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Der türkische Präsident Erdogan und der ukrainische Präsident bei einem gemeinsamen Pressestatement am 3. Februar 2022

APA/AFP/Sergei SUPINSKY

Das riskante Spiel der Türkei im Ukraine-Krieg

Die Türkei stellt sich auf die Seite der Ukraine und pflegt weiterhin gute Beziehungen zu Russland. Diese einzigartige Rolle will das Land nutzen, um zwischen den beiden Staaten zu verhandeln. Das ist riskant, aber für den türkischen Präsidenten Erdogan steht viel auf dem Spiel.

Von Ali Cem Deniz

Kaum ein Land ist so sehr von den wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs betroffen, wie die Türkei. Gerüchte über eine Verknappung von Sonnenblumenöl haben schon in den ersten Wochen des Kriegs zu tumultartigen Szenen in türkischen Supermärkten geführt. Denn die Türkei importiert sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland viele Grundnahrungsmittel. Gleichzeitig ist sie selbst in beiden Ländern wirtschaftlich aktiv. Die Türkei ist der größte ausländische Investor in der Ukraine. Für die türkische Wirtschaft, die schon seit Jahren schwächelt und unter hohen Inflationsraten leidet, ist der Krieg deswegen eine Katastrophe.

Alte Verbündete

Mit der Ukraine hat die Türkei ein historisch gewachsenes enges Verhältnis. Die Türkei war 1991 eines der ersten Länder, das die Unabhängigkeit der Ukraine anerkannte. Die ukrainische Minderheit der Krimtataren spricht eine Turksprache und viele von ihnen leben in der Türkei. Aus der Türkei gehen wiederum viele junge Menschen in die Ukraine, um dort zu studieren. Tausende von ihnen mussten zu Beginn des Krieges aus Städten wie Kharkiv evakuiert werden.

Die Ukraine und die Türkei kooperieren außerdem auch militärisch. Seit Beginn des Kriegs kämpft die ukrainische Armee mit türkischen Drohnen sehr effektiv gegen russische Panzer. Und beide Länder vereint ein traditionell angespanntes Verhältnis zu Russland. Das Osmanische Reich und das Zarenreich waren jahrhundertelang verfeindet, die Türkei ist 1952 der NATO beigetreten, um sich vor einem möglichen Angriff Stalins zu schützen.

Eine komplizierte Beziehung

Derzeit diskutiert die ganze Welt darüber, ob eine Flugverbotszone in der Ukraine zu einem Weltkrieg führen könnte. In Vergessenheit geraten ist, dass die Türkei vor nicht all zu langer Zeit einen russischen Kampfjet abgeschossen hat. Der Abschuss einer russischen SU-24 hatte schon 2015 Ängste über einen Dritten Weltkrieg ausgelöst. Zur Eskalation ist es nicht gekommen, aber zu einem Tiefpunkt in den Beziehungen der beiden Staaten. Nur ein Jahr später wurde der russische Botschafter in der Türkei, Andrei Karlow, Opfer eines Attentats. Russland reagierte mit heftigen wirtschaftlichen Sanktionen. Seither versucht die Türkei, die Beziehungen zu Russland zu reparieren.

Und das scheint zu klappen, obwohl beide Länder in den Konflikten in Syrien und in Libyen weiterhin auf gegnerischen Seiten stehen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass westliche Staaten sich aus diesen Konflikten zurückgezogen haben. Russland und Türkei sind als einzige Regionalmächte zurückgeblieben und sind quasi gezwungen, miteinander zu kooperieren. Außerdem gibt es eine zunehmende gegenseitige Abhängigkeit. Während die Türkei auf das russische Gas angewiesen ist, ist auch die Türkei für Russland ein sehr wichtiger Markt. Einen direkten Konflikt können sich beide Länder nicht leisten.

Verzweifelte Versöhnungsversuche

Diesen Draht zu Russland will die Türkei jetzt nutzen, um im Krieg zu vermitteln. Vor zwei Wochen haben sich der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba und der russische Außenminister Sergei Lawrov in Antalya getroffen. Das Gespräch war ergebnislos, aber es war bisher das einzige Treffen auf hoher diplomatischer Ebene seit Kriegsbeginn. Der türkische Außenminister hat weitere Verhandlungen in der Türkei angekündigt.

Je länger der Krieg andauert, desto schwerer werden die Folgen für die ohnehin geschwächte türkische Wirtschaft. Und trotz guter Beziehungen zwischen Putin und Erdogan, lässt sich nicht abschätzen, wie lange Russland die Haltung der Türkei toleriert. Bisher ist die Türkei nicht auf Russlands berüchtigter Liste der „unfreundlichen Staaten“. Wenn der Krieg eskaliert, wird die Türkei als NATO-Mitglied Stellung gegen Russland nehmen müssen.

Nicht zuletzt will die Türkei, die in den letzten Jahren selbst außenpolitisch isoliert war, dem Westen signalisieren, dass sie ein wichtiger Player in dieser Region ist. Die Türkei wird sich deshalb weiterhin aktiv um ein schnelles Ende des Kriegs in der Ukraine bemühen, denn für Erdogan steht viel auf dem Spiel.

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