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Still aus dem Film "Rotzbub"

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Kunst, Schnaps, Liebe: der Deix-Film „Rotzbub“

„Rotzbub“ ist nicht für Erwachsene, nicht für Kinder, nicht für Städter, nicht fürs Land – aber er kann was.

Von Boris Jordan

Vor sechs Jahren ist der österreichische Karikaturist Manfred Deix gestorben. Er hat mit seinen Karikaturen für Profil und News in den 70er Jahren eine beispiellose Karriere hingelegt. Seine Porträts von meist unvorteilhaft aussehenden, übergewichtigen, rotgesichtigen Österreicherinnen und Österreichern, oft leicht angetrunken und meist sexbesessen, haben sich in das kollektive Gedächtnis der Post-68er-Generation derartig eingeschrieben, dass noch heute alle in Österreich (und auch in Deutschland) zu wissen glauben, wie eine „Deix-Figur“ auszusehen hat. Der Erfolg der Figuren gründete sich zu einem großen Teil darauf, dass sich die österreichische Bevölkerung in diesen Karikaturen selbst wiedergefunden hat - oder zumindest den Nachbarn oder die Nachbarin, die noch hässlicher sind als man selbst, eben noch mehr wie eine feiste Deix-Figur ausschauen.

Was viele nicht wussten: Die letzten drei Jahre seines Lebens hat der Künstler als Kreativdirektor an einem Animationsfilm über seine Kindheit am Land mitgearbeitet. Seit letzter Woche ist „Rotzbub“ in den Kinos: eine Mischung aus Deix-Hommage, Portrait des ländlich-dumpfen Nachkriegs-Niederösterreich, Coming-of-Age-Liebesgeschichte und Emanzipationsstory eines jungen, künstlerisch begabten Buben, der anders ist - und anders werden will - als die anderen.

Kindheit in der „Kontinuität“

In „Rotzbub“ geht es um die Kindheit von Manfred Deix selbst. Deix ist in Böheimkirchen im südöstlichen Niederösterreich aufgewachsen. Dieser Ort heißt in dem Film unsubtilerweise „Siegheilkirchen“, damit man gleich weiß, was Sache ist. Der Zweite Weltkrieg ist also gerade mal 20 Jahre vorbei, und in diesem im Dorf ist die sogenannte „Kontinuität“ aus der „dunklen Zeit“ stark zu spüren; also die Tatsache, dass Meinungs- und Entscheidungsträger in Österreich nach einer kurzen, eher halbherzigen Periode der Entnazifizierung bis in die siebziger Jahre zu großen Teilen Menschen waren, die ihre Arbeit in der Nazizeit begonnen und gelernt hatten und mit dem erlernten Gedankengut die frühen Jahre der Republik bis in die Kreisky-Zeit gestalten konnten. Diese „Kontinuität“ war tatsächlich in Österreich (und Deutschland) ein Grund für die gesellschaftspolitischen Revolten der späten sechziger Jahre gewesen. Eine Figur weist auch am Ende des Films darauf hin, dass es „bald anders werden“ würde. Doch von der von Manfred Deix als Befreiung empfundenen „68-er Bewegung“ ist im Siegheilkirchen von „Rotzbub“ noch nichts zu spüren.

Das Lüftelbild am Rathaus des Dorfes zeigt noch ein riesiges Hakenkreuz, weshalb der Onkel der Hauptfigur, ein leicht schmieriger Kunstmaler, dieses Bild – das er selbst 20 Jahre zuvor noch gemalt hatte - nun ersetzen soll. Die (noch gar nicht so) alten Männer im Dorfgasthaus wollen dauernd den Arm zum Hitlergruß erheben und ermahnen sich gegenseitig, dass man das jetzt nicht mehr darf. Alle Männer im Dorf, Pfarrer, Bürgermeister, Gendarm, Friseur (namens „Kurz“) sind grausige Nazis und Spießer und Rassisten, alle sind dauernd besoffen und alle sind sie hinter der molligen jungen Fleischverkäuferin her.

Still aus dem Film "Rotzbub"

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In diesem Szenario wächst eben der 14-jährige Manfred Deix auf, im Film schlicht „Rotzbub“ genannt. Er will nicht Wirt werden, wie sein depressiver, kriegsversehrter Vater, der das auch schon nicht wollte. Er will nicht so werden wie alle in seinem Dorf. Er will Kunst machen und zeichnet deswegen die ganze Zeit. Und was er zeichnet, sind - seinem Alter entsprechend - nackte Frauen, vor allem die erwähnte Fleischereiverkäuferin, die er durchs Fenster beim Umziehen beobachtet. Die Nacktbilder dieser Dame zeigt er seinem ebenso pubertierenden Freund, der diese wiederum in der Schule verkauft – ein Mordsskandal, der sich durch den Film zieht, eine wahre Deix Geschichte. Außerdem darf der Rotzbub dem erwähnten Kunstmaler-Onkel dabei assistieren, dessen eigenes Hakenkreuz auf der Rathausfassade zu übermalen: seine erste Begegnung mit der Kunst. Und dann zieht noch eine Gruppe Roma in die Nähe des Dorfes und er verliebt sich in ein Roma-Mädchen.

