist. Und mir das jetzt einzugestehen, dass ich vielleicht gar nicht so bin, wie ich immer dachte und vielleicht auch sein wollte, war schon ein Erlebnis, was Neues.“

Dieses Erlebnis hat der neuen Platte „Amen“ die Richtung gegeben, die auch musikalisch etwas Neues zum Vorschein bringt. Frisch, energiegeladen, sehr rhythmisch, mit schnellen Songs ist es ein Album, das uns gerade in der krisengebeutelten Zeit ein Stück helfen kann, aus der Starre in die Selbstermächtigung zu kommen und uns einlädt, trotz aller Umstände Hoffnung zu entwickeln.

Das Pendeln zwischen den Polen

Gleich im opulenten Eröffnungsstück „A Song For Myself“ kündigt eine Computerstimme, die an Apples Siri erinnert, an: This is an intervention. Ein Augenzwinkern und keckes Spiel mit der manchmal schon digital gesteuerten Selbstoptimierung. Gleichzeitig ist der Song eine Erinnerung an Konstantin Gropper, seine alten Muster über Bord zu werfen.

„Das Songschreiben ist für mich immer auch ein therapeutischer Prozess. Und während des Albumschreib-Prozesses ist mir aufgefallen, dass mir Gejammere ziemlich auf die Nerven geht. Vor allem mein eigenes. Darum geht es in diesem Song. Ich blicke zurück auf das, was ich bisher gemacht habe und auf die Zunft an Singer/Songwritern, die ich immer verehrt habe und die sehr nah an der Melancholie sind, und stelle in Zweifel, ob dieses Leiden immer so sein muss. Ob man nicht auch eine andere Perspektive einnehmen kann?“

Albumcover von Get Well Soons neuem Album "Amen"

Clemens Fantur

Auch mit dem Albumcover zur neuen Get Well Soon Platte „Amen“ spielt Konstantin Gropper mit dem Optimismus und der immer wieder durchkommenden Dystopie. Und er spielt mit unserer Wahrnehmung: Was siehst du? Einen Grabstein oder einen Kilometerstein, der dir anzeigt, wie weit du auf deinem neuen Weg bist? Das neue Album erscheint am 25. März erscheint auf Caroline Records.

Umgesetzt mit Beatleskem Klavier, breit angelegten Chören und Bläsersätzen, klingen die Melodien und der gewohnt tiefe, erhabene Gesang nach Aufbruch in neues, ungewohntes Terrain.

Es wäre nicht Konstantin Gropper, wenn „Amen“ nicht auch ein Pendeln zwischen zwei Polen wäre. 2016 hat er sein Album „Love“ der Liebe als treibende Kraft gewidmet, zwei Jahre später - noch vor der Pandemie und dem Ukrainekrieg - stellte er sich mit seinem schwermütigen Album „The Horror“ ganz auf die dunkle Seelenseite und gab der Angst als Antrieb Raum.

So ist es nur konsequent, dass mit „Amen“ wieder eine optimistische Grundhaltung Einzug hält. Auch, wenn sie immer wieder gebrochen wird und Get Well Soon die optimistische Utopie neben der gesellschaftlich kursierenden Dystopie stehen lassen. Der Song „One For Your Workout“ stellt die Fragen, wie viel soll man an sich selbst denken und wie viel muss man an seine Mitmenschen denken? Wo sind die Grenzen der Selbstverwirklichung und wo fängt das gesellschaftliche Miteinander an?

Das Video zum Song zeigt, wie gefangen unser Protagonist in dieser Dichotomie ist. Es ist ein düsteres Zeitdokument unserer kapitalistischen, von Selbstoptimierung getriebenen Gesellschaft. Wir rennen etwas hinterher, versuchen unsere „Konkurrenten“ abzuhängen, lassen diese verwundet neben uns liegen und haben eigentlich vergessen, was wir verfolgen. Denn was sind eigentlich unsere wahren Träume, wahren Bedürfnisse? Es wäre uns zu wünschen, dass - wenn wir halbwegs unbeschadet durch diesen modernen Spießrutenlauf kommen – wir hoffentlich nicht am Ende einer Sackgasse mit dem Abgrund vor uns stehenbleiben müssen. In seiner Ästhetik erinnert das Video an alte Science-Fiction-Filme wie Fritz Langs „Metropolis“.

Songs aus dem Happy-Place

Anders als bei seinen vorherigen Alben, hat Konstantin Gropper diesmal keinen musikalischen Stil, auf den er sich beziehen wollte. Seine musikalische Recherchearbeit war diesmal eine „Happy Place“-Playlist. Songs, die man hört, wenn es einem gut gehen soll. Im Fall von Konstantin Gropper war das eine Sammlung von Beatles-Liedern, aber auch die Pet Shop Boys waren auf der Liste vertreten. Etwas, was man dem ungewöhnlichen Indie-Elektro-Dance-80s-Popstück „My Home Is My Heart“ anhört. Ein Song, der so manchen Get Well Soon-Fan schockieren könnte mit seiner strahlenden Disco-Ästhetik. Er erinnert auch entfernt an die Arcade Fire-Hinwendung zur Disco-Musik, die auch bei Get Well Soon diesmal eine Rolle gespielt hat.

