FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Kh-47M2 Kinzhal. 2018 Moscow

CC BY 4.0 / The Presidential Press and Information Office

Erich Moechel

Verwirrung um Hyperschallraketen im Ukrainekrieg

Die auf ein Munitionsdepot in der Ukraine abgefeuerte Kinzhal-Rakete fliegt zwar hyperschallschnell, wird aber nicht von einer neuartigen Scramjet-Turbine angetrieben, sondern von einem herkömmlichen Raketenmotor.

Von Erich Moechel

Der Einsatz russischer Hyperschallraketen in der Ukraine hat Verwirrung ausgelöst. Die „Kinzhal“-Rakete erreicht zwar Hyperschallgeschwindigkeit, um eine revolutionäre Neuentwicklung handelt es sich aber nicht. Ein Tempo jenseits von etwa Mach 6 wird nämlich erreicht, indem eine herkömmliche ballistische Feststoffrakete von einem Jet aus großer Höhe auf Bodenziele abgefeuert wird.

Coverbild: CC BY 4.0

Militärexperten gehen davon aus, dass es sich um eine adaptierte Version der Iskander Kurzstreckenrakete handelt, die ebenfalls in der Ukraine eingesetzt wird. Das hohe Tempo der Kinzhal resultiert aus der kombinierten Schubkraft des Raketentriebwerks, der Erdanziehungskraft und dass sie beim Start bereits mit doppelter Schallgeschwindigkeit unterwegs ist.

Person betankt einen Kampfjet

Youtube-Screenshot / Russisches Verteidigungsministerium

Dieser Screenshot stammt aus einem Video des Russischen Verteidigungsministeriums. Die Kinzhal ist unter einer MIG 31K montiert, ein Vorgängermodell dieses Typs hatte 1977 mit einem Steigflug auf über 37 Kilometer Höhe einen Weltrekord aufgestellt. Die Analyse des CSIS (Center for Strategic and International Studies) nach dem Ersteinsatz der Kinzhal in der Ukraine.

Auffällige Ähnlichkeiten

Ende Dezember 2018 hatte die russische Regierung den Start des ersten Hyperschall-Gliders Avangard im TV übertragen. Angeblich soll die danach bereits die Serienproduktion begonnen haben.

Die auffällige Ähnlickeit der KH-47M2 Kinzhal („Dolch“) mit der Iskander-Kurzstreckenrakete war den Spezialisten des US-Militärmagazins The Drive bereits 2018 aufgefallen, als Wladimir Putin die neue Waffengattung der Hyperschallwaffen erstmals präsentierte. Eine genauere Analyse samt Vergleich ergab dann, dass diese Rakete eben kein neuartiges „air breathing“-Vehikel (siehe unten) war, sondern eine ganz gewöhnliche Feststoffrakete mit hoher Schubkraft.

Unter Hyperschallwaffen werden gewöhnlich neue, völlig anders angetriebene Konstruktionen verstanden, nämlich Cruise Missiles mit Scramjet-Triebwerken (siehe unten) und sogenannte Space Glider, deren Tempo und Aufschlagsenergie auf dem freien Fall aus weit größerer Höhe resultieren. Laut Experten wird der Glider genannte Gefechtskopf von einer herkömmlichen Interkontinentalraketen bis in eine Höhe von (maximal) hundert Kilometern transportiert und rast von dort in freiem Fall in Richtung Ziel. Die Kinzhal wird hingegen in etwa 20 Kilometern Höhe - genauere Angaben dazu gibt es keine - vom Jet ausgeklinkt und ist da schon mit doppelter Schallgeschwindigkeit unterwegs. Die MIG 31K erreicht nämlich eine Höchstgeschwindigkeit von 2,7 Mach.

Abschuss einer Rakete

Mil.ru

Eine Iskander beim Start. Sie ist laut Militärexperten etwas über sieben Meter lang und unterscheidet sich von Kinzhal äußerlich nur durch das etwas größere Leitwerk. Die wirklich großen Unterschiede sind nicht zu sehen, denn sie betreffen die Steuerung, die im vorderen Teil der Kinzhal sitzt und ziemlich anders funktionieren muss, als die der Iskander. The Drive hatte die beiden Typen bereits 2018 verglichen und große Ähnlichkeiten in Form und Abmessung festgestellt.

In wenigen Minuten quer über die Ukraine

Um den großen Rückstand der USA bei hyperschallschnellen Marschflugkörpern aufzuholen, wurden zwei konkurrierende Projekte von Lockheed und von Raytheon ausgeschrieben.