Still aus dem Film "Rotzbub"

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„Rotzbub“ (Regie: Santiago López Jover, Marcus H. Rosenmüller) läuft derzeit in österreichischen Kinos.

3D-Animations-Deix

Viele Zeichentrick-Kindheitserinnerungen wurden zum Einsturz gebracht, als die charmanten frühen Studio-Ghibli-Versionen von Biene Maja, Heidi und Wickie durch liebloses Rendern modernisiert und mit Musik von Gabalier und Helene Fischer ausgestattet wurden. Als solcherart gebranntes Kind könnte man nun annehmen, dass auch die Computerumsetzung der liebevoll gepinselten, großformatigen Deix-Ungeheuer zum Scheitern verurteilt wäre - aber die Befürchtung bewahrheitet sich nicht. Es ist gar nicht so schlimm: die Bewegungen sind etwas unnatürlich, aber in diesem Film taumeln sowieso alle die ganze Zeit halb betrunken oder ängstlich oder notgeil durch die Gegend, was durch das leicht Schemenhafte nur unterstützt wird. Hübsche Hollywoodzitate (E.T., Big Lebowski) fehlen auch nicht. Wahrscheinlich hat es geholfen, dass man sich mit dem Animationsspezialisten Santiago López Jover einen Co-Regisseur ins Boot geholt hat, der schon mit „Song of the Sea“ eine spezielle artistische Sensibilität in seine Computeranimationen gelegt hat.

Die Dialoge sind minimalistisch und erstaunlich gut gemacht, die Stimmen sind das „Who is Who“ der österreichischen Schauspiel- und Kabarettist*innen-Szene: Erwin Steinhauer, Thomas Stipsits, Katharina Strasser, Gregor Seberg, Adele Neuhauser und, köstlich, der gelernte Polizist Armin Assinger als stets betrunkener Dorfgendarm. Roland Düringer spricht die sympathischste Erwachsenenfigur, einen Schlurf-Strizzi-Rockabilly-Barwirt, bei dem die Buben Bier bekommen und Musik hören können. Der etwas stumpfsinnige zweite Freund der Hauptfigur wird von Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst gesprochen.

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Tutteln, Fritzl-Bier, Katzen

Der derbe, der Gesellschaft den Spiegel vorhaltende Humor von Manfred Deix ist im gleichen Maße gealtert, wie die Gesellschaft sich (auch durch Manfred Deix) verändert hat. Der ganze unterschwellige und auch gar nicht unterschwellige Sexismus und Rassismus dieser Deixfiguren ist nicht mehr so schenkelklopfig wie damals. Aber man kennt auch Manfred Deix und seine eigenen Marotten so gut, die subtil (ja, subtil) im Film Platz finden. Manfred Deix hat zum Beispiel mit achtzig Katzen zusammengelebt, Manfred Deix hat immer die gleiche Musik gehört. Manfred Deix hat sich mit Körperfunktionen und Fürzen und solchen Dingen beschäftigt und unvorteilhafte Körpermerkmale des kontinuierlichen Alkoholkonsums in die Mitte gerückt: großporige Haut, schlaffe Körperhaltung, faule Zähne, stiere Blicke. Das wird alles auf relativ nette Art in den Film eingebaut. An den Bildrändern, im Ambiente, sind sehr viele originelle Deix-Details zu finden: allein die Marke „Fritzl-Bier“ und das lokale Pendant der Kronen Zeitung, dessen Name „Tutteln“ daran erinnert, dass die größte österreichische Tageszeitung bis ins 21. Jahrhundert tatsächlich ein Oben-Ohne-Foto auf Seite Drei abgedruckt hat, das vom Herausgeber persönlich täglich ausgesucht worden sein soll. Und Scheiße spielt – Deix-gemäß, soviel darf verraten werden - ebenfalls eine dramaturgische Rolle.

Wohl aus finanziellen Gründen fehlt das, was Manfred Deix selbst oft genug als das Wichtigste in seinem Leben bezeichnet hat: Deix war nämlich der vielleicht fanatischste Beach-Boys-Anhänger der Welt. Wahrscheinlich hätten die Lizenzen für die Verwendung von Musik der Beach Boys das Budget eines österreichischen Dialekt-Animationsfilms, der im Mostviertel spielt, um ein Vielfaches gesprengt. Außerdem: zur Zeit des „Rotzbubs“ waren die Beach Boys wahrscheinlich selber noch solche.

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