„Für mich war die frühe Disco-Musik diesmal wichtig. Was man dem Album generell anhört ist, dass es viel mehr Rhythmik hat. Und es ist wahrscheinlich das schnellste Album, das ich gemacht habe. Es gibt viel Percussion, aber auch Soulmusik. Auch auf der Playlist war Elton John vertreten, Chris Isaak, aber auch so persönliche Geschmacksdinger wie Shoegaze-Musik oder Krautrock.“

Den Einfluss von Bands wie Neu! oder Kraftwerk hört man am ehesten bei dem flott dahingroovenden Stück „This Is Your Life“, in dem es mitunter darum geht, sich des eigenen Lebens bewusst zu werden und keine Zeit zu verschwenden. Aufzustehen, die Melancholie hinter sich zu lassen und ins Tun zu kommen, davon handelt auch die Single „Mantra“. Ein sanftes, doch etwas sehnsüchtig klingendes Indie-Pop-Stück, das sich gegen Ende hin zu einem My Bloody Valentine-Shoegaze-Finale aufschwingt. Ein Song, in dem man sich vollkommen fallen lassen kann und der einen mit all den Streichern, den breiten Gitarrenteppichen und wunderschönen Chor-Gesängen umhüllt und Geborgenheit vermittelt. Wenn man Konstantin Gropper fragt, wie er denn nun den neuen Stil bezeichnen würde, antwortet er mit einem verschmitzten Lächeln: „Candyland Gothic“.

Philanthropische Glückskeksmusik

Konstantin Gropper hat es mit „Amen“ geschafft, die Glücksindustrie zu entlarven, die Melancholiker-Schwelgerei hinter sich zu lassen und sich auf die Suche nach einem Optimismus zu begeben, bei dem man mit beiden Beinen fest am Boden der Realität steht und trotzdem nicht verzagt, sondern hoffnungsvoll in die Zukunft blicken kann. Insofern muss der deutsche Sänger und Songschreiber wohl ein Philanthrop sein. Wie sonst würden sich Songtitel wie „Our Best Hope“ und „I Love Humans“ erklären? Letzterer eine sich wundervoll am Sehnsuchtsvollen dahinschmiegende Ballade, in der sich Konstantin Gropper dem unerschöpflichen Thema Mensch widmet.

Portraitfoto von Konstantin Gropper von Get Well Soon im himmelblauen Anzug

Clemens Fantur

Tipp: Get Well Soon kommen spielen live in Österreich. Am 22. April beim Dynamo Festival 2022 in Dornbirn und am 23. April im Wiener WUK.

„Am meisten interessieren mich am Menschen seine schlechten Eigenschaften. Denn jede gute Geschichte fängt ja oft mit einem Fehler an, und nicht mit einer Heldentat. Gleichzeitig muss ich sagen: Es fällt mir jeden Tag schwerer, Philanthrop zu sein. Die Menschen machen es einem nicht leichter. Aber ich glaube - zu dem Schluss komme ich - man muss sich darauf einigen, dass uns Menschen viel verbindet. Und vieles davon sind eben die schlechten Eigenschaften.“

Und so findet sich auch das wütendste Stück von Get Well Soon „Us vs. Evil“ auf der Platte, ein Rock- und Gitarrenmonster, das die durch Verschwörungserzählungen gespaltene Gesellschaft zum Thema hat. Aber auch in dem ruhig dahin-swingendem „Golden Days“ reflektiert Konstantin Gropper, was die besten Tage eines Menschen wohl sind. Denn während der Pandemie wurde argumentiert, die Jugendlichen seien ihrer „goldenen Tage“ beraubt worden. Dabei wurde aber meist außer Acht gelassen, dass auch Kinder oder ältere Menschen in diesen Lebensabschnitten auch goldenen Tage haben.

Das Schöne an dem Album „Amen“ ist, dass man trotz des ganzen lebensphilosophischen Überbaus sich in das Werk einfach fallen lassen kann. in seinen abwechslungsreichen Musikfluss, manchmal mit einer Stromschnelle Fahrt aufnimmt, dann wieder in einem kleinen Becken mehr zur Ruhe kommt, bis die abwechslungsreiche Reise nach einer knappen Stunde in das beglückende, fröhliche „Accept Cookies“ mündet.

„Es war die Idee, das Album mit einer gewissen Unvoreingenommenheit abzuschließen. Deshalb habe ich Zitate von Glückskeksen benutzt und hab mir gedacht: Wenn man diese einfach einmal annimmt, ohne sie groß zu hinterfragen, dann würde vielleicht das schon reichen, um kurz mal zu einer besseren Stimmung zu gelangen.“

Und sollte die Stimmung wieder kippen, kann man sich „Amen“ nochmals von vorne anhören. Bis der bodenständige Optimismus in Fleisch und Blut übergangen ist.

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