Durch diesen doppelten „Vorsprung“ der Kinzhal gegenüber der Iskander vervierfacht sich die Reichweite von 500 auf etwa 2.000 Km. Die Kinzhal ist daher als Mittelstreckenwaffe eingestuft, die mit allen möglichen Gefechtsköpfen bestückt werden kann, auch ein atomarer Sprengkopf ist dabei. Die Iskander ist aufgrund ihrer Reichweite von maximal 500 Kilometern hingegen als Kurzstreckenrakete klassifiziert. Die Kinzhal wurde noch über russischem Territorium abgefeuert, das weniger als tausend Kilometer vom Ziel in der Westukraine entfernt war, der Aufschlag erfolgte laut russischen Angaben mit neunfacher Schallgeschwindigkeit.

Die Gesamtflugzeit sollte also nur wenige Minuten betragen haben. Ob dieses Geschoss allerdings bis vor dem Einschlag Flugmanöver durchführen kann, wie Russland angibt, ist fraglich wie alles andere, nämlich wie sich diese neuartigen Flugkörper nach dem Abschuss verhalten. Was die tatsächlich neue Technologie von Scramjet-Triebwerken betrifft, die eine Art Marschflugkörper auf Hyperschallgeschwindigkeiten bringen soll, so ist mittlerweile Skepsis angebracht, ob Russland diese Technologie bereits beherrscht. Sicher ist nur dass die seegestützte Zirkon beim Start dieselben Booster-Raketen wie die russischen Kalibr-Marschflugkörper nützt, denn sie wird aus deren Schächten abgefeuert.

Flugzeugträgerkiller

TASS

Die Zirkon während des Starts aus einem der 24 Raketenschächte der Admiral Gorschkow. Aus diesen Schächten der russischen Fregatten werden bereits seit Jahren herkömmliche Marschflugkörper des Typs „Kalibr“ abgefeuert. Zuletzt war das beim Eintritt Russlands in die Kampfhandlungen in Syrien 2017 zu beobachten. Das Bild von Tass ist ein Screenshot aus dem offiziellen Video des russischen Verteidigungsministeriums

Jetzt Zweifel an der Zirkon

"Im Oktober 2020 wurde die Zirkon von der Fregatte Admiral Gorschkow auf ein Zielschiff abgefeuert. Maximale Flughöhe 28 Kilometer, Einschlag mit Mach 8.

Bis jetzt war angenommen worden, dass die seegestützte Zirkon-Rakete von einem solchen Scramjet-Triebwerk auf etwa neunfache Schallgeschwindigkeit beschleunigt wird. Steve Trimble, Experte für militärisches Fluggerät von der Fachzeitschrift „Aviation Week“ hält es für wahrscheinlicher, dass die Zirkon von einem zwar besonders schnellen, aber eben doch konventionellen Raketenantrieb beschleunigt wird. Die Reichweiten der Zirkon und der Iskander sind mit je 500 Kilometern übrigens verdächtig gleich.

Wie Ramjet/Scramjet- Antriebe funktionieren

Rakete

GreyTrafalgar

Ganz oben ist eine herkömmliche Flugzeugturbine, die Luft ansaugt, verdichtet und zündet. In der Mitte ist ein Triebwerk („Ramjet“), das schon nach ähnlichen Prinzipien wie die „Scramjet“-Turbine (unten) funktioniert. Anders als herkömmliche Jet-Turbinen haben diese Antriebe keine beweglichen Teile, benötigt wird lediglich ein gewaltigen Luftstau vor dem Einlass, der den Sauerstoff in die Brennkammer presst. Die Antriebe für solche Marschflugkörper dürften Hybride aus Ram- und Scramjet₋Turbinen sein. Weiters wird nur ein kleiner Wasserstofftank benötigt. Wikimedia | CC BY-SA 3.0

Kein Zeichen der Stärke

Der Abschuss einer solchen Rakete auf ein weit entfernte Ziel - es soll sich um ein Munitionsdepot handeln - wird von Beobachtern übereinstimmend nicht als Zeichen militärischer Stärke gedeutet, im Gegenteil. Dass eine dermaßen teure Kurzstreckenrakete eingesetzt wurde und nicht weitaus billigere Marschflugkörper oder lasergesteuerte Bomben von Kampfjets, hat einen einfachen Grund. Dafür hätten vergleichsweise langsame Cruise Missiles oder Bomber hunderte Kilometer quer über die Ukraine fliegen müssen, die - für alle überraschend - auch in der vierten Kriegswoche noch über eine funktionierende Luftabwehr verfügt.

Der RSS-Feed zu diesem Blog. Sachdienliche Informationen, Metakritiken et al. sind über dieses Formular verschlüsselt und anonym beim Autor einzuwerfen. Wer eine Antwort will, gebe tunlichst eine Kontaktmöglichkeit an.

Aktuell: