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„Never Let Me Go“ ist das beste Placebo-Album seit „Meds“

Kaum zu glauben, dass seit dem letzten Album von Placebo nun schon fast zehn Jahre vergangen sind. Was hat die Band rund um Brian Molko so lange aufgehalten? Erst war es eine zwei Jahre dauernde Greatest-Hits-Tour durch die Welt und dann die Pandemie. „Never Let Me Go“ ist ein starkes Comeback am Puls der Zeit, aber auch mit einem vertrauten Old-School-Vibe.

Von Eva Umbauer

Manche von uns wissen vielleicht noch ganz genau, was sie gerade getan haben, als sie zum ersten Mal von Placebo hörten. In meinem Fall war es so: Das Radio war an, ich saß auf dem Sofa meiner (Miet-)Wohnung in London und blickte zum Fenster hinaus. Es war irgendwann im Jahr 1996 und diese Band spielte und sprach im englischen Radio. Sie waren neu, hießen Placebo. Der US-Amerikaner Brad Wood (Liz Phair, Smashing Pumpkins, etc.) hatte ihr Debütalbum produziert. Eigentlich wollte ich rausgehen, aber ich blieb sitzen, diese Stimme aus dem Radio, dieser eindringliche Gitarrenpop. Seither wurde die Musik von Placebo zu einem Teil meines Lebens.

Wer noch nie von Placebo gehört hat, das neue Album eignet sich durchaus als Einstiegsalbum. Warum nicht die Dinge „backwards“ angehen, sich von „Never Let Me Go“ rückwärts bis zum allerersten Placebo-Album durchhören? Auch auf eine Weise „backwards“ sind Placebo bei ihrer neuen Platte vorgegangen. Zuerst waren die Songtitel da, von Brian Molko in fünf Jahren zusammengeschrieben, dann war auch schon das Albumcover-Artwork da - für die Vinyl- und die CD-Ausgaben - nur die Songs mussten erst dazu geschrieben werden.

Brian Molko wählte diesen Zugang bewusst, um etwas zu verändern. Außerdem sollte „Never Let Me Go“ das Album eines Duos werden, nicht einer kompletten Band. Nur er und sein treuer Weggefährte Stefan Olsdal. Ihn kennt Brian Molko schon seit seiner Schulzeit in Luxemburg. Dort lebte Familie Molko nebst anderen Orten auf der Welt ein paar Jahre lang. Brians Vater, ein US-Amerikaner, war im Bankgeschäft tätig, überall auf der Welt. Auch Brian sollte Banker werden.

Also begannen Brian Molko und Stefan Olsdal sozusagen das Pferd von hinten aufzuzäumen, was dann aber nicht immer eingehalten werden konnte. Aber das musste es auch nicht, man hatte es sich nur vorgenommen, um einmal anzufangen, um eine Art Anhaltspunkt zu haben. Aus der Platte, die ohne Drummer geplant war, wurde schließlich eine mit gar zwei Schlagzeugern. Fertig war sie fast komplett Anfang 2020. Im Jänner/Februar hatten Placebo alles beisammen und waren auch bereit, die neuen Songs auf einer Tour live vorzustellen. Daraus wurde bekannterweise nichts.

Placebo sind also die letzten zwei Jahre wie ein Pinguin auf dem Ei gesessen. Diesen Vergleich mit dem sehr lange brütenden Vogel wählt Brian Molko durchaus mit Humor. Letzteren hat sich Molko bewahrt, der heuer seinen 50. Geburtstag feiert. Ansonsten fühlt er sich etwas nervös, denn alles, was ihm bisher so vertraut war, wurde unterbrochen. Er fühlt sich ein wenig so, als ob er nie Musik gemacht hätte, als ob das für ihn etwas Neues wäre. Vielleicht ist das ja gar nicht schlecht für dieses achte Album von Placebo, das wirklich gelungen ist.

Der Titel des Albums „Never Let Me Go“ kommt vom dynamischen, euphorischen Synth-Pop-Track „Beautiful James“, einer der Singles, die bereits vor dem kompletten Album veröffentlicht wurden. In „Beautiful James“ singt Brian Molko „bring me back to life, never let me go“. Auf die wohl sichere Interview-Frage, wer denn dieser „Beautiful James“ ist, stellt sich Brian Molko schon einmal ein, obwohl er sie eigentlich gar nicht beantworten möchte. Vielleicht ist es der US-Talkshow-Host James Corden, wie Brian Molko im Interview mit dem britischen BBC-Radio feixt, oder doch eher die verstorbebe Soul-Legende James Brown? Egal, die Hörer*innen des Songs sollen einfach bestimmen, wer dieser „beautiful James“ nun ist, und vielleicht ist es ja gar kein Mann?

„Surrounded By Spies“ - wieder eine Single - ist ein Track mit zum Songtitel passender leicht paranonoider Ausstrahlung, „Forever Chemicals“ ist ein wenig Depeche-Mode-trifft-auf-Nine-Inch-Nails, „Went Missing“ ist großer Post-Rock, das bittersüße „The Prodigal“ hat Streicherarrangements und „Fix Yourself“ erinnert an The Cure. „Happy Birthday In The Sky“ - ebenfalls eine Single - ist einer der schönsten Songs auf dem neuen Placebo-Album: Brian Molko schickt einen Geburtstagsgruß gen Himmel, wenn er (für jemand Verstorbenen) singt „Darling, happy birthday in the sky, you were blown away, I don´t know why. Now I sit and wait as days flow by.“ Das ist heavy, atmosphärisch, melodisch, nostalgisch, fast schon kitschig, bis dann die Gitarre einsetzt - ein kleines Meisterwerk.

Nicht zu vergessen: „Try Better Next Time“, auch wieder eine Single, ein Oldschool-Placebo-Song, der das Thema Klimawandel aufgreift, ohne dass es bemüht klingt. Tief im Ozean werden wir uns wieder treffen, Flossen sind uns gewachsen - ein Neubeginn. „Try Better Next Time“ ist ein Song mit Message, in dem die Tiere im Wald tanzen, rund um einen Baum, sie sind unbekümmert, wissen nicht, dass sie vielleicht schon bald zu Fleisch verarbeitet werden. Aber der Mensch geht schließlich zu Grunde, nur ein paar wenige Tiere überleben auf der Welt: „There´s a place in the forest where the animals dance, carefree and joyous, like nobody´s watching... Wake up, wake up, try better next time, cry better next time.“

„Never Let Me Go“ von Placebo ist am 25.03.2022 bei So Recordings/Elevator Lady/Rise erschienen.

„Never Let Me Go“ von Placebo ist aktuell, am Puls der Zeit, frisch, aber auch klassisch. Die Stimme von Brian Molko nach wie vor unverkennbar. Ein tolles Comeback der Alterative-Rock-Ikonen aus London. „Never Let Me Go“ ist das beste Placebo-Album seit „Meds“, 2006.